Gescannt und ausgespäht - der gläserne Verbraucher

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Maike Röttger

Datenhandel: Tag für Tag hinterlassen die Deutschen eine Fülle von Informationen über sich und ihr Kaufverhalten. Beim Tanken, am Handy oder im Kaufhaus: Kundenspuren bleiben überall zurück. Und lassen sich zu einem immer schärferen Profil zusammenfügen.

Hamburg. Martin Muster ist ein Mann wie Millionen andere. Verheiratet, zwei erwachsene Söhne, ein Häuschen auf dem Land und einen Job in der Stadt. Er lebt irgendwo in Deutschland in der Datenwelt der Gegenwart und der nahen Zukunft.

An diesem Morgen fährt Martin Muster wie immer mit dem Auto zur Arbeit. Das Navigationsgerät empfiehlt ihm den schnelleren Weg über die Autobahn. Er tankt noch eben und läßt sich dabei - ganz in Gedanken - die Kundenkarte der Tankstelle aufschwatzen. Die nette Dame hinter dem Tresen hatte es schon so oft versucht und ihm die Sparmöglichkeiten mit der Karte gepriesen. Warum auch nicht, denkt sich Martin Muster diesmal. Gegen Sparen läßt sich nichts einwenden. Ein paar Monate später wird er sich wundern, warum der Tankwart einer anderen Tankstelle derselben Marke darüber informiert ist, daß sein Auto einen Ölwechsel braucht.

Jetzt parkt Martin Muster seinen Wagen erst einmal auf seinem Tiefgaragen-Platz in der Innenstadt, hetzt zu Fuß ein Stück über den videoüberwachten Bahnhofsvorplatz und erreicht endlich sein Büro. Mit seinem Fingerabdruck meldet er sich am Computer an.

Mittags verläßt Muster sein Büro und schlendert durch die Stadt. Plötzlich signalisiert sein Handy, daß er eine SMS bekommen hat. Eine Coffee-Shop-Kette - auch da hat er eine Kundenkarte und seine Handy-Nummer angegeben - empfiehlt ihm per SMS, sich doch auf einen Kaffee um die Ecke mit seiner Frau zu treffen, denn die sei auch gerade in der Nähe. Der Netzbetreiber hatte ihre beiden Handys lokalisiert und beiden die gleiche SMS geschickt. Wenig später sitzt das Ehepaar vor dampfenden Kaffeebechern.

Gabi Muster regt sich auf. Der Versandhandel, bei dem sie im Laufe des letzten Jahres mehrere Pullover und Paare Schuhe bestellt hat, verlangt jetzt vor der nächsten Lieferung Vorkasse von ihr. Sie hatte, wie auch ausdrücklich von der Versandkette eingeräumt, drei Pullover zurückgeschickt, weil sie ihr nicht gefielen. Außerdem hatte sie eine Überweisung verbummelt und erst mit einer Woche Verspätung bezahlt. "Da bestelle ich nicht mehr", schimpft Gabi und bekommt dennoch weiterhin die schweren Kataloge zugeschickt.

Neuerdings kommen auch noch drei andere Kataloge unaufgefordert ins Haus. Für Inneneinrichtungen, für Sportbekleidung und Camping-Ausrüstung. Woher wissen die Absender, daß gerade diese Dinge im Hause Muster auf großes Interesse stoßen?

Sohn Thomas, so erzählt Gabi, habe aber im Moment ganz andere Sorgen. Er bekommt keinen neuen Handy-Vertrag. Seit er eine eigene Wohnung in einem preiswerten, aber nicht sehr angesehenen Stadtteil bezog, hat er die Erfahrung schon öfter gemacht. Offenbar ist er inzwischen als nicht besonders guter Kunde eingestuft.

Eine schwere Enttäuschung erlebte auch seine Bruder Rüdiger. Der hatte einen Platz im Trainee-Programm einer Bank schon fast sicher. Doch dann entdeckte der Personalchef im Internet ein fünf Jahre altes Foto von ihm aus Studentenzeiten. Damals wohnte er mit später als gewälttätig aufgefallenen Globalisierungsgegnern in einer Wohngemeinschaft. Mehr als die gemeinsame Küche und das Bad teilte Rüdiger mit ihnen nicht. Trotzdem sagte der Personalchef der Bank den Ausbildungsplatz wieder ab.

Gabi Musters Handy piept plötzlich. Nachricht von ihrem Supermarkt: Zu Hause ist die Milch alle, und der Supermarkt hat sie gerade im Angebot. Der computerüberwachte Kühlschrank hat registriert, was alles eingekauft werden muß und die Liste an den Supermarkt weitergemailt. Gabi nutzt dieses System mit den an den Waren befestigten Funkchips, der sogenannten RFID-Kennung, seit die Supermarktkette es ihr angeboten hat. Als sie ihre bestellten Waren abholen will, wartet schon der gepackte Einkaufswagen. Sie schiebt ihn, ohne auszupacken, durch die Kasse. Die Funkchips werden "gelesen" und das Geld vom Konto abgebucht.

Alles ferne Zukunft? Keineswegs. Viele der beschriebenen Vorgänge spielen sich tagtäglich so oder so ähnlich ab. Manches ist zumindest technisch längst möglich, einiges wird bald Wirklichkeit. In der schönen neuen Daten- und Technikwelt wird der Kunde immer gläserner. Wer kauft was wann wo ein? Wo und wie lebt er? Wieviel Geld gibt er wofür aus? Mag er die Farbe blau lieber als rot? Telefoniert er viel, welche Versicherungen hat er? Wo geht er spazieren?

Irgendwo sind über die meisten erwachsenen Deutschen diese Daten hinterlegt. In Preisausschreiben, mit Kundenkarten, auf Fragebögen und im Internet haben sie Daten freiwillig angegeben. Um deren Auswertung kümmern sich Dienstleister.

Kam es in den 80er Jahren noch zu einem breiten und teils erbitterten Widerstand gegen eine staatliche Volkszählung, bei der die Daten anonym erhoben wurden, so geben die Deutschen inzwischen persönliche Angaben ohne Zögern für einen kleinen Rabatt oder Bonus preis. "Bisher gab es immer das Gefühl, daß der Staat den Bürger ausforscht", sagt der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Hartmut Lubomierski. "Doch die wahre Datensammlerin ist die Wirtschaft." Der Staat müsse sich an Recht und Gesetz halten und ist für die Datenschützer viel leichter zu kontrollieren als die Privaten. "Die Wirtschaft ist viel begehrlicher und gefährlicher", sagt Lubomierski.

Etwa 78 Millionen Kundenkarten stecken neben den EC- und Krankenversicherungskarten in den Geldbörsen der Deutschen. Damit bezahlen sie an der Kasse nicht allein die Ware, sondern hinterlassen zusätzlich Informationen über ihr Kaufverhalten. Wo aber landen diese, was passiert damit? Das ist nicht immer nachvollziebar. Allein 27 Millionen Kundenkarten sind vom Marktführer Payback in Umlauf, 23 Millionen von HappyDigits.

Die Firmen betreiben ein elektronisches Rabattmarkensystem. Wer sich etwa bei Karstadt eine HappyDigits-Karte ausstellen läßt, kann auch bei Kaiser's, Sixt, Neckermann und Quelle Punkte sammeln und gegen Prämien eintauschen. Im Kleingedruckten willigt man ein, daß die Daten von HappyDigits "und ihren Partnerunternehmen zu Marktforschungs- und schriftlichen Beratungs- und Informationszwecken über Produkte und Dienstleistungen der jeweiligen Partnerunternehmen gespeichert, verarbeitet und genutzt werden". Rechtlich ist das einwandfrei. Man kann den Passus auch streichen. Wer das aber nicht tut, muß sich nicht wundern, wenn er mit Werbung überschwemmt wird.

Das "Informationsunternehmen" Schober aus Stuttgart wiederum sammelt und wertet seit 1947 Daten aus. Es rühmt sich auf seiner Internet-Seite, über 50 Millionen Privatadressen zu verfügen. Dazu gibt es "zehn Milliarden Zusatzinformationen, selektierbar nach Alter, Geschlecht, Kaufkraft, sozialer Schicht, 500 000 E-Mail-Adressen mit Berechtigung für E-Mail-Werbung, fünf Millionen Lifestyle-Befragungsteilnehmer mit konkreten Interessen und Kaufabsichten". In Befragungen haben diese Bürger freiwillig sozusagen einen Striptease hingelegt. Zielgerichtet kann Schober so seinen Kunden helfen, potentielle Käufer anzusprechen.

Schober ist einer der Größten in seinem Geschäft und arbeitet, wie die Experten bestätigen, datenschutzrechtlich sauber. Viel mehr Sorge aber als Unternehmen wie Schober bereiten Hamburgs oberstem Datenschützer Lubomierski die Tüftler, die am Computer Datensammlungen über Verfehlungen von Kunden entwickeln und diese Daten gegen Entgelt zur Verfügung stellen. So können zum Beispiel Informationen über das Zahlungsverhalten von Handwerkskunden gesammelt oder Angaben über die Gewohnheiten und das Verhalten vom Mietern an Interessierte herausgegeben werden. Neue Computerprogramme machen das Sammeln und Aufbereiten von Informationen möglich, die früher in Karteikästen verstaubten.

Warndateien nennt man so etwas. Für Unternehmer ein vermeintlicher Service, für Datenschützer ein Greuel, weil es kaum kontrollierbar ist. Die Deutsche Mieter-Datenbank ist eine solche Warndatei, die sich an Vermieter wendet und sich offenbar an die Spielregeln hält. Hier preist man 40 Millionen "Negativdaten", die sich auf 7,3 Millionen Personen und 450 000 Firmen verteilen. "Wir arbeiten mit den Amtsgerichten zusammen", sagt Alexander Köhler, Datenschutzbeauftragter der Datenbank. Sobald dort jemand - ohnehin öffentlich - eine eidesstattliche Versicherung abgibt, daß er zahlungsunfähig ist, erfährt es die Mieterdatenbank - und der potentielle Vermieter. Haben Vermieter einen Gerichtsbeschluß gegen einen Mieter erwirkt, können sie das ebenfalls der Datenbank melden. Die Mitgliederliste sei im vierstelligen Bereiche, so Köhler, darunter private Vermieter, aber auch ganze Wohnungsbaugesellschaften.

Datenschützer sehen die Entwicklung mit Unbehagen, können aber nur bedingt eingreifen. "Der beste Schutz war bisher die Technik, die eine kostengünstige Verarbeitung derartiger Datenmengen einfach nicht zuließ", sagt Lubomierski. Seit Milliarden Informationen technisch ohne großen Aufwand per Computer sortiert und ausgewertet werden können, ist das anders. Sobald Daten einmal elektronisch gespeichert sind oder gar im Internet landen, sind sie dort immer verfügbar.

Datenschützer Lubomierski hat testweise unter abgewandeltem Namen für Schober einmal einen Lifestyle-Fragebogen ausgefüllt und bekommt nach fünf Jahren noch immer Werbesendungen unter diesem Namen zugeschickt. Doch wer freiwillig auch das Kleingedruckte unterschreibt, läßt sich selbst darauf ein. "Wir können nicht jeden vor sich selber schützen", sagt Lubomierski. "Doch man muß die Menschen warnen. Irgendwann weiß die Bank und das Versandhaus mehr über sie als sie selbst."

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