Unternehmerin Dörthe von Schassen baut im Alten Land seltene und fast vergessene Sorten an und beliefert damit Hamburger Spitzenköche.

Königreich. Ein kräftiger Wind fegt über das Feld an der Este. Dörthe von Schassen zieht ihre grüne Strickjacke etwas enger, während sie entschlossen durch die Reihen mit gelbem Mangold und rotem Spitzkohl stapft. Vor einem unscheinbaren grünen Kraut bleibt sie stehen. "Das ist mein größter Schatz", sagt die 48 Jahre alte Unternehmerin und zieht ganz vorsichtig eine weiße schrumpelige Kerbelrübe aus der feuchten Erde.

Mit dem Taschenmesser schabt sie den schweren Marschboden ab und reicht ein Stück zum Probieren. Nussig und ein wenig nach Maronen schmeckt die unscheinbare Delikatesse. Spitzenköche machen daraus Cremes oder Süppchen. "Und sie zahlen Preise, die im Bereich von Trüffeln liegen", sagt die Unternehmerin.

Auf solch seltene, fast schon vergessene Raritäten hat sich Dörthe von Schassen spezialisiert. In Königreich, einem Ortsteil von Jork, baut sie auf einem halben Hektar Gemüsesorten an, die schon von ihren Namen her an eine Zeit erinnern, in der Feldfrüchte noch nicht den Vorgaben der industriellen Landwirtschaft entsprechen mussten. Eine leuchtend rote Bete namens Ägyptische Plattrunde ist darunter oder die Tonda di Chioggia, die mit ihrer rot-weißen Maserung an ein knalliges Speiseeis erinnert und sich gut zu hauchdünnen Chips verarbeiten lässt. Dazu gelbe, runde, zuckersüße Goldbälle, eine Rübenart, und die Haferwurzel, die ein wenig nach Austern schmeckt.

+++ Sie liebt Goldbälle +++

"Als ich mit dem Anbau anfing, haben mich die übrigen Bauern für bekloppt erklärt", erzählt von Schassen lachend. Im Jahr 2009 war das. Da hatte die gelernte Lehrerin für Krankenpflege gerade ihren Arbeitsplatz im Außendienst eines großen Pharmakonzerns verloren. "Ich stand vor dem Nichts und musste mich neu erfinden", sagt sie. Kurzerhand entschloss sich die Hobbygärtnerin, ihre Passion zum Beruf zu machen. Wobei sie früher eher historische Rosen als Gemüse züchtete.

Heute beliefert die Tochter eines Obstbauern Top-Köche in ganz Hamburg und Umgebung mit ihren etwa 60 Raritäten. Christoph Rüffer aus dem Vier Jahreszeiten gehört ebenso zu ihren Abnehmern wie Jochen Kempf aus dem Harvestehuder Hotel Abtei. Auch der Küchenchef des Restaurants Calla auf der Fleetinsel ordert gern Ulmer Ochsenhorn oder Rettiche aus dem Alten Land. "Der Geschmack der alten Sorten ist viel intensiver als der von Gemüse aus dem Supermarkt, dem die Aromen zugunsten von Haltbarkeit und identischer Form und Farbe weggezüchtet wurden", erklärt von Schassen den wachsenden Erfolg.

Dabei ist die Unternehmerin längst nicht die Einzige, die sich auf diese Marktlücke spezialisiert hat. Überall in Deutschland betätigen sich Biobauern und Hobbyzüchter als Jäger der verlorenen Obst- und Gemüseschätze. So baut etwa die Ochsenwerder Gärtnerei Sannmann schon seit Jahren alte Tomatensorten wie die aromatische, aber äußerst empfindliche Vierländer Platte an. Im Alten Land gibt es zahlreiche Bauern, die sich um den Erhalt historischer Apfelsorten kümmern. Und selbst bei der Otto-Tochter Manufactum kann man mittlerweile historische Apfelbäume wie den Finkenwerder Herbstprinz oder den Altländer Pfannkuchen per Post bestellen - "wurzelnackt oder im Topf", wie es auf der Internetseite der Nostalgie-Experten heißt.

Von Schassen bekommt die Samen für ihre ungewöhnlichen Gewächse ebenfalls aus dem Internet oder über andere Fachleute, die sich auf den Anbau alter Sorten spezialisiert haben. Genau will sie ihre Quellen nicht offenlegen. "Betriebsgeheimnis", sagt sie. Ihr größtes Kapital sind aber ohnehin nicht die Samen, sondern das Wissen über die richtigen Anbaumethoden, das sie sich in zahllosen Experimenten mit den Pflanzen erworben hat.

So ist die runzlige Kerbelrübe unter anderem deshalb so teuer, weil sie jede Menge Pflege braucht. Im Oktober vergangenen Jahres hat von Schassen die zarten Pflänzchen zunächst in Anzuchtschalen hochgepäppelt, hat sie mit Schnee bestäubt und darauf geachtet, dass sie im Winter eine gehörige Portion Frost abbekamen. Im Frühjahr musste sie die Rüben dann einzeln aufs Feld pflanzen. Immer mit krummem Rücken und ohne die Hilfe von Maschinen. Die vertragen die empfindlichen Pflanzen nämlich ebenfalls nicht.

Eine große Portion Idealismus und Durchhaltevermögen braucht es auf jeden Fall, um von den ausgetretenen Pfaden im Obst- und Gemüseanbau abzuweichen. Nicht immer sind von Schassens Bemühungen um die Aufzucht alter Sorten nämlich von Erfolg gekrönt. In ihrem Gewächshaus stehen zig grüne Schälchen, in denen eigentlich Erdmandeln heranwachsen sollten. Die erbsengroßen knollenförmigen Gewächse lassen sich rösten und schmecken ganz ähnlich wie ihre Namensvettern. Doch nur aus zwei der Schälchen sprießen grüne Blätter heraus, der Rest ist verkümmert. "Im nächsten Jahr werde ich es noch einmal probieren", seufzt von Schassen.

Mehr Freude bereiten der Unternehmerin ihre "Ochsenherzen" einige Meter weiter. Noch sind die Fleischtomaten klein und grün, in den nächsten Monaten werden sie aber zu orangefarbenen, männerfaustgroßen Früchten heranreifen. Daneben hat von Schassen erstmals würstchenförmige Tomaten mit dem Namen Green Sausage gesetzt.

In den Himmel wachsen die Erträge aber auch hier nicht. Während Tomaten in holländischen Gewächshäusern angesichts von Turbodünger und Steinwolle schon mal drei Meter in die Höhe schießen und nur noch mit hydraulischen Plattformen geerntet werden können, werden von Schassens Pflanzen gerade mal einen Meter hoch. Gedüngt wird mit Biomelasse, zum Bestäuben der Blüten hat sich die Unternehmerin einen Pappkarton mit grimmig brummenden Hummeln kommen lassen. "Ich bin gerade dabei, meinen Betrieb auf ökologischen Anbau umzustellen, und versuche, so umweltgerecht wie möglich zu arbeiten", sagt sie.

Bis zu zwölf Euro pro Kilo kann von Schassen für ihre Tomaten erzielen. Preise, die allerdings nur die Spitzenköche, nicht aber gewöhnliche Verbraucher bezahlen wollen. "Daher habe ich bislang auch auf die Einrichtung eines Hofladens verzichtet", sagt die Geschäftsfrau. Wer möchte, kann sich aber direkt mit ihr in Verbindung setzen und einen Termin vereinbaren ( www.historisches-gemüse.de ).

Allein von dem Gemüseanbau kann von Schassen bislang noch nicht leben. "Ich hoffe aber, in die schwarzen Zahlen zu kommen, wenn sich die Arbeitsabläufe besser eingespielt haben und ich nicht mehr so viel ausprobieren muss." In diesem Jahr will sie zumindest für die Auslieferung ihres Gemüses eine Hilfskraft anstellen. "Alle paar Wochen muss ich aber selbst bei meinen Köchen vorbeischauen", sagt sie. "Sonst läuft das Geschäft einfach nicht."