Experten sehen kurzfristig kein Ende der Talfahrt. Anleger fürchten Zerfall der Euro-Zone und Abschwächung der Weltwirtschaft

Frankfurt/Hamburg. Zu Wochenbeginn haben die Aktienkurse ihren steilen Sinkflug fortgesetzt: Nachdem der Deutsche Aktienindex (DAX) Anfang April die 7000-Marke nach unten durchbrochen hat, ist er gestern auch noch unter die psychologisch wichtige Schwelle von 6000 Zählern gerutscht. Damit hat das Börsenbarometer innerhalb von nur gut zehn Wochen fast 1200 Punkte verloren - und ein Ende der Talfahrt ist derzeit nicht absehbar: "Man muss eher fürchten, dass es noch weiter nach unten geht", sagte Carsten Klude, Chefvolkswirt des Hamburger Privatbankhauses M.M. Warburg & CO, dem Abendblatt.

Auslöser der Verkäufe sei vor allem das Wiederaufflammen der Schuldenkrise, erklärte Jochen Intelmann, Chefökonom der Haspa: "Dahinter steht die Angst, dass die Euro-Zone zerfällt." Dabei mache nicht nur die politische Entwicklung in Griechenland Sorgen. "Spanische Banken dürften einen zweistelligen Milliardenbetrag zur Stabilisierung brauchen", so Intelmann.

"Daher fragt man sich am Markt, ob Spanien der nächste Kandidat sein wird, der unter den Rettungsschirm muss." Vor diesem Hintergrund seien die Renditen der spanischen Staatsanleihen wieder auf ein Niveau gestiegen, auf dem sie bereits im November notierten - bevor die Europäische Zentralbank (EZB) erstmals mit einem sogenannten Dreijahrestender den Bankensektor mit günstigem Geld flutete und damit zunächst die Märkte beruhigen konnte.

Aber auch der Euro hat einen seiner schlechtesten Monate hinter sich: Im Mai verlor die Gemeinschaftswährung fast sieben Prozent gegenüber dem US-Dollar - der höchste Monatsverlust seit September. Maßgeblich an dem Kursrutsch beteiligt sind laut der "Financial Times" die Zentralbanken von Schwellenländern. Diese hätten sich massiv aus dem Euro zurückgezogen, um ihre eigenen Währungen abzusichern.

Allerdings ist die Schuldenkrise nicht allein verantwortlich für die heftigen Verluste am Aktienmarkt. "Die Weltwirtschaft zeigt sich aktuell in schlechterer Verfassung als zu Jahresbeginn erhofft", sagte Klude.

Die Anleger warteten nun darauf, ob EZB-Präsident Mario Draghi morgen bei der turnusgemäßen Zinssitzung des Spitzengremiums der Notenbank die Bereitschaft zeigt, den Märkten abermals unter die Arme zu greifen. Das nächste entscheidende Datum ist der 17. Juni. Bei der Parlamentswahl in Griechenland fällt dann eine Vorentscheidung darüber, ob das Land in der Euro-Zone bleibt oder nicht.

"Wir haben derzeit ganz klar eine politische Börse", sagte Haspa-Analyst Intelmann. Dies mache Prognosen praktisch unmöglich. Gelänge es den europäischen Regierungen, überzeugende Ansätze zur Lösung der Schuldenkrise zu präsentieren, seien aber auch "Kurse oberhalb von 7000 Punkten locker drin".