Statt Anekdoten gibt es bei den neuen Touren wirtschaftliche Einblicke in die vielfältige Welt des Umschlags in der Elbmetropole.

Hamburg. Mit Anekdoten hält sich Klaus Kowollik nicht auf. Er geht ins Detail, sobald die Barkasse an der Landungsbrücke 6 losgemacht hat. Kowollik, 60, Betreiber des Unternehmens Maritime Touren für Gruppen, beschreibt den Betrieb des Hamburger Hafens im Detail, eine komplexe Maschinerie, die Tag und Nacht läuft und deren Funktion und wirtschaftliche Bedeutung doch den meisten Außenstehenden verborgen bleibt.

Verglichen mit den flockigen Anekdoten von "He lücht", dem wohlbekannten Hamburger Barkassenschipper, sind Kowolliks Beschreibungen geradezu Seminarstoff. Bei ihm geht es nicht um Spinnen in Yuccapalmen, Seeleute mit Bräuten in jedem Hafen, nicht um Neptuns Launen oder das Raunen der Barfrau in der Haifischbar nachts um halb eins. Bei Kowollik geht es um Schiffstonnagen und Konkurrenzkämpfe im Geschäft der Hafenschlepper, um den Ausbau von Terminals und die Zukunft des zweitgrößten europäischen Seehafens. Damit hat er Erfolg: "Ich versuche, den Hafen so zu vermitteln, wie er ist", sagt er. "Die Nachfrage nach diesen Touren steigt ständig."

+++ Mehr individuelle Touren +++

Mehr als 300 Kilometer Wasserwege misst der Hamburger Hafen, weiß Kowollik, 22 Kilometer davon fährt er in der zweistündigen Tour an diesem Vormittag mit seiner Gruppe ab. Im Prinzip ist das die Route der klassischen großen Hafenrundfahrt: von den Landungsbrücken die Elbe abwärts, zu den Containerterminals im Waltershofer Hafen, durch die Stromschleusen in den Köhlbrand und weiter in den Vorhafen, bei der Werft Blohm + Voss vorbei zur Elbphilharmonie und zurück zum Anleger nach St. Pauli. 33 Mitarbeiter und Auszubildende des Unternehmens Volkswagen Original Teile Logistik aus Norderstedt hat der Fremdenführer an Bord. Kowollik bietet eine Vielzahl von Hafen- und Elbtouren an, die meisten auf dem Wasser, manche auch per Bus. Einer seiner Schwerpunkte sind Themenfahrten für Firmengruppen. "Die wirtschaftlichen Zusammenhänge im Hafen sind hochkomplex. Viele Unternehmen fragen an, um ihren Mitarbeitern darüber bei so einer Tour mal einen tieferen Einblick zu geben."

Der Tourismus im Hafen boomt, wenngleich die Konkurrenz hart ist. 24 Anbieter von Barkassen und Schiffstouren verzeichnet Hamburg Tourismus, die Marketingagentur für den Fremdenverkehr in der Hansestadt. Hinzu kommen viele andere Firmen, darunter eine wachsende Zahl einzelner Fremdenführer, die ihre Angebote immer genauer auf die Bedürfnisse der Hafentouristen abstimmen. Unternehmer wie Klaus Kowollik oder Maike Brunk mit ihrer Firma Hamburger Elbinsel-Tour chartern die Barkassen und arbeiten individuelle Programme für Gruppen aller Größen aus. Der Schwerpunkt liegt je nach Wunsch und Publikum auf der Wirtschaft, der Geschichte, den städtebaulichen Aspekten oder dem kulturellen Umfeld des Hafens.

Der wachsende Bedarf für solche teils mehrstündigen Fahrten hängt eng mit dem rasanten Wachstum des Hamburger Fremdenverkehrs zusammen. Hamburg Tourismus meldete am Freitag für das erste Quartal 2012 einen Anstieg der Übernachtungen von mehr als zehn Prozent gegenüber den ersten drei Monaten des Vorjahres auf rund zwei Millionen. Die Zahl der Übernachtungen von Gästen aus dem Ausland sei um mehr als 20 Prozent gestiegen. Alles spricht dafür, dass die Gesamtzahl von 9,5 Millionen Übernachtungsgästen aus dem vergangenen Jahr 2012 deutlich übertroffen wird.

Aber auch Einheimische und Firmen aus der Metropolregion entdecken den Hafen immer intensiver als Ziel für Ausflüge und Rundfahrten. "Zum Hafengeburtstag haben wir in Zusammenarbeit mit unseren Partnerunternehmen Thementouren durch den Hafen angeboten", sagt Bengt van Beuningen, Sprecher von Hafen Hamburg Marketing. "Innerhalb kürzester Zeit bekamen wir gut 500 Anmeldungen, weitaus mehr, als wir erwartet hatten." Das Marktpotenzial für spezielle Thementouren im Hafen sei riesengroß, sagt van Beuningen: "Vieles im Hafen funktioniert heute viel zurückgenommener als in früheren Jahrzehnten. Das hat auch mit den stark gestiegenen Sicherheitsanforderungen auf den Terminals und bei den Logistikunternehmen zu tun. Daraus ergeben sich zugleich aber Möglichkeiten für thematisch genau zugeschnittene Hafenrundfahrten - man denke nur an Hamburgs Rolle bei Import und Verarbeitung von Rohkaffee, von Kakao oder von Gewürzen."

+++ Hamburg belegt Platz vier in weltweitem Hafen-Ranking +++

Klaus Kowollik steht mit seinem Mikrofon im Mittelgang der Barkasse, gestikuliert, zeigt, erklärt. Gerade fährt das Boot in einer Rechtskurve aus dem Vorhafen heraus an den Schwimmdocks von Blohm + Voss vorbei zurück in den Hauptstrom der Elbe. Kowollik erläutert, wer bei Blohm + Voss in den vergangenen Jahren Superyachten bestellt hat, unter anderem der russische Milliardär Roman Abramowitsch, dem die letzte Hamburger Großwerft die "Eclipse" baute, mit 162 Metern die bislang längste Megayacht der Welt. Manche der jungen Leute gehen auf das Achterdeck und rauchen, der eine oder andere surft auf seinem Mobiltelefon im Internet. Die meisten aber hören auch nach eineinhalb Stunden noch aufmerksam zu. Vor ihnen auf den Tischen liegen in Folie eingeschweißte Hafenpläne, in denen Terminals, Schiffswege, Sonderbauwerke und auch geplante Projekte wie der künftige Central Terminal Steinwerder verzeichnet sind.

Eine leichte westfälische Färbung schwingt in Kowolliks Stimme mit. Seit 1980 lebt der gebürtige Mindener in Hamburg. Seit gut zehn Jahren arbeitet er als Fremdenführer im Hafen, nachdem es im Geschäft mit Marketing und Öffentlichkeitsarbeit nicht mehr so gut lief. "Das Spezialistentum im Hafen nimmt zu, zum Beispiel mit Firmengruppen", sagt er. Bis zu 200 Barkassenfahrten veranstaltet er in der Saison von Frühjahr bis Herbst, fest gebucht von Unternehmen und anderen Auftraggebern. "Der Hafen verändert sich unglaublich schnell. Wenn man fundierte Touren anbieten und aktuell bleiben will, muss man sich aus den Medien und auch bei den Unternehmen vor Ort ständig informieren." Das Ergebnis ist eine Fülle gut sortierter Fakten bis hin zu dem Detail, dass importierte Grillkohle aus Polen für die lang ersehnte Freiluftsaison in einer Logistikhalle am Roßkanal zwischengelagert wird.

Der Angestellte Gisbert Kusch, 23, und seine Kollegen von der Firma Volkswagen Original Teile Logistik finden die Einblicke in den Hafen spannend. "Wir arbeiten ja selbst in der Logistikwirtschaft. Bei so einer speziellen Hafentour sieht man sehr gut die größeren Zusammenhänge", sagt Kusch, während Kowollik kurz vor dem Ende der Fahrt die Funktionsweise des Mischterminals O'Swaldkai im Osten des Haupthafens erklärt. Zum Abschluss stellt er dann noch die Frage, wie viele tiefgekühlte Pizzen ein Lebensmittelunternehmen wie Dr. Oetker in einem 40-Fuss-Standardcontainer transportiert. Die Zahl von rund 27 000 errät keiner der Auszubildenden. Aber an den Landungsbrücken gibt es zum Abschied Applaus und Lob für die kurzweilige Tour. "Ich hoffe, ich konnte euch etwas bieten", sagt Kowollik. "Das war super", gibt einer der Auszubildenden zurück.