OECD-Experten zweifeln an Reformwillen auf dem Alten Kontinent. Auch Chinas Wirtschaft und der Ölpreis sind Risikofaktoren

Paris. Die europäische Schuldenkrise hat die Euro-Zone in eine neue Rezession gerissen. Sie bedroht nach Einschätzung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auch die guten Konjunkturaussichten für Deutschland. Der Spar- und Reformprozess sei in den meisten Staaten gerade erst angelaufen und durch schwach wachsende oder gar sinkende Wirtschaftsleistungen geprägt, schreiben die Experten in ihrem Konjunkturausblick. Vor diesem Hintergrund wachse die Gefahr eines Teufelskreises mit "schwerwiegenden Konsequenzen für die Weltwirtschaft".

2012 dürfte die Euro-Wirtschaft nach OECD-Prognosen um 0,1 Prozent schrumpfen und im kommenden Jahr nur um 0,9 Prozent wachsen. Ohne die Konjunkturlokomotive Deutschland wäre der Ausblick noch einmal wesentlich düsterer ausgefallen, kommentierten OECD-Experten. Die Prognose für das deutsche Wirtschaftswachstum liegt im kommenden Jahr bei 2,0 Prozent und bei 1,2 Prozent im laufenden Jahr. In der Vorgängerstudie lag der Wert für 2012 noch bei der Hälfte.

"Die deutsche Wirtschaft hat uns überrascht und ist bereits im ersten Quartal wieder kräftig gewachsen", sagte gestern OECD-Deutschland-Experte Andreas Wörgötter. "Die Auftragseingänge gehen nach oben, sogar der reale Einzelhandelsumsatz. Das produzierende Gewerbe wächst, der Arbeitsmarkt bleibt robust."

Als gefährlich werteten die OECD-Experten hingegen, dass die Wahlergebnisse in einer Reihe von Euro-Ländern eine "zunehmende Reformmüdigkeit" zeigten. Die Toleranz gegenüber Haushaltsanpassungen könne möglicherweise an ihre Grenzen stoßen, heißt es im neuen Konjunkturausblick. Nur strenge Haushaltsdisziplin und eine erfolgreiche Konsolidierung der öffentlichen Finanzen schafften aber die Rahmenbedingungen für zusätzliche Maßnahmen auf dem Weg zur Schaffung eines Wachstumspakts. "Es ist ganz wichtig, dass fundamental etwas an der Situation im Euro-Gebiet geändert wird. Wir bleiben in einer Hochrisikosituation in Euro-Land, und das hat gegebenenfalls auch Auswirkungen auf die Weltwirtschaft insgesamt", betonte OECD-Ökonom Eckhard Wurzel.

Zu den weltweit positiven Entwicklungen gehören neben Deutschland auch die USA und Japan, deren Wachstum dieses Jahr um 2,4 beziehungsweise 2,0 Prozent zulegen dürfte. Für 2013 werden die entsprechenden Zuwachsraten mit 2,6 beziehungsweise 1,5 Prozent angegeben.

Wegen seiner horrenden Staatsverschuldung geriet Japan gestern jedoch weiter unter Druck. Mit Fitch senkte erneut eine Rating-Agentur die Kreditwürdigkeit der drittgrößten Industrienation der Welt. Als konjunkturelle Risikofaktoren für die Weltwirtschaft sehen die Autoren der Studie neben der Schuldenkrise den Ölpreis und das Wachstum in China.