Laut Gewerkschaft werden Hamburger Lehrlinge vor allem als billige Arbeitskräfte eingesetzt. Das Unternehmen will Vorwürfe prüfen.

Hamburg. Vor zwei Jahren war Kerstin Henschel* noch heilfroh, einen Ausbildungsplatz beim Discounter Netto ergattert zu haben. "Mit meinem Schulabschluss war es nicht gerade einfach, überhaupt eine Lehrstelle zu finden", sagt die junge Hamburgerin, die sich derzeit im zweiten Ausbildungsjahr zur Verkäuferin befindet.

Mittlerweile ist Henschels Begeisterung für ihren Arbeitgeber allerdings mächtig abgekühlt. "Außer Packen, Putzen und Kassieren habe ich eigentlich nichts gelernt", erzählt die 19-Jährige, die aus Angst vor Repressalien lieber anonym bleiben möchte. "Das Bestellen von Ware, die Annahme von Retouren oder die Beratung von Kunden hat mir niemand beigebracht."

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Aus Sicht der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hat solch ein Umgang mit Azubis System beim Tochterunternehmen der Hamburger Supermarktkette Edeka. "Bei Netto werden die Auszubildenden vor allem als billige Arbeitskräfte missbraucht", sagt der für den Einzelhandel zuständige Fachsekretär Arno Peukes dem Abendblatt. Bei dem Gewerkschafter häufen sich in letzter Zeit die Hilferufe frustrierter Lehrlinge, die sich über die Zustände bei dem Discounter beschweren. "Viele Inhalte, die eigentlich im Rahmen einer Ausbildung im Einzelhandel vermittelt werden sollten, bleiben bei Netto auf der Strecke", sagt Peukes. Bei anderen Unternehmen der Branche seien ihm keine vergleichbaren Missstände bekannt.

Ähnliche Erfahrung wie Kerstin Henschel hat auch Katja Seiler* gemacht. Die 23-Jährige absolvierte im Rahmen ihrer Ausbildung bei der Jugendbildung Hamburg ein mehrmonatiges Praktikum bei Netto. Die gemeinnützige Gesellschaft bildet besonders lernschwache Jugendliche aus, die sonst nur schwer eine Lehrstelle finden. Für Firmen wie Netto, die mit der Jugendbildung kooperieren, besteht ein wesentlicher Vorteil darin, dass sie für die zusätzlichen Arbeitskräfte nichts zahlen müssen. Die Ausbildungsvergütung - im Fall von Katja Seiler 331,80 Euro im Monat - trägt die gemeinnützige GmbH, die unter anderem von der Agentur für Arbeit finanziert wird.

"Ich wurde bei Netto schon nach etwa einem Monat und nach einer gerade mal eintägigen Schulung an der Kasse eingesetzt", erzählt die Praktikantin. "Daneben durfte ich auch nur Regale einräumen." Als einzige Mitarbeiterin neben dem Marktleiter sei sie als vollwertige Arbeitskraft eingesetzt worden. Eine Aussicht, bei Netto später in ein reguläres Arbeitsverhältnis übernommen zu werden, habe sie nicht.

Die Jugendbildung Hamburg bestätigt zwar vereinzelte Kritik an Netto, will die generellen Vorwürfe der Gewerkschaft aber nicht stehen lassen. "Es stimmt, dass es Beschwerden von Auszubildenden gegeben hat, die vor allem Regale einräumen mussten", sagt der Ausbildungsleiter für den Bereich Einzelhandel, Wolfgang Schönewolf. Allerdings sei die Arbeit bei einem Discounter "kein Zuckerschlecken". Darauf müssten sich die Jugendlichen möglichst frühzeitig einstellen.

Grundsätzlich sei die Jugendbildung mit der Zusammenarbeit mit Netto zufrieden. "Das Unternehmen übernimmt deutlich mehr unserer Jugendlichen in ein reguläres Ausbildungsverhältnis als andere Firmen", sagt Schönewolf. Von den acht Auszubildenden, die seit September vergangenen Jahres ein Praktikum bei dem Discounter absolvierten, hätten nun zwei einen regulären Ausbildungsvertrag, drei weitere eine verbindliche Zusage.

Eine Sprecherin von Netto Marken-Discount erklärte, man nehme die von der Gewerkschaft erhobenen Vorwürfe sehr ernst und wolle diese umgehend prüfen. "Sofern die Informationen zutreffen, liegt ein Verstoß gegen unsere zentralen Unternehmensvorgaben und Ausbildungsleitlinien vor", sagte die Sprecherin.

Generell würden im Rahmen der Ausbildung zur Verkäuferin keineswegs nur schnelle Anlerntätigkeiten wie Einräumen und Kassieren vermittelt, sondern auch Artikelbestellung, Retoure und Warenkunde. Dass auch Praktikanten an der Kasse eingesetzt würden, sei hingegen durchaus üblich, da das Berufsbild schließlich "praxisnah" vermittelt werden solle. Alle Praktikanten würden "branchenüblich" entlohnt.

Bundesweit bildet der Discounter derzeit rund 6500 junge Menschen aus - 91 davon in der Hansestadt. 75 Prozent der Azubis werden laut Netto übernommen. "Wir legen großen Wert auf die Besetzung interner Führungspositionen aus den eigenen Reihen", so die Sprecherin. Viele Auszubildende nutzten diese Chance und starteten direkt nach der Lehre eine Karriere als Marktleiter. Für die Ausbildungsqualität spricht aus Sicht des Discounters auch die Tatsache, dass fast 350 Lehrlinge im vergangenen Jahr mit der Note 1 abschlossen.

*Namen von der Redaktion geändert