Immer mehr Landwirte im Norden bauen Mais für Biogasanlagen an. Milch- und Biobauern findet man immer seltener. Pachtpreise steigen.

Jübek. Bent Jensen-Nissen schaut über seine Felder, über eine Landschaft mit Wiesen, Feldwegen und Knicks, den typisch norddeutschen Hecken, in denen Vögel zwitschern und Hummeln schwirren. Der Landwirt sitzt in kurzer Hose und T-Shirt auf seiner Terrasse in Jübek, die Luft duftet nach frischer Erde. Städter stellen sich so die Landidylle vor. Leben mit der Natur, für die Natur. "Doch hier hat sich viel verändert in den vergangenen Jahren", sagt der 39-Jährige über die Region in der Nähe von Schleswig. Die Zeiten, als die Geestbauern ihr Geld hauptsächlich mit Milch, Roggen oder Rindfleisch verdienten, scheinen vorbei zu sein.

Zwischen den Feldern und Gehöften schießen Anlagen für Biogas wie Pilze aus dem Boden. Die grünen Silos stören nicht nur das Bild der Geest. Sie sorgen auch dafür, dass kleine Höfe verschwinden und Weiden mit Kühen in der Landschaft zur Seltenheit werden: Die Produktion von Lebensmitteln rechnet sich für viele Bauern hier nicht mehr. Immer mehr Betriebe stellen auf den Anbau von Mais um, für die Biogasanlagen. "Wer Energiepflanzen erzeugt, kann damit mehr verdienen als mit hochwertigen Lebensmitteln", sagt Jensen-Nissen und schüttelt den Kopf. "Wir waren immer Bauern mit Leib und Seele, hatten super Milch, astreinen Roggen für Brot."

+++ So funktioniert eine Biogasanlage +++

Doch als vor einigen Jahren die Milchkrise kam, der Liter nur noch 22 Cent brachte und die Landwirte zu Protesten in die Städte fuhren, zweifelte der Schleswig-Holsteiner zum ersten Mal an der Zukunftsfähigkeit seines Betriebs. Damals konnte er seine Kosten nicht mehr decken. Die Bauern wurden zu Dauerkunden am Bankschalter, sie brauchten Kredite, um ihre Kühe am Leben zu erhalten. Die Branche war zum Spielball der Discounter geworden, die mit Billigmilch mehr Verbraucher in den Laden locken wollten.

Dem freien Wettbewerb der Marktkräfte konnten nur diejenigen Anbieter entkommen, die auf Energiepflanzen umstellten: Die Biogasanlagen profitieren durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) von Festpreisen, die der Staat garantiert. Liegen diese Vergütungen über den Preisen für Milch, Roggen oder Rindfleisch, sind Lebensmittel "made in Schleswig-Holstein" ein uninteressantes Geschäft für die Betriebe. "Die durch das EEG über Jahrzehnte festgeschriebenen Preise sind unabhängig von Wirtschaftskrisen und schwankenden Kosten für die Bauern", sagt Jensen-Nissen: "Da hat sich eine Schere geöffnet, und die Risiken sind ungleich verteilt." Besonders bitter für die Milchbauern: Ihr Markt wurde liberalisiert, ihre Subventionen gestrichen, doch die Biogaserzeuger profitieren vom Schutz durch den Staat.

Jensen-Nissen muss mit seinem Hof die eigene Familie ernähren und die Elterngeneration versorgen, mit Unsicherheiten will und kann er nicht leben. Auch der Jübeker entschied sich, einen neuen Weg einzuschlagen. Er hat gemeinsam mit vier Betrieben aus dem Dorf eine Biogasanlage gebaut. 4,3 Millionen Euro haben sie investiert. Jensen-Nissen hat sich eingestellt auf den Trend, ist mit der wirtschaftlichen Situation sehr zufrieden.

Die Erfolge der Biogaserzeuger haben sich herumgesprochen, auch bei den Landbesitzern. Die Pachtpreise steigen. "Vor einigen Jahren mussten wir höchstens 300 Euro für den Hektar zahlen, heute sind es 900 Euro", sagt Jensen-Nissen. "Es ist ein einziges Hauen und Stechen, der Hunger auf Land hat sogar schon das Miteinander in den Dörfern verändert." Mais produziere eben am meisten Masse, und dafür würden jetzt überall Flächen gepachtet, sagt Martin Hofstätter von Greenpeace, der den Trend kritisch beobachtet.

Auch die Biobauern leiden unter der Entwicklung in dem nördlichen Bundesland. Schleswig-Holstein nimmt beim Ökolandbau inzwischen den letzten Platz unter den Bundesländern ein, und das, obgleich die Nachfrage nach Bioprodukten in den Supermärkten ständig steigt. Daran stören sich jetzt auch die Grünen im Landtag. Die Agrargasanlagen stellten durch die gestiegenen Pachtpreise eine wesentliche Gefährdung des Ökolandbaus dar, kritisieren sie, zumal die Subventionen für die Biobauern 2013 sinken. Die Kreise sollten nun die Möglichkeit bekommen, neue Biogasanlagen zu verbieten, fordert der Fraktionsvorsitzende im Kieler Landtag, Robert Habeck.

Die Förderung der Energieerzeugung aus Biomasse wird durch das jetzt novellierte EEG-Gesetz zwar verändert. Sie wird aber in einem Maße fortgesetzt, das einen weiteren Bau von Biogasanlagen und in der Folge zusätzlichen Maisanbau erwarten lässt, heißt es beim Bauernverband Schleswig-Holstein, aber nicht nur hier. Auch in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern drohe die "Vermaisung" der Landschaft und eine Monokultur, sagt Greenpeace-Experte Hofstätter.

Bauer Jensen-Nissen will die Biogasanlagen generell nicht verteufeln, profitiert er doch selber davon. Sie seien in dem Streben, mehr Energie aus regenerativen Quellen zu erzeugen, eine durchaus vernünftige Lösung. Schließlich böten sie im Vergleich zu Fotovoltaik- und Windkraftanlagen auch bessere Speichermöglichkeiten. "Kleinere, ineffizienter arbeitende Bauern werden diesen Wettbewerb um Flächen aber einfach nicht überleben", so der Landwirt. Er weiß, wovon er spricht, denn die Biogasgemeinschaft mit seinen vier Kompagnons hat auch seine Arbeit verändert.

Ein paar Hundert Meter entfernt von seinem Wohnhaus ragen die runden Gasanlagen in den Himmel, Maissilage zu einem Berg aufgetürmt lagert davor. Nebenan zieht sich ein Kuhstall bis an den Horizont. "Wir bewirtschaften heute 330 Hektar Land, produzieren Mais für die Energieerzeugung und halten hier mehr als 300 Kühe, die ebenfalls den Mais als Futterpflanzen bekommen", sagt Jensen-Nissen. Der Familienhof entwickelt sich zum großen Industriebetrieb, und die wirtschaftlichen Zwänge verändern nicht nur das Leben der Menschen. Die Kühe leben heute hinter Gittern, saftige Wiesen kennen sie nicht mehr.