Fast ein Viertel des europäischen Stroms soll bis 2030 aus Windturbinen stammen. In Deutschland arbeiten 100.000 Menschen in der Branche.

Hamburg. Besonders viele Erfolgsgeschichten bietet die deutsche Wirtschaft derzeit nicht, Geschichten mit Fundament und Zukunft. Die Windkraft ist eine der Ausnahmen. Sie reift zu einer Schlüsselbranche heran, die andere Wirtschaftszweige mitzieht.

"Bis zum Jahr 2030 kann die Windenergie in Europa fast ein Viertel des Strombedarfs decken, im Jahr 2007 waren es rund 3,5 Prozent", sagte Thorsten Herdan, Geschäftsführer des Fachverbandes VDMA Power Systems, am Dienstag in Hamburg bei einem Branchentreffen zur diesjährigen Messe Husum Wind Energy, die im September stattfindet. "Das setzt gewaltige Investitionen voraus. In Deutschland und in Europa müssen die Kapazitäten stark ausgebaut werden, um den wachsenden Anteil des Windstroms mit intelligenten Netzen und innovativen Speichern in den Strommix zu integrieren."

In Europa wird sich die installierte Leistung aus Windturbinen bis 2030 auf 280 000 Megawatt etwa verfünffachen, in Deutschland auf rund 65 000 Megawatt etwa verdreifachen, heißt es in einer neuen Studie des VDMA. Starkes Wachstum wird es in Offshore-Windparks in der Nordsee und der Ostsee geben, aber auch beim Austausch schwächerer durch stärkere Windturbinen an Land, dem sogenannten "Repowering". Insgesamt können die erneuerbaren Energien - neben Windkraft vor allem Wasserkraft, Solarenergie und Biomasse - bis zum Jahr 2030 rund die Hälfte zur europäischen Stromerzeugung beisteuern, schätzt der VDMA.

Die Windkraftbranche hat sich in den zurückliegenden Jahren fundamental verändert. Die Pioniere dieses Geschäfts waren in Deutschland erfindungsreiche mittelständische Unternehmen wie Enercon, Repower oder Nordex. Mittlerweile sind Weltkonzerne wie General Electric (GE) oder Siemens in die Entwicklung und den Bau von Windturbinen eingestiegen und treiben das Geschäft in neue Dimensionen. Hinzu kommen in China, dem weltgrößten Einzelmarkt für die Windkraft, derzeit rund 70 heimische Hersteller, die sich allerdings vornehmlich auf den chinesischen Markt selbst konzentrieren. Je ein Drittel des Weltmarktes machen nach Branchenschätzungen derzeit Europa, die USA und China aus.

Die Branche beschäftigt nach Kalkulation des Bundesverbandes Windenergie (BEW) in Deutschland heute bereits rund 100.000 Menschen, Tendenz steigend. "Wir registrieren bei Arbeitern in der Automobilindustrie großes Interesse an einem Wechsel in die Windkraftbranche, weil sie diese für besonders innovativ und zukunftsfähig halten", sagte BWE-Präsident Hermann Albers. "Da geht es um Tausende Menschen." Viele Zulieferer der Automobilbranche - etwa der Wälzlagerhersteller SKF - belieferten inzwischen auch die Windkraftindustrie.

"GE und Siemens werden im Jahr 2015 mit jeweils 15 bis 20 Prozent Anteil die Weltmarktführer sein, daneben wird es Platz für vier bis fünf international tätige Anbieter geben", sagte Thomas Richterich, Chef des Windturbinen-Herstellers Nordex. "Wer schwächelt, wird übernommen."

Hamburg könnte vom Boom der Windkraft besonders profitieren. Die meisten wichtigen Hersteller sind in der Stadt vertreten. Repower - ein Tochterunternehmen des indischen Suzlon-Konzerns - hat in Hamburg seinen Hauptsitz, ebenso demnächst Nordex aus Norderstedt. Vestas aus Dänemark steuert von hier, ähnlich wie Siemens, Teile seines Europageschäfts. GE will ein Entwicklungszentrum für seine Windkraftsparte aufbauen.

BWE-Präsident Albers sieht für Hamburg noch größere Chancen: "Die Stadt könnte zeigen, wie sich erneuerbare Energien in die Versorgung einer Metropole integrieren lassen. Geografisch hätte Hamburg - auch mit den windreichen Nachbar-Bundesländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein - dafür ideale Voraussetzungen."