Die Europäische Zentralbank kauft Staatsanleihen zur Stützung des Euro und stellt damit ihre Unabhängigkeit infrage

Frankfurt/Hamburg. Die Not muss groß sein in Europa, denn an den Finanzmärkten fällt ein Tabu nach dem anderen. Nun auch dieses: Die Europäische Zentralbank (EZB) beginnt damit, Staatsanleihen aus den 16 Mitgliedstaaten der Euro-Zone zu kaufen. Damit soll die gemeinsame europäische Währung gestützt werden, die durch die Schuldenkrise Griechenlands in schwere Turbulenzen geraten ist.

Die europäischen Notenbanker hatten einen solchen Schritt öffentlich bislang stets verworfen. Doch offenbar gibt der Zentralbankrat um den Franzosen Jean-Claude Trichet nun dem massiven politischen Druck der europäischen Staats- und Regierungschefs nach. Die hatten bei einem Sondergipfel am Wochenende in Brüssel umfassende Stützungsmaßnahmen für den Euro beschlossen. Gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wollen die Euro-Staaten insgesamt 750 Milliarden Euro an zusätzlicher Liquidität für verschuldete Mitgliedsländer bereitstellen, um Spekulationen gegen den Euro einzudämmen.

"Wir haben niemanden gefragt, ob wir etwas tun sollen oder nicht", sagte EZB-Präsident Trichet gestern bei einer Konferenz in Basel. "Wir haben unter Berücksichtigung der Umstände entschieden, völlig unabhängig von jeder Form von Ratschlägen." Was soll er sonst sagen, der Gralshüter des Euro?

Experten reagieren kritisch auf Maßnahme der EZB

Kaum etwas ist für die Stabilität der Gemeinschaftswährung so wichtig wie die Überzeugung der Finanzmärkte und der Bürger, dass die Europäische Zentralbank unabhängig handelt. Das aber steht infrage: Vor allem Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy soll beim Krisengipfeltreffen in Brüssel die EZB-Führung gedrängt haben, Staatsanleihen der Euro-Länder zu kaufen.

Mit diesem Schritt steht die Europäische Zentralbank quasi für die Staatsschulden der Euro-Länder ein. Trichet bestätigte gestern, dass die EZB mit dem Ankauf begonnen habe, nannte aber - um Spekulanten keine Hinweise zu geben - weder Umfang noch die betreffenden Länder. Die EZB darf die Anleihen nicht direkt bei den betroffenen Staaten kaufen, wohl aber indirekt über die Finanzmärkte.

Die Reaktionen auf die Maßnahme der EZB fielen gestern verhalten aus. Selbst Bundesbankpräsident Axel Weber, Mitglied des EZB-Zentralbankrats, äußerte sich kritisch. Die Aktion berge "erhebliche stabilitätspolitische Risiken", sagte er der "Börsen-Zeitung". Daher sei dieser Teil des EZB-Beschlusses auch in dieser außerordentlichen Situation kritisch zu bewerten. Jetzt komme es entscheidend darauf an, die Risiken so gering wie möglich zu halten.

"Mit dem Kauf von Staatsanleihen kann die EZB die Ansteckungsgefahr für weitere Länder zunächst effektiv bekämpfen", sagte Lutz Karpowitz, Devisenstratege der Commerzbank. Kritischer hieß es in einer Analyse der Royal Bank of Scotland: "Durch die Eingriffe der EZB werden deren Mandat und die Unabhängigkeit infrage gestellt."

Die EZB ist der Fixpunkt der Europäischen Währungsunion. Die komplizierte Gemeinschaftswährung löste nationale Zahlungsmittel mit höchst unterschiedlicher Stabilität und Wertigkeit ab - wie sich jetzt, fast ein Jahrzehnt nach Beginn der Währungsunion, in Griechenland und in anderen südeuropäischen Staaten dramatisch zeigt. Als seinerzeit stärkste nationale Zentralbank galt die Deutsche Bundesbank, die für die Stabilität der D-Mark stand. Vor allem nach deren Vorbild sollte die EZB arbeiten.

Weiterhin Sorge um die Stabilität der Gemeinschaftswährung

Bislang war dies auch der Fall, doch die neuen Schockwellen der Finanzmarktkrise erfordern nun offenbar die Mobilisierung aller Kräfte. Bereits in der vergangenen Woche hatte die EZB angekündigt, dass sie griechische Staatsanleihen als Sicherheiten für Kredite an Banken akzeptiert - obwohl die Ratingagentur Standard & Poor's die griechischen Papiere zuvor auf Ramschniveau heruntergestuft hatte. "Die Finanzmärkte wie auch viele Bürger sorgen sich darum, ob der Euro angesichts der hohen Verschuldung in den Mitgliedsländern stabil bleibt", schreibt der Ökonom Michael Hüther. "Die historische Erfahrung, dass Regierungen gerne den Notausgang Inflation suchen, lässt viele argwöhnisch werden."

Wenn es um die Stabilität von Währungen geht, sind die Zentralbanken die letzte Instanz. Die Bundesbank stand für Klarheit und politisch unabhängige Entscheidungen für die D-Mark. Auch die EZB hatte bislang diesen makellosen Ruf, der durch ihre umsichtige Geldmarktpolitik während der Finanzkrise der vergangenen zwei Jahre noch gestärkt wurde. Das könnte sich ändern.

Dabei allerdings befindet sich die EZB in prominenter Gesellschaft. Die Notenbanken der USA und Großbritanniens kauften schon 2007, zu Beginn der Krise, ganz unbefangen Ramschpapiere von privaten Banken auf.