Schlabberalarm! Wenn dich einer auf die linke Wange küsst, halt ihm bloß nicht auch noch die rechte hin

Das Grauen lauert gleich nach Durchqueren der Eingangstür. Wie die Senatoren bei der Ermordung Cäsars stehen sie beisammen: Gerda und Horst aus Großenkneten mit Neffe Ansgar, allesamt beleibt wie die Baikalrobben. Da heißt es tapfer sein, wenn einen das Trio infernal in die Arme reißt. Der Akt gleicht dem Transport schwerer Fässer und ist garantiert vergnügungssteuerfrei. Und dahinter steht gleich Udo, der Mechatroniker mit den fettigen Haaren, der auch immer eingeladen wird. Er breitet schon drohend die Arme aus.

Das zwanghafte Umarmen bei Begegnungen geselliger Art nicht nur von engen Freunden und Verwandten, sondern auch von Leuten, die man irgendwo einmal am Büfett auf Höhe der Rosmarinkartoffeln getroffen hat, ist zu einer Pest geworden. Einige wenige Menschen umarmt man freudig und mit innerer Überzeugung. Aber die anderen? Gewiss, Onkel Friedholds feuchtschlaffer Händedruck war auch nie eine echte Erbauung, und das kernige Aufdentischklopfen nach Opel-Manta-Fahrerart ist sowieso ziemlich daneben. Ist die zu umarmende Frau beeindruckend attraktiv, kann die Nähe zwischenmenschlich ein Problem darstellen, ist sie es ganz und gar nicht, erst recht.

Die Franzosen haben die schöne Tradition des „bise“, des ein- bis vierfachen Kusses auf die Wange, je nach Gegend links oder rechts beginnend. Nicht immer gelingt diese elegante Usance uns Deutschen speichelfrei; gelegentlich entsteht der Eindruck, unter schlabbernde Hundewelpen gefallen zu sein. Aber das ist immer noch besser als der mit Recht historisch verwelkte sozialistische Bruderkuss; die Fotos vom innigen Lippenbekenntnis der Parteichefs Honecker (DDR) und Breschnew (UdSSR) zählen zu den schrecklichsten Relikten des Kalten Krieges.

Doch was tun? Man kann zwar den Versuch unternehmen, eine Party mit einem berührungsfreien „Hallo“ zu betreten. Früher oder später wird man trotzdem in der erstickenden Umklammerung von Gerda oder einem anderen Zwangsbeglücker enden.