Und plötzlich klingelt in Venedig das Handy. Wenn sich im Urlaub die Gewissensfrage stellt

Sie liegen gerade auf Gran Canaria, flanieren durch Venedig, kraxeln auf einen Alpengipfel, genießen die Abendsonne an der Alster oder strampeln das Tretboot mit Partnerin und Nachwuchs über den Stadtparksee. Urlaubsfrieden, unter allen Wipfeln ist Ruh'. Dann plötzlich Schnitt, Großaufnahme, Ihr Handy, auf dem Display die Nummer Ihres Chefs. Sie drängt Ihnen die Gewissensfrage auf: Ist das hier Urlaub - oder nur eine perfide Urlaubssimulation, die besser Bereitschaft, Außendienst oder Freigang heißen sollte?

In wenigen Millisekunden entscheiden Sie: a) Sie sind Fach- oder Führungskraft - und von denen sind nun mal 60 Prozent laut einer Umfrage in Deutschland auch im Urlaub für Ihre Vorgesetzten erreichbar - Gipfel hin, Tretboot her. Und b) sind Sie das bitte auch noch gern, wie 50 Prozent Ihrer Leidensgenossen. Aber nur 15 Prozent derer, die das sagten, gaben zu, Angst vor Nachteilen im Job zu haben.

So ist die Ruh' also hin, das Herz wird schwer. Sie arbeiten weiter, das Handy wächst am Ohr fest. Der Chef lernt schnell und ruft bald schon am frühen Sonntagmorgen an, schließlich ist er selbst ja auch längst auf. Und für Urlaubspläne hat er sich noch nie interessiert. Die untergebene Fach- oder Führungskraft spielt mit, unterstreicht doch jeder Anruf ihre Bedeutung: "Es klingelt, also bin ich."

Unter den Top-Führungskräften wie Bundesverkehrsminister Ramsauer (CSU) gilt es derweil als schick, sich damit zu brüsten, dass man im Urlaub das Handy abschalte. Kunststück. Er hat sicher einen, der für ihn auf Draht ist.

Subalterne Dienstgrade dagegen - anders als Frauen - entdecken die hohe Kulturleistung des Abschaltens selbst in einem langen Arbeitsleben erst spät - und manchmal gar nicht.

Der Philosoph Theodor W. Adorno könnte helfen. In seinem lebensklugen Buch "Minima moralia" (Untertitel: "Reflexionen aus dem beschädigten Leben") hat er schon 1951 durchschaut, lange bevor es Handys gab: "Was eine Funktion hat, ist ersetzlich. Unersetzlich nur, was zu nichts taugt."