Einen neuen MP3-Player kaufen, obwohl der alte noch funktioniert? Der Freundin sagen, dass ihr das Kleid nicht steht?

Zum Sport gehen oder lieber gemütlich ins Kino? Nicht immer sind es die großen Fragen im Leben, die beantwortet werden wollen. Jeder Tag fordert Entscheidungen. Ein Protokoll.

7.00 Uhr Patrick Dempsey kniet vor mir und sieht mich aus seinen graublauen Augen an. Sein volles braunes Haar liegt perfekt. Er lächelt. Seine Lippen formen Wörter. Ich kann sie nicht hören. Sie werden von einem nervtötenden Piepen verschlungen. Der schrille Ton wird immer schneller und lauter. Gerade will ich ihm sagen, er soll lauter sprechen, da reißt es mich aus meinen Träumen. Wo bin ich? Ich schlage auf den Wecker wie ein Quizkandidat beim Familienduell auf den Buzzer. Nur, dass ich nichts gewinnen kann. Ein Reflex, keine Entscheidung. Schon bin ich wieder weggetreten, in einen traumlosen Zustand. Genau vier Minuten lang. Dann schrillt der Alarm erneut. Mit geschlossenen Augen taste ich nach diesem verfluchten Ding, haue auf ihn ein und unterdrücke den Alarm weitere vier Minuten. Das Ganze fünfmal. Meine Nachbarin kriegt sicher gleich einen Anfall, so dünn wie die Wände sind. Ihr Schlafzimmer liegt neben meinem. Allmählich erlange ich das Bewusstsein. Jetzt aufstehen? Nee! Meine To-do-Liste für den Tag ist zwar lang, aber ein Stündchen kann ich noch schlafen. Ich stelle den Wecker eine Stunde weiter.

8.00 Uhr Piep, piep, piep. Okay, ich stehe auf. Auch wenn ich nicht in die Redaktion muss und gut bis Mittag in den Federn liegen könnte. Aber dann schaffe ich mein Tagewerk nicht. Vernunft siegt über Bedürfnis.

8.30 Uhr Frisch geduscht muss ich eine der wichtigsten Fragen des Tages klären: Was ziehe ich an? Ratlos stehe ich vor dem riesigen Kleiderschrank und stelle mit Entsetzen fest, ich habe gar nichts anzuziehen. Die Hose ist nach dem Urlaub zu eng, das eine Oberteil ein klassischer Fehlkauf, die Bluse spießig und das einzige Oberteil, das sich mit dem wild gemusterten Rock kombinieren ließe, in der Wäsche. Damit kommt der Rock auch nicht mehr infrage. Was ist mit dem Shirt von gestern? Ich halte es dicht an die Nase. Okay, gehört dringend in die Wäsche. Nach einer Viertelstunde habe ich mich entschieden. Na ja, zumindest die Auswahl auf zwei Kleider in A-Form beschränkt. Da zwickt wenigstens kein lästiger Bund. Nun wäge ich ab: Königsblau oder ein dunkles Violett? Lila, der letzte Versuch, denke ich und entscheide mich für das blaue Kleid. Das betont die Farbe meiner Augen so schön. Das andere lasse ich aber zur Sicherheit noch auf dem Bett liegen. Falls ich mich noch umentscheide.

9.00 Uhr Magenknurren. Zeit fürs Frühstück, sogar für ein ausgiebiges. Müsli mit Obst und Joghurt wäre die gesunde Variante. Die Getreideflocken enthalten Vitamin E, B 1, Magnesium und Zink. Und ihr hoher Gehalt an Ballaststoff macht länger satt. Nur blöd, dass auf dem Obstteller nur noch eine braune Banane vor sich hinvegetiert und mir der Sinn mehr nach einem Croissant und damit nach 16 Gramm Fett und 280 Kalorien steht (dreimal so viel wie in einem Brötchen). Dazu ein Frühstücksei, Krabbensalat, Käse ... Der Kühlschrank gibt noch einiges an Essbarem her. Und das will ich nicht schlecht werden lassen, zumal ich übers Wochenende verreise. Und überhaupt, Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit am Tag. Wenn man da nicht mal sündigen darf, wann dann, versuche ich mein Gewissen zu beruhigen, während ein Großteil des Croissants längs im Magen verschwunden ist. Kaffee oder Tee - die Frage stellt sich mir dagegen gar nicht erst. Ohne morgendliche Koffeinzufuhr geht gar nichts. Wenn das meine Yogalehrerin wüsste.

10.00 Uhr Gestärkt und umgezogen (lange Bluse, Leggings, Stiefel) gehe ich vor die Tür. Der Himmel ist bedeckt, das Wetter wechselhaft. Gehe ich noch einmal hoch und hole einen Schirm? Ach was, wie hoch ist schon die Wahrscheinlichkeit, dass es in Hamburg regnet? Und wenn, meine Jacke hat eine Kapuze. Ich gehe Richtung Ottensener Zentrum. Die Fußgängerampel zeigt Rot, doch weit und breit kein Auto zu sehen. Laufe ich schnell rüber? Warum nicht. Schließlich ist weit und breit kein Kind in Sicht, dem ich ein schlechtes Beispiel wäre und dessen Mutter mit mir schimpfen könnte. Ich schlendere an einer Boutique vorbei, um die ich sonst besser einen Bogen mache, denn ich verlasse sie nie ohne Neuerwerb. Die Auslagen im Schaufenster stellen meine Standhaftigkeit auf die Probe. Die neue Herbst-Winter-Kollektion ist da, und wie gesagt, ich habe nichts anzuziehen ... Könnte mein Kontostand reden, er würde mich anschreien: "Geh einfach weiter!" Kann er aber nicht. Durch die offene Tür erblicke ich eine Handtasche. Nicht irgendeine. Meine. Jedenfalls hätte sie es vor einem halben Jahr werden sollen. Damals hatte mir die Verkäuferin aus unerklärlichen Gründen den Kauf ausgeredet, weil ich schon zwei andere, nicht ganz günstige Teile gekauft hatte und sie mich vermutlich vor einem Kaufrausch bewahren wollte. Vielleicht wollte sie die Tasche aber auch einfach für sich behalten und wusste nicht, dass noch zwei Exemplare im Lager versteckt sind. Wie auch immer. Seitdem geistert sie durch meinen Kopf. Nie sah ich so eine schöne Tasche! Diesmal zögere ich nicht. "Das macht dann 129 Euro. Bar oder Karte?", fragt die Verkäuferin. Ich brauche gar nicht nachzusehen. So viel Bares trage ich nicht mit mir rum. "Karte", sage ich und halte glücklich die Tasche in den Händen. Wie weich ihr Leder ist, wie wunderbar sie riecht. Zeitlos schön. "Eine Tasche fürs Leben", sagt die Verkäuferin. Und die beste Entscheidung des Tages, füge ich in Gedanken hinzu.

11.00 Uhr Zwischen den Verkaufständen im Mercado ist die Auswahl erdrückend. Alles sieht appetitlich und ansprechend aus. Allein am Obststand zähle ich fünf verschiedene Weintraubensorten: Thompson, blau oder grün, in jedem Fall kernlos. Das Kilo Lavallee kostet 6,99 Euro, Crimson kernlos zwei Euro weniger. Victoria, großbeerig und süß, 3,49 Euro. Daneben liegen vier Pfirsich-, drei Nektarinen- und sechs Pflaumensorten. Ich kaufe ein Stück Wassermelone und drei Bananen. Gleiches Schauspiel am Gemüsestand: Welcher Kürbis ist der beste für eine Suppe? Butternut-Kürbis, Hokkaido oder Muskatkürbis? Kaufe ich eine Sorte aus Frankreich oder Deutschland? Oder entscheidet der Preis? Schwierig. Da lobe ich mir Romanesco. Mit diesem Gemüse schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Brokkoli und Blumenkohl.

12.00 Uhr Gehe ich zum Yoga? Und wenn ja, nehme ich das Rad oder fahre ich mit Bus und Bahn? Zwanzig Minuten würde beides dauern, egal wofür ich mich entscheide. Rad hätte den Vorteil, ich wäre schon aufgewärmt, wenn ich das Fitnessstudio erreiche. Nachteil: Zurück müsste ich einen sich ziehenden Hügel hinauf. Nach anderthalb Stunden Yoga kein Zuckerschlecken. Meine Yogalehrerin rechnet mit mir. Nun fühle ich mich ihr verpflichtet. Nicht, dass sie mich für unzuverlässig hält oder glaubt, mir würde ihr Kurs nicht gefallen. Aber ich kann den Muskelkater der gestrigen Yogastunde noch sehr deutlich zu spüren. Andererseits wäre es eine gute Vorbereitung auf mein bevorstehendes Yogawochenende. Ich kann es mir ja noch überlegen. Der Kurs findet erst um 20 Uhr statt. Erst einmal heißt es Abwaschen, Wäsche bügeln, Bad putzen. Und den Koffer muss ich auch noch packen. Womit fange ich bloß an?

15.00 Uhr Verschiedenes in dieser Reihenfolge erledigt: Abgewaschen, Bad geputzt, Mittag gegessen (Romanesco), Mittagsschläfchen gegönnt. Die am meisten verhasste Arbeit bis zum Schluss vor mir hergeschoben: Bügeln. Als würde der Berg kleiner, wenn man ihn ignoriert. Klassischer Fall von Verdrängung. Und nun? Was mache ich, da alles erledigt ist und meine Freunde alle noch arbeiten? Ich kann mich nicht entscheiden. Erst mal Tee trinken.

15.15 Uhr Mit Tee, Decke und Buch aufs Sofa verzogen.

17.00 Uhr Das Telefon klingelt. Eigentlich habe ich keine Lust, ranzugehen. Das Buch ist so spannend. Aber was, wenn's wichtig ist? Unentschlossen blicke ich aufs Display. Hamburger Vorwahl. Eine Freundin? Stimmt. Sie ruft aus dem Büro an. Trotzdem reden wir eine halbe Stunde. Wirklich wichtig war es nicht, aber lustig.

17.45 Uhr Koffer packen für das Yogawochenende an der Ostsee. Was muss mit? Kissen, Bettwäsche, Yogamatte sind Pflicht. Für die Wanderung Gummistiefel oder Turnschuhe? Brauche ich eine Regenjacke? Das Wetter bleibt wechselhaft. Badeanzug nimmt nicht viel Platz weg, und Abbaden muss sein. Nur die Harten komm' in Garten. Sind drei Sportoutfits zu viel? Kleid oder Jeans? Pullover oder T-Shirt? Alles muss gut überlegt sein. Irgendwas vergessen? Ich blicke auf die Wäschestapel auf meinem Bett. Nun die Schwierigkeit, alles in den Koffer zu bekommen. Das Kissen muss hierbleiben, sonst passt die Waschtasche nicht mehr rein.

19.00 Uhr Geahnt habe ich es längst, jetzt ist es an der Zeit, sich offiziell einzugestehen: Ich werde mich heute nicht zum Sport überreden können. Mein innerer Schweinehund hat die Kontrolle übernommen. Schließlich werden die nächsten drei Tage noch anstrengend genug, flüstert er mir augenzwinkernd zu. Wo er recht hat, hat er recht.

20.15 Uhr Ich zappe durchs Programm. Bleibe für ein paar Minuten bei einer Dokumentation hängen. Vielleicht läuft noch was Besseres. Ich schalte weiter: Castingshow, Krimiserie, Actionserie, Komödie ... Gibt es jemanden, der den Mist wirklich gucken will? Ich schalte den Fernseher aus. Und nehme lieber noch mal mein Buch zur Hand.

23.00 Uhr Schlafenszeit. Wann muss ich aufstehen, wenn mich um 11 Uhr meine Yogalehrerin mit dem Auto einsammelt? Ich stelle den Wecker mal auf acht. Hoffentlich klingelt er nicht wieder im falschen Moment ...