Manchmal sind wir hin- und hergerissen. Wissen nicht, was wir tun sollen. Grübeln, wägen Vor- und Nachteile ab.

Dabei ist es oft so einfach, wenn wir spontan entscheiden. Doch auch solche Entscheidungen sind bewusst und lassen sich sogar voraussagen, weiß der Berliner Emotionspsychologe Hauke Heekeren.

Journal:

Wie treffen wir Entscheidungen?

Hauke Heekeren:

Zum Teil intuitiv, das heißt durch sich scheinbar spontan einstellende Eingebungen, Gefühle. Zum anderen, indem wir verschiedene Möglichkeiten sorgfältig gegeneinander abwägen. Dabei werden unterschiedliche Aspekte miteinander verrechnet. Wir vergleichen zum Beispiel die Stärke des Wunsches etwas zu haben mit den Kosten, dem Preis.

Was passiert dabei im Gehirn?

Zunächst ist wichtig, Entscheidungsfindung als einen Prozess zu verstehen. Nach heutigem Wissen sind daran unterschiedliche Hirnregionen beteiligt: Das Belohnungssystem und kognitive Systeme, wie dem Präfrontalkortex, einer Region im vorderen Hirnbereich, in dem unter anderem Handlungskonzeptionen entworfen werden. Aber auch emotionale Hirnsysteme, zu denen auch der Mandelkern, die Amygdala, gehört. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertung und Wiedererkennung von Situationen sowie der Analyse möglicher Gefahren. Je nach Art der Entscheidung sind die Bereiche unterschiedlich stark aktiviert.

Wie konnten Sie das nachweisen?

Wir haben Experimente designt, in denen wir Versuchsteilnehmer spielen lassen. Zum Beispiel müssen Sie von vier Symbolen, die jeweils mit unterschiedlichen Belohnungen assoziiert sind, eins auswählen. Durch Versuch und Irrtum müssen sie herausfinden, welches Symbol über die Zeit den größten Gewinn liefert. Während sie überlegen, welches sie als nächstes wählen, beobachten wir ihre Hirnaktivität, direkt und indirekt. Mit der Elektroenzephalografie, kurz EEG, können wir Änderungen der Hirnströme mit hoher zeitlicher Präzision messen; mit der funktionellen Kernspintomografie, kurz fMRT, können wir Änderungen in der Durchblutung des Gehirns mit hoher räumlicher Präzision messen.

Einer Untersuchung zufolge trifft unser Gehirn schon sieben bis zehn Sekunden, bevor wir uns der Entscheidung bewusst werden,eine Wahl. Das hat die Diskussion ausgelöst, ob wir überhaupt einen freien Willen haben.

In dem Experiment sollten die Probanden entscheiden, wann sie einen Knopf mit welcher Hand drücken. Dabei wurden sehr aufwendige statistische Verfahren verwandt, um anhand der Hirndaten Entscheidungsmuster zu erkennen. Dies ist zwar ein enormer methodischer Fortschritt, das Ergebnis steht jedoch im Kontext dieses speziellen Experiments.

Das heißt, sie können Entscheidungen nicht generell vorhersagen?

Nein. Mit dem eben beschriebenen Experiment können Einzelentscheidungen zwar mit 55 bis 65 Prozent Wahrscheinlichkeit richtig vorhergesagt werden. Aber komplexe Entscheidungen korrekt vorherzusagen, vor allem solche mit vielen verschiedenen Wahlmöglichkeiten, davon sind wir noch weit entfernt. Unklar ist, ob sich der Befund, dass Absichten bereits Sekunden früher in der Hirnaktivität erkennbar sind, auch auf andere, alltagsrelevante Situationen übertragen lässt. Und ob bis zur Ausführung der Entscheidung eine Änderung oder gar Rücknahme der Entscheidung stattfinden könnte.

Kommen wir zur Intuition. Wie unterscheiden sich aus neurologischer Perspektive Kopf- und Bauchentscheidungen?

"Bauchentscheidungen" sind Entscheidungen, die intuitiv getroffen werden. Dabei gibt es häufig diesen Irrglauben: Treffen wir eine intuitive Entscheidung, kommt es uns so vor, als ob unser Gehirn dabei keine Rolle gespielt hätte. Dies ist nicht der Fall. Der Entscheidungsprozess mag für uns unbewusst abgelaufen sein, jedoch spielt hierbei auch das Gehirn eine wichtige Rolle, indem es auf Vorerfahrungen, also unser Gedächtnis, Wissen und unsere Erwartungen zurückgreift.

Was genau wird in den Entscheidungsprozess mit einbezogen?

Zusätzlich zu den aktuell verfügbaren Informationen im Wesentlichen unsere Erfahrungen, aber auch biologische Faktoren, Gene, sowie die Umwelt, Medien, die wir konsumieren, unsere Kultur. Alles wirkt gemeinsam auf das Gehirn und führt so zu einer unterschiedlich starken Neigung, neue Dinge auszuprobieren. Eine bestimmte Konstellation macht bestimmte Entscheidungen wahrscheinlicher als andere, wir können aber nicht davon ausgehen, dass unsere Entscheidungen durch diese Faktoren komplett festgelegt werden.

Treffen wir häufiger bewusste oder unbewusste Entscheidungen im Laufe unseres Lebens?

Das ist schwer zu quantifizieren. Es hängt davon ab, was man als Entscheidung definiert. Schließlich gehen auch Blickbewegungen, wo wir jeweils hingucken, Entscheidungen voraus. Um es kurz zu machen: Der weit überwiegende Teil unserer Entscheidungen läuft unbewusst ab. Es gibt hierzu eine Reihe von eleganten psychologischen Untersuchungen, die zeigen, dass viele Menschen komplexe Entscheidungen wie zum Beispiel Anlageentscheidungen oder die Wahl des Lebenspartners, eines Urlaubsziels oder des Berufs eher intuitiv lösen.

Womit sind Menschen im Vergleich häufiger zufriedener: mit schnellen oder sorgfältig überlegten, langsamen Entscheidungen?

Studien haben gezeigt, dass Menschen intuitive Entscheidungen zufriedener machen. Zum Beispiel haben Probanden, die sich innerhalb weniger Sekunden ein Poster auswählen, das Bild länger an der Wand hängen als jene, die bei der Auswahl lange gebrütet haben. Und Versuchsteilnehmer, die sehr lange über den Kauf einer neuen Küche nachgedacht hatten, waren hinterher mit ihrer Entscheidung unzufriedener als jene, die sich eher intuitiv entschieden haben.

Wie beeinflussen Zeitdruck oder Angst unsere Entscheidungen?

Dadurch wird unser Entscheidungsspielraum eingeschränkt. Bei Angst geht es dem Gehirn nur noch darum, drohende Gefahr abzuwenden. Das kann dazu führen, dass wir unsere Entscheidungskriterien ändern und unreife Entscheidungen treffen müssen, obwohl wir eigentlich noch nicht genug Information haben. Gleiches gilt für Zeitdruck. Allerdings gibt es auch Situationen, in denen wir besonders gut entscheiden, weil ein gewisser Zeitdruck da ist und wir nicht darüber nachdenken können, was wir tun. Zum Beispiel weiß man, dass ein Fußballer unter Zeitdruck besser entscheidet, wohin und wie er den Ball schießen soll, als wenn er viel Zeit hat und beginnt darüber nachzudenken.

Warum sind manchmal scheinbar einfache Entscheidungen schwierig, wie zum Beispiel Essen zu bestellen im Restaurant?

Es gibt Menschen, die möchten einfach das bestmögliche Ergebnis erzielen, naturgemäß denken sie länger über eine Entscheidung nach. Ist die Menge der Wahlmöglichkeiten zusätzlich groß, haben sie die sprichwörtliche Qual der Wahl. Schnell-Entscheider hingegen versuchen nur, die erstbeste Lösung zu finden, die bestimmte Kriterien erfüllt und sind damit zufrieden.

Was wollen Sie als nächstes über menschliches Entscheidungsverhalten herausfinden?

Es gibt noch viel zu entdecken. Schließlich ist die Entscheidungsforschung mit den bildgebenden Verfahren noch ein recht junges Forschungsfeld. Spannende Fragen sind derzeit, wie sich Unterschiede in den Genen auf die Entscheidungsfindung auswirken oder wie soziale Faktoren, wie die Meinungen und Ratschläge anderer, unsere Entscheidungen beeinflussen.