“Don“ Victor Carranza ist Kolumbiens geheimnisvoller Edelsteinkönig. Ein Heer von 2000 Leibwächtern schützt ihn vor Killern, Kidnappern und Konkurrenten. Kaum jemand kennt den Multimilliardär. Er lebt gefangen in seiner eigenen Welt.

Puerto Lopez. Er trägt Panamahut, Schnauzbart, kurze Hose. Die Füße stecken in Badeschlappen, über der linken Schulter hängt ein Sommerponcho, der wie ein Geschirrtuch aussieht. Damit tupft sich "Don" Victor Carranza, Smaragd-Zar, Multimilliardär, den Schweiß von den Schläfen. Nahe dem Provinznest Puerto Lopez im Bundesstaat Meta, fünf Autostunden von der Hauptstadt Bogotá entfernt: Es ist später Nachmittag, drückend schwül, die tropische Landschaft flach wie ein gut trainierter Männerbauch. Am Rand der Ebene erstreckt sich die Silhouette der Anden. In dieser betörenden, aber wegen der Gesellschaft zahlreicher Anakondas und Piranhas, die an und in den Sümpfen und Seen lauern, nicht eben einladenden Umgebung steht Don Victors Lieblings-Hacienda "Ginebra", Genf.

Rein äußerlich hat Victor Carranza große Ähnlichkeit mit Gabriel Garcia Marquez, nur ist sein Metier weniger feinsinnig als das des Literaturnobelpreisträgers. Der steinreiche Mann schnüffelt mit der Nase, als nähme er Witterung auf. Sein Händedruck verrät, dass er auch mit 71 noch kräftig zupacken kann. Mit einer Kopfbewegung deu-tet er auf einen nahen Baum: "Vorsicht. Hier wird manchmal scharf geschossen."

Wie auf Befehl löst sich eine reife Mango aus dem Geäst, klatscht als gelber Brei auf den Boden. Carranza hält sich den Bauch vor Lachen. Und die fünf Leibwächter, die den ersten von mindestens zwei bis maximal sechs Sicherheitsringen um ihren Boss bilden, Pistolen im Holster, Maschinenpistolen und Handgranaten in schwarzen Umhängetaschen, prusten ebenfalls los.

Nur wenige Kolumbianer haben Victor Carranza je zu Gesicht bekommen. Aber wohl jeder im Land kennt seinen Namen. Er ist eine lebende Legende, einer der größten Landbesitzer und Viehzüchter des südamerikanischen Andenstaats, einer der reichsten Südamerikaner. Vor allem jedoch: Herrscher über die ebenso berühmten wie berüchtigten Smaragdminen rund um den 5000-Seelen-Ort Muzo in der Provinz Boyacá.

60 Prozent aller auf der Welt gehandelten Smaragde stammen aus Carranzas Minen. Steine im Wert von rund 400 Millionen Dollar gelangen pro Jahr von hier aus in den internationalen Handel, noch einmal die gleiche Menge auf den schwarzen Markt, schätzen Insider. Ohne Zweifel ist Victor Carranza seit fast zwei Jahrzehnten der einflussreichste Mann im weltweiten Smaragd-Business.

Die mit den Inka verwandten Muisca-Indianer haben die so ergiebige Edelstein-Fundstelle in Muzo vor ein paar Tausend Jahren entdeckt. In den Legenden der Indianer sind die Smaragde die "Tränen der Götter".

An ihnen klebt Blut. Kriege wurden um das grüne Gold der Anden geführt. Als der letzte vor 18 Jahren endete, war Carranzas Aufstieg vom armen Bauernsohn zum mächtigen Boss der Smaragdbranche besiegelt: 5000 Menschen starben bei dem finalen Konflikt zwischen Edelsteingangs und Kokainkartellen. Carranza hat den "grünen Krieg" gewonnen. Seitdem herrscht Frieden.

Für die meisten Bewohner der etwa 20 Ortschaften um die Minen und die vielen Smaragdsucher, die Guaqueros (Geröllgeier) und Mineros (Minenarbeiter), die mit Schaufel und Spitzhacke in den Schächten, Flüssen und im Geröll nach den grünen Splittern suchen, für die etwa 150 000 Kolumbianer, die heute von den Edelsteinen leben, ist Carranza Heilsbringer und Volksheld. Für viel mehr Kolumbianer jedoch einfach nur einer der ganz großen Mafiabosse im Land. Die kolumbianische Regierung hat sich in den brutalen Wirren des Krieges um die edlen Steine ganz aus der Smaragdregion zurückgezogen und 1990 Carranzas Minengesellschaft Tecminas eine 50-Jahres-Konzession ausgestellt. Jahrelang durfte er herrschen, wie er wollte; erst seit Kurzem versucht die Regierung, ein Mindestmaß an staatlicher Autorität wiederzuerlangen. Doch noch immer muss Carranza keine Steuern zahlen und nur einen geringen Teil seines gigantischen Gewinns an den Staat abführen.

Auf seiner Hacienda erklärt Caranza sein Geschäftsmodell. "Ich habe die Minen verpachtet. Die Pächter kümmern sich um die Erschließung neuer Vorkommen, um Arbeiter und Maschinen", und weiter: "Ich beschäftige in Muzo nur ein paar Verwalter, Berater und Informanten, es entstehen mir kaum Kosten."

Dafür gehört ihm die Hälfte der gesamten Ausbeute, über deren Höhe er sich jedoch beharrlich ausschweigt. Zudem besitzt er das Vorrecht, bei jeder Auktion als erster einen Blick auf die Edelsteine zu werfen: "So geht mir kein besonders großes oder wertvolles Exemplar durch die Lappen."

Zikaden zirpen. Der Pool plätschert. Drinnen im Haus, wo Deckenventilatoren die tropische Hitze umwälzen und kitschige Kuckucksuhren ticken, duftet es nach gegrilltem Fisch und Fleisch. Blanca Carranza, 65 Jahre alt, seit 47 Jahren mit Don Victor verheiratet und Mutter von fünf gemeinsamen Kindern, schenkt Fruchtsaft ein. Sie sagt nicht viel. Sie lächelt nur. Bei Fragen verweist sie stets devot auf ihren Mann.

Seine Smaragdsammlung sei so wertvoll, dass nicht mal Bill Gates sie ihm abkaufen könne, prahlt Carranza. Sagenhafte zwei Kilo wiege sein größtes Exemplar.

Wo er die Steine aufbewahrt? "Nicht in Banken." Wie viel Vieh und Fincas er besitzt? "Ziemlich viel." Ganze Inseln in der kolumbianischen Karibik und halbe Bundesstaaten in seinem Heimatland, das doppelt so groß ist wie Frankreich, gehören ihm; insgesamt soll sein Landbesitz so groß sein wie das deutsche Bundesland Bayern.

Gemeinsam mit fünf Brüdern und einer Schwester ist er in ärmsten Verhältnissen aufgewachsen. Die Eltern waren Bauern und sind sehr früh gestorben. Nur drei Jahre hat Carranza die Schule besucht. Schon als Kind habe er gelernt zu kämpfen. Sich mit allen Mitteln und um jeden Preis durchzusetzen. Seine Vita fasst er selbst so zusammen: "Mit acht fand ich meinen ersten Smaragd. Mit zwölf gründete ich meine erste Firma. Mit 16 besaß ich meine erste Mine. Mit 18 wurde ich Don Victor genannt."

Wer in Kolumbien ein Don sein will, wer in diesem Geschäft reich und mächtig werden will, muss ein besonderes Maß an Skrupellosigkeit besitzen - und sich damit abfinden, dass er Feinde hat, die ebenso skrupellos sind. Carranzas Name steht ganz oben auf der Todesliste der linken Guerilla, der Revolutionären Streitkräfte (Farc) und der Nationalen Befreiungsarmee (ELN). Die Guerilla, 22 000 Söldner stark, verdächtigt den Milliardär, ihren Erzfeind, die rechten Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC) finanziell zu unterstützen. Beide Terrororganisationen liefern sich seit über 40 Jahren einen grausamen Bürgerkrieg.

Auf Carranzas Grund und Boden wurde ein Massengrab gefunden. Er wird verdächtigt, eine Folterschule betrieben zu haben. Seine angeblichen Beziehungen zu den für unzählige Massaker verantwortlichen Paramillitärs haben ihm Ende der 80er-Jahre Untersuchungshaft und von 1998 bis 2001 einen Gefängnisaufenthalt beschert, aber darüber will er nicht sprechen. Die Untersuchungen sind noch immer nicht abgeschlossen.

"Ich bin kein Freund der Guerilla, stehe aber mit den rechten Milizen in keiner-lei Verbindung", beharrt Carranza.

Trotzdem hat die Farc zehn Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt. Sprengsätze sind explodiert, Autos wurden beschossen. Zwei Dutzend seiner Leibwächter haben ihren Job nicht überlebt. Angeblich liegen ständig mehrere getrennt voreinander operierende Kidnapping-Kommandos der Farc auf der Lauer.

Auf Gewalt antwortet Carranza mit Gegengewalt. 2000 Mann ist seine Leibgarde stark. Die Regierung des Landes hat ihm zwei Ultimaten gesetzt: Er soll den Waffenbestand seiner Privatarmee drastisch reduzieren und in seinem Smaragdreich dafür sorgen, dass die Kokafelder vernichtet werden. In den letzten Jahren wurden dort 80 Drogenlabors ausgehoben, berichtete Kolumbiens größte Tageszeitung "El Tiempo" kürzlich. 5000 Hektar seien noch immer mit den verbotenen Sträuchern bepflanzt.

Auch mit dem Kokainhandel habe er nichts zu tun. Seine Drogen seien einzig die Edelsteine, versichert Carranza. Punkt und aus.

Im gegen Minen und MG-Beschuss gepanzerten Toyota Landcruiser geht es in die nur einen Kilometer entfernte Kleinstadt am Meta-Fluss. "In Puerto Lopez kann ich mich frei bewegen", schwärmt Carranza. Das heißt jedoch, dass ihn auch hier Leibwächter abschotten. Der Milliardär ist in seiner Welt gefangen. Sein Traum ist es, einmal ganz alleine durchs Land zu reiten. Vom Amazonas im Süden bis hinauf an die karibische Küste im Norden. Doch er weiß selbst nur zu genau, dass er auch mit dem schnellsten Gaul nicht weit kommen würde. Dass es für ihn keinen Weg zurück ins normale Leben gibt. Und so fühlt er sich schon "glücklich", wenn er sich mal bei Dunkelheit ein bisschen unters Volk mischen kann: "Viele der Menschen hier arbeiten für mich. Ganze Familienclans leben von dem, was ich ihnen zahle. Sie sehen alles. Sie melden alles. Sie sind meine besten Soldaten."

Routiniert beziehen die Bodyguards im Umkreis eines Straßencafés Stellung. Sicherheitschef Jorge Santander, 44, Ex-Offizier des kolumbianischen Geheimdienst DAS, sowie zwei andere bleiben nahe beim Boss.

Der ordert Anisschnaps. Aguardiente Cristal, 34 Prozent. Carranza spricht von seinen fünf Kindern: Ein Sohn ist geistig behindert. Ein anderer, Tierarzt in Florida, lebt dort unter anderem Namen. Der älteste, Hollmann, ist Verwalter in der Muzo-Mine.

"Hollmann kann leider nicht in meine Fußstapfen treten", klagt Carranza. "Er hat kein Herz. Keinen Biss. Als mein Nachfolger würde er nicht lange leben."

Eine Tochter ist Künstlerin, die andere Hausfrau; mit einem Bankdirektor verheiratet. Einen Thronfolger zu finden, sieht der 71-Jährige als seine dringlichste Aufgabe. Doch es ist noch keiner in Sicht.

Don Victor ist reich, mächtig, brutal und wirkt gleichzeitig einfach wie ein netter, einsamer alter Mann. Einer, der sich alles leisten kann und es gar nicht will. "Einen Bell-Helikopter und eine Cessna besitze ich zwar, aber nur, weil es oben oft sicherer für mich ist als unten." Bevor er eine Yacht anschaffe, kaufe er lieber ein Kanu. Das sei gut für die Muskeln: "Als einzigen Luxus habe ich mir in letzter Zeit neue Zähne geleistet. Und Straußenlederstiefel. Die waren auch nicht gerade günstig. Halten aber eine halbe Ewigkeit." Während er so spricht, spitzen die Männer in Hörweite die Ohren und feixen.

Später, wieder zurück auf der Hacienda, verrät Carranzas Koch Luis Carlos: "Don Victor zahlt mir schlappe 50 Dollar im Monat. Das ist Mindestlohn in unserem Land. Er ist ein guter Patron. Aber kein großzügiger." Einer seiner Leibwächter beschreibt das Leben des Paten als unstet.

"Die Wege des Don sind unergründlich. Er weiht niemanden ein. Nicht mal seine Familie. Er lässt sich nur von seinem Instinkt leiten. Oft gibt er mitten in der Nacht Befehl zum Abmarsch. Weil er sich plötzlich nicht mehr sicher fühlt. Oder aus irgendeiner Quelle eine Warnung erhalten hat. Dann fahren wir woanders hin, wechseln mehrmals die Wagen, sind 30 Stunden am Stück unterwegs. Es ist kein leichter Job. Aber es ist auch nie langweilig."

Spontanaufbrüche gehören zu Carranzas Überlebensstrategie: "Die Geschäfte rufen", raunt er am dritten Morgen; ohne Vorankündigung, im Vorbeigehen. "Wir sehen uns noch. In Muzo, in Bogotá oder im Himmel."

In Keilformation brettert die gepanzerte Wagenkolonne nach Norden. In Richtung der Anden, wo sich dunkle Wolken türmen und ein tropisches Gewitter aufzieht. Carranza bleibt einige Tage abgetaucht. In Muzo wird gemunkelt, dass er jeden Moment eintrifft. Ein lokaler Patron mit dem für seine Zunft obligatorischen Panamahut, blitzsauberen Jeans und Cowboystiefeln, will sogar auf dem Weg zum großen "Don" sein. Aber das heißt gar nichts.

Plötzlich surrt das Telefon. Die Nachricht von Sicherheitschef Santander ist kurz: "Treffpunkt Bogotá. Morgen."

Kolumbiens Neun-Millionen-Metropole liegt auf einem Hochplateau inmitten der Anden. 2900 Meter über dem Meeresspiegel. Carranzas Residenz liegt im Nobelviertel Santa Anna, wo überall elektronische Augen und Ohren installiert sind, die Mauern Stacheldraht tragen und Limousinen schusssichere Scheiben haben. Die Gärtner schneiden unkonzentriert die Hecken, in den meisten Fällen sind sie Sicherheitsleute. Und nirgendwo steht der Name des Villenbesitzers am Klingelknopf.

Das Haus des Smaragdkönigs ist kein Palast. Putz bröckelt von den Wänden, Linoleumbelag in Küche und Bädern. Überall stehen schnörkelige Figuren und Skulpturen aus Keramik und Porzellan um die neobarocken Möbel herum. Über dem Kamin im Wohnzimmer hängt ein Selbstporträt in Öl von1990. Es zeigt Victor Carranza als stolzen Macho mit hellem Hut, der gerade einen Krieg gewonnen hat.

Ein paar misstrauisch guckende Geschäftsmänner und ein Anwalt in Anzug und Krawatte sitzen auf Carranzas weißen Ledersofas. Die Atmosphäre ist angespannt, der Hausherr fahrig und gestresst. Die Mundwinkel hängen herunter, die Augen sind rot gerändert. Laufen die Geschäfte schlecht? Gibt es Ärger mit der Staatsanwaltschaft? Ist die Farc ihm auf den Fersen?

Er greift in die Taschen seiner Jacke und zieht ein paar Plastiktüten mit faszinierend funkelndem Inhalt heraus. Die geschliffenen Steine sind sechs Millionen Dollar wert, schätzt Carranza. Die Rohsmaragde, zum Teil kinderfaustgroße Exemplare, taxiert er auf 14 Millionen: "Einige haben das Zeug, mal Kronjuwelen zu werden."

Dann verschwindet er schon wieder mit seinem gepanzerten Tross von Sicherheitsleuten und Stiefelleckern. Steinreich und doch so bettelarm. Gefangen in einem mobilen smaragdgrünen Käfig. Und vermutlich weiß nicht mal er selbst, wohin die Reise geht.