Mit 16 verliebte er sich in ein Bild des norddeutschen Malers Horst Janssen, mit 33 Jahren ist Rik Reinking nun einer der ungewöhnlichsten KunstsammlerDeutschlands. Was Rik Reinking an Hamburg katastrophal findet und warumKarlsruhe die spannendste Kunststadt ist, hat er in seinem Eimsbüttler Ateliererzählt. Das Portrait eines ewig Suchenden.

Kunst kommt und geht. Wird in riesigen Formaten von einem Lkw aus Berlin angeliefert, macht sich wieder auf den Weg in eine Galerie im dänischen Silkeborg. Sie steht herum und wartet darauf, aus Folien und Decken geholt, in die Ausstellungsräume zu gelangen. Ihr Umschlagplatz ist in Hamburg Eimsbüttel. Ein Hinterhof, der schon einmal bessere Zeiten gesehen hat. Der Putz ist abgebröckelt, die ursprüngliche Farbe nicht mehr wirklich auszumachen, hier an der Sillemstraße, wo früher einmal Rollstühle und Gehhilfen verkauft wurden. So verfallen der Hof auch wirken mag, hier geht es lebendig zu: Vier Männer schleppen Hoch- und Querformate, Rollen und Kartons in das ehemalige Fabrikgebäude. Es ist heiß an diesem Nachmittag, die Männer ächzen und schwitzen. Karl Valentins Worte passen hierher: "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit."

Innen sieht es schon gar nicht mehr so heruntergekommen aus. Vor allem das Interieur zieht die Blicke auf sich. Auf dem Boden und an den Wänden stehen und hängen Skulpturen, Bilder und Installationen, übereinander, hintereinander, nebeneinander - überall Kunst.

Hier hütet der Hamburger Kunstsammler Rik Reinking seine Schätze. Eine Aura von Aufbruch, von Umbruch umgibt die Exponate. Gerade hat er das Nachbarhaus dazugemietet, um neben seinem bisherigen Büro ein Archiv einrichten zu können. Dort, wo im Moment noch graue Wände das Morbide verstärken, das Rik Reinking so mag, entsteht gerade eine Galerie. Im Moment ziert nur ein riesiges Bild des Hamburger Künstlers DAIM den großen Raum. Grau und neongelb wie ein Graffiti. DAIM, ein Urban Artist, den der 33-Jährige mit seiner Firma Reinkingprojekte vertritt. Daneben, etwas achtlos abgestellt, vier typische Arbeiten des jungen britischen Künstlers Banksy, berühmt geworden durch sogenannte Stencils, Sprühschablonenbilder mit politischen Botschaften, wie das von einem Mädchen mit einer Bombe im Arm. Sie sind auf Mauern in aller Welt zu finden und mittlerweile so begehrt, dass Menschen sie aus dem Stein brechen und mitnehmen.

"Ich mag diesen jungen, frechen Künstler, der für ein Werk genauso lange braucht, wie ein Besucher in einem Museum für die Betrachtung eines Bildes, nämlich nicht mehr als drei Sekunden!", sagt der Sammler. Und dann holt er das "Mädchen" aus dem Lager: eine Skulptur des Künstlers Mark Jenkins, die dessen Freundin nachempfunden ist, anstatt des Kopfes allerdings eine große Teddybärmaske trägt. Unheimlich wirkt diese lebensechte Figur in Jeans und Skijacke. Das Spiel mit Identitäten reizt Rik Reinking. Aktuelle Urban Art, auch häufig als Street Art bezeichnet, sammelt er, genauso wie Minimal Art und Konzeptkunst aus den 60er-Jahren. Von Künstlern aus England, Brasilien und Deutschland - vor allem aus Berlin und Hamburg.

Seine Privatsammlung verleiht er an Museen und Galerien, gern an kleinere Häuser, die mit keinem großen Etat gesegnet sind. Er sei ausschließlich seinem eigenen Geschmack verpflichtet, betont er. "Ich schaue mir Dinge an, die mir gefallen." Das gäbe ihm auch die Chance, antizyklisch zu sammeln, heute eine der wenigen Möglichkeiten, Kunstwerke zu moderaten Preisen zu kaufen.

Die Kunstwerke, die im Eimsbütteler Atelier stehen, sind ein Teil seiner Sammlung. "Daneben gibt es eine Kunstsammlung im Kopf, eine Art private Favoriten." Gemeint sind Werke von Lieblingskünstlern, die jeder Sammler gern hätte. Für Rik Reinking sind es zum Beispiel David Hammons, Robert Filliou, Jimmie Durham und Gerhard Hoehme. "Nicht gerade prominente Namen, für mich aber deshalb nicht minder wertvoll."

Welchen Wert hat Kunst für ihn überhaupt? "Kunst ist heute das wert, was jemand bereit ist, dafür zu zahlen." Und er spricht von der Magie der Summe, davon, dass der Markt die Preise einiger elitärer Künstler in atemberaubende Höhen schraube. Diese Preise zahlen seiner Meinung nach nur Leute, die sich Kunst als Prestigeobjekt an die Wände hängen. Kunst entwickle sich mehr und mehr zum Investment. Während noch vor 30 Jahren Sammler unbedingt einen Lüppertz oder einen Immendorff in ihrer Sammlung brauchten, kaufen heute viele etwas, das 100 000 Euro oder mehr wert ist - und nicht das Werk eines Künstlers. Zu diesen Großwildjägern zählt Rik Reinking sich nicht, er spricht von Leidenschaft, von einer Art persönlicher Zuneigung. Der Hamburger, der Jura und Kunstgeschichte studierte, finanziert seine Leidenschaft mit Suchaufträgen für andere renommierte Sammler. "Viele von ihnen haben nicht genügend Zeit, sich selbst auf die Suche zu machen oder kommen bei einigen Kunstwerken nicht weiter."

Etwa 200 Tage im Jahr ist er in der ganzen Welt unterwegs, besucht Galerien und Messen, trifft Künstler und bekommt so eine Menge von dem mit, was in der Szene los ist. Fast nebenbei bestückt er auf diese Weise seine eigene Sammlung. Reinking ist dabei genauso unprätentiös wie einer der Arbeiter, der gerade Pause macht. In abgewetzten Jeans und Turnschuhen, auf einem Gartenstuhl sitzend. Nur, dass er ständig auf sein Mobiltelefon guckt, mit dem Schlüsselbund spielt. Nervöse Betriebsamkeit. "Ich bewege gern Dinge", sagt der Hamburger.

Rik Reinking hatte schon früh den richtigen Riecher. Kunst war Schuld daran, dass der damals 16-Jährige regelmäßig zu spät zur Schule in Oldenburg kam, sagt er. Auf dem Weg dorthin blieb er immer wieder an einem Schaufenster mit einem bestimmten Bild hängen - ein Selbstporträt des Malers Horst Janssen. "Ich habe mich in dieses Bild verliebt, wollte es unbedingt haben", erinnert sich Rik Reinking. Der Ladenbesitzer, eigentlich auf Kinderbücher spezialisiert, mit einer kleinen Kunstsammlung in der Ecke, hatte ein Herz für den jungen Kunstfan. Reinking erstand den Janssen für 200 Mark. Eine Summe, die für den Jugendlichen damals zu groß war, als dass er sie hätte sofort begleichen können. Nach und nach stotterte er sie von seinem Taschengeld ab.

Dieses Finanzierungsmodell hat sich mittlerweile überholt, geblieben ist die Liebe auf den ersten Blick: "Ich kaufe Kunst mit den Augen, nicht mit den Ohren", sagt Reinking. Natürlich hätte er gern Arbeiten von Joseph Beuys, ist stolz auf zwei Werke des gerade verstorbenen amerikanischen Künstlers Robert Rauschenberg. Aber es geht ihm nicht darum, mit Namen zu beeindrucken, die jeder kennt. "Für mich ist Kunst wie essen und trinken", sagt Rik Reinking. "Sie gehört zum täglichen Leben dazu, ist kein Luxus." Schon gar nicht einer, mit dem man sich schmückt oder darstellt. Schwierig wird es dann auch für den Fotografen, Reinking vor einem seiner Kunstwerke zu fotografieren. Es wirkt so, als würde er am liebsten hinter ihnen verschwinden.

Apropos verschwinden: Würde er sich in Eimsbüttel nicht so verdammt wohl fühlen, hätte er Hamburg, "einem katastrophalen Platz für Kunst", längst verlassen. Zu wenig Förderung, zu hohe Mieten, sodass junge Künstler sich keine Ateliers leisten können. Dazu sei kaum Interesse für Kunst erkennbar, so das harte Urteil des Sammlers. "Hamburg hat viel Potenzial, lässt aber seine Talente ziehen." Reinking ist sogar der Meinung, dass Hamburger Künstler erst bekannt werden, nachdem sie die Stadt verlassen haben.

Traurig findet er das, denn Kunst gäbe einer Stadt die Chance, sich international zu präsentieren. Wie zum Beispiel bei dem Projekt Sculpture@CityNord, das er 2006 zusammen mit internationalen Künstlern realisierte, und das für viel Aufsehen - zumindest außerhalb Hamburgs - sorgte. Dass Rik Reinking mit seiner offenen Kritik vielen Kulturschaffenden ein Dorn im Auge ist, stört ihn nicht. Aber ein bisschen zur Ruhe kommen würde er in Zukunft ganz gern, sich einrichten, ankommen. Ruhe ist wichtig. Zu beobachten in der für Reinking im Moment spannendsten Kunst-Stadt: Karlsruhe. "Überraschend, nicht?", fragt er verschmitzt. Wohl wissend, dass sie für den durchschnittlichen Deutschen eher für Recht und Ordnung als für kreatives Chaos steht. Aber: "Dort an der Hochschule ist der Druck auf die Künstler nicht so groß wie in anderen Städten, sie haben Zeit sich zu entwickeln."

Und entdeckt zu werden. Vielleicht von Rik Reinking.