Die einstündige Wanderung hat nichts mit Wissensfragen oder Denksport zu tun. Einfache Übungen und immer neue Herausforderungen an der frischen Luft fördern die Konzentration. Wir haben eine Gruppe bei der Hirnschulung begleitet.

Was haben genoppte Bälle, Basilikumblätter und der rechte kleine Finger mit den kleinen grauen Zellen zu tun? Eine ganze Menge, meint Stefanie Probst. Die Psychologin leitet an einem Sonntagvormittag im Hirschpark eine Gruppe zu einem besonderen Spaziergang an. Sie wollen eine Stunde durch den Park an der Elbchaussee flanieren - und dabei etwas für ihr Gehirn tun: "Brainwalking".

"Das ist irgendwas mit den Sinnen", hat Andreas Seidel (43) gehört. Der Projektleiter will das "nun mal ausprobieren". Anke Neumann (30), die ebenfalls zum ersten Mal dabei ist, sagt: "Hoffentlich muss man beim Gehen nicht noch Kompliziertes rechnen." Stefanie Probst (40) kann alle beruhigen. Wissen oder Denksport sind nicht gefragt. Die wichtigste Regel lautet: "Machen Sie nur mit, was Ihnen Spaß bringt, es geht hier nicht um Leistung."

Um das Gehirn zu aktivieren, hat sie ganz einfache Mittel mitgebracht. Kleine genoppte Bälle werden an die Teilnehmer verteilt: "Bei eins den Ball in einer Hand drehen, bei zwei hinter dem Rücken in die andere Hand geben." Insgesamt gibt es Anweisungen bis zur Zahl fünf. Die Gruppe marschiert los, Stefanie Probst vorneweg. "Drei", ruft sie und die Teilnehmer tauschen ihre Bälle mit dem Nachbarn. "Fünf." Alle Bälle fliegen in die Luft. Einige Parkbesucher schauen verdutzt. Andere grinsen. "Eins." Was war das noch? Verstohlene Blicke zum Nachbarn. Nach einigen Minuten haben alle den Dreh raus.

"Zuerst sind die Bewegungsabläufe noch etwas holprig", sagt Stefanie Probst bei einem kurzen Stopp. Die Reize, die wir über die Sinnesorgane aufnehmen, verarbeitet das Gehirn blitzschnell in mehreren Etappen. Die Bearbeitung im Kurzzeitspeicher dauert nur fünf bis sechs Sekunden. Hier wird aussortiert, was wichtig ist und ins Gedächtnis übergehen soll und was man vergessen kann. "Mit einfachen Übungen kann man die Verarbeitungsgeschwindigkeit steigern", weiß Stefanie Probst.

Die Gruppe biegt in eine von Linden gesäumte Allee ein. Die folgende Aufgabe erinnert an ein Kindergartenspiel. Die Finger durchnummerieren und dann miteinander verbinden. Also die Nummer eins - der linke Daumen - berührt die Nummer zehn - den rechten kleinen Finger. Im Weitergehen ruft Stefanie Probst "drei und sechs", und die Brainwalker schauen angestrengt auf ihre Finger, bevor sie den linken Mittelfinger an den rechten Daumen legen. "An jedem Finger sitzen 4000 Nervenzellen", sagt Probst. "Wenn wir alle zehn Finger bewegen, werden 40000 Signale ans Gehirn gesendet und aktivieren einen großen Anteil der Gehirnzellen." Man kann sich besser konzentrieren. Aus dem Alltag kennt das jeder: Telefonieren und dabei auf Papier herumkritzeln, hält das Gehirn wach.

Bei der nächsten Übung darf nur getastet werden. "70 bis 80 Prozent unserer Sinneswahrnehmungen geschehen über die Augen, die haben jetzt mal Pause", lautet die Anweisung. Ohne hinzuschauen, sollen sieben kleine Holzbuchstaben und sieben Gegenstände ertastet und beim Gehen weitergereicht werden. Ob man jetzt ein H oder E in der Hand hat, ist nicht einfach herauszufinden. "Ich frage mich, ob das im Sitzen am Schreibtisch nicht besser geht", überlegt Werner Matschke (71), der mit seiner Frau Heide (67) beim Brainwalking mitmacht.

Doch gerade das Gehen tut den kleinen grauen Zellen erst richtig gut. "Bewegung erhöht die geistige Leistungsfähigkeit um 20 Prozent", heißt es. Die frische Luft ist ein weiterer Pluspunkt. "Die Arbeit des Gehirns raubt Sauerstoff: 70 Liter in 24 Stunden, deshalb ist das Gehirnjogging an der frischen Luft am effektivsten", so die Gehirntrainerin. Das gilt auch für die Arbeit. Lässt die Konzentration nach, Fenster öffnen oder kurz an die Luft!

Für geistige Fitness im Alltag sorgt auch rückwärts buchstabieren. Ob "Gras", "Baum" oder "Rasenmäher" - das Gehirn freut sich. Es braucht immer neue Herausforderungen, sonst verkümmert es, ähnlich wie ein ungenutzter Muskel, prophezeit Stefanie Probst.

Auch andere Sinne kommen auf dem Spaziergang nicht zu kurz. So schnuppern die Teilnehmer mit geschlossenen Augen an mitgebrachten Gartenkräutern von Basilikum bis Petersilie. "Im Alter nimmt der Geruchssinn ab", sagt Stefanie Probst. "Das sind ja schöne Aussichten", murmelt eine Mittvierzigerin. Doch die positive Nachricht folgt sogleich. Auch die sinnliche Wahrnehmung kann man trainieren: "Öfter mal bewusst an Kräutern riechen und beim Kochen verwenden!"

Weiter geht's mit Hörproben und Gedankenspielen. In der letzten Aufgabe wird eine Einkaufsliste erstellt, aber ohne Notizen. "Sieben Dinge kann sich das Gehirn meist gut merken, am eigenen Körper klappt es auch mit zehn", behauptet Stefanie Probst. Das wird sofort ausprobiert. Die Füße werden mit der Milch verbunden, die Oberschenkel balancieren Honig, Tomaten hängen am Hals, der Kopf trägt Marmelade. Frage- und Antwortspiel im letzten Parkabschnitt: "Hüfte?" fragt Stefanie Probst, "Brot!" rufen die Teilnehmer fast im Chor. Dann ist Schluss.

"Das wäre ja ein Witz im Supermarkt, aber merken kann man sich das schon", meint Familie Matschke. Anke Neumann fand die "Tast- und Riechübungen" gut. Und Andreas Seidel nimmt sich geistige Fitness-Übungen jetzt auch fürs Büro vor. Täglich zehn Minuten reichen schon, um sich besser konzentrieren zu können, weniger stressanfällig und vergesslich zu sein. Heute, sind sich alle einig, hat es geklappt.