Im August beginnt für viele Jugendliche die Ausbildungszeit, Lehrlinge wagen den ersten Schritt in den neuen Job. Bis dahin testet Abendblatt-Redakteurin Anne Dewitz die beliebtesten Ausbildungsberufe - und solche, die die meisten Stellen frei haben. Heute: Wie 300 Sorten Brot duften. Und warum es sich für einen Bäckerlehrling durchaus lohnen kann, mitten in der Nacht aufzustehen.

Der Wecker klingelt. Es ist drei Uhr. Morgens! Oder besser gesagt in der Nacht. Eindeutig nicht meine Zeit. Doch in der Bäckerei Hönig in Niendorf erwartet man mich schon. Und so quäle ich mich aus dem Bett und mache mich auf den Weg.

In der Backstube herrscht schon reges Treiben. Schließlich wollen die Kunden ihre Brötchen pünktlich auf dem Frühstückstisch haben. Dabei wirbt die Bäckerei auf ihrer Internetseite damit, dass Zeit ihre Methode sei. Sie ließen den Gebäcken Zeit sich zu entwickeln und Geschmack zu bilden, heißt es dort. Doch was für Gebäck gilt, muss für Bäcker längst nicht gelten.

Wer glaubt, in einer Backstube dufte es verführerisch, der täuscht sich. Nicht um drei Uhr morgens. Den Duft muss man sich erst einmal erarbeiten. Also Ärmel hochkrempeln und Schürze umbinden. Gewöhnt man sich eigentlich an das frühe Aufstehen? Ich persönlich kann es mir nicht vorstellen. Aber Job ist Job. Da kann man nicht einfach liegen bleiben. Ohne Koffein läuft bei mir um diese Zeit gar nichts. Also organisiert mir Martin Schlachter, der schon seit acht Jahren in der Bäckerei Hönig arbeitet, erst einmal einen großen Pott Kaffee. Schwarz wie die Nacht. Jetzt kann es losgehen.

Zuerst müssen zwei verschiedene Teigsorten für Brote angerührt werden: Weizen- und Roggengemisch. Mehlsäcke muss hier niemand mehr schleppen. Auch wenn die Jungs so aussehen, als würde ihnen das nichts ausmachen. Per Knopfdruck schießt das Mehl vom Lager durch eine Leitung in den Mehlsilo und von dort in die Rührschüssel. Martin Schlachter fügt lauwarmes Wasser, Hefe und eine Prise Salz hinzu. Das Rühren übernimmt dann wieder die Maschine.

Technik, die das Arbeiten erleichtert und den Beruf auch für Frauen attraktiver werden lässt. So stieg auch der Anteil der weiblichen Bäcker-Auszubildenden in den vergangenen Jahren kontinuierlich. Aktuell sind es mehr als 2800 junge Frauen, die im zweitältesten Gewerbe lernen, wie Michael Lienau, einer der Angestellten, das Bäckerhandwerk gern nennt.

Hier in der Backstube arbeiten allerdings ausschließlich Männer. Jeder hat seine Aufgaben, seinen Platz. Zwei Männer überwachen die Backöfen, andere kneten Teig oder stehen an der Brötchenpresse. Die Anzahl der Brote und Brötchen, die gebacken werden müssen, ändert sich jeden Tag. Den Bedarf errechnet der Chef, Hans-Günter Hönig, jeden Tag neu.

Im Raum nebenan stehen die Konditoren und fertigen Kuchen und Torten an. In Deutschland sind Bäcker und Konditor zwei verschiedene Berufe, für die verschiedene Gesellenprüfungen abgelegt werden müssen.

Martin Schlachter legt mir einen großen Klumpen Teig vor die Nase. Daraus soll ich jetzt ein Brot formen. Was den Männern links und rechts neben mir ein Kinderspiel ist, entwickelt sich bei mir zum mittelschweren Desaster. Der Teig klebt erst an meinen Fingern, dann am Tisch fest. Das wird im Leben kein Brot. Andy Bornholdt schnappt sich meine Skulptur, die in jeder modernen Kunstausstellung einen Ehrenplatz verdient hätte, knetet sie kurz durch und formt in null Komma nichts einen perfekten Brotlaib. Angeber. Dann können die Brote "geschossen" werden. Das ist Bäckerslang und heißt, sie können in den Ofen geschoben werden.

In der Backstube herrscht jetzt ein kontrolliertes Gewusel. Alles muss schnell gehen. Denn um halb fünf kommen die Fahrer, um die ersten Brötchen auszuliefern. Jeder Handgriff sitzt. Backformen werden mit Fett ausgespritzt. So lässt sich das Brot nach dem Backen einfacher aus der Form lösen. Die Rohlinge für das Laugengebäck werden in einen Behälter mit Lauge getaucht. Nun müssen Brötchen in der Mitte angeschnitten, mit einer Käse-Körner-Mischung bestreut und Croissantteig für den nächsten Tag vorbereitet werden. Der Teig muss ruhen. Er braucht seine Zeit bis er reif ist. Also kommt er in den Gärschrank. Käselaugenstangen müssen durch Streukäse gerollt, mit Salz bestreut und in mundgerechte Happen zerlegt und das deftige Partybrot mit gerösteten Zwiebeln bestreut werden.

Jörg Zeisberger steht am großen Ofen. Der Bäcker nimmt eine riesige Schaufel und holt das warme, knusprige Backwerk heraus. Eines nach dem anderen, bis die Kisten, die ich ihm reiche, voll sind und der Ofen leer. Es riecht verführerisch. Hamburger Schwarzbrot, Ciabatta, Holzlukenbrot, Krustenlaib und Störtebekerbrot brauchen ein paar Minuten, um abzukühlen, bevor sie in den Verkauf kommen. Obwohl ich am liebsten sofort hineinbeißen möchte.

Doch dafür bleibt keine Zeit. Jetzt werden die Brötchen erst einmal mit Mohn und Sesam paniert. Die Rohlinge kommen frisch aus der Brötchenpresse, einem Apparat, der einen Klumpen Teig in dreißig Brötchen aufteilt. Es gibt Maschinen, die nur rund formen. Mit moderneren Automaten können die Brötchen auch länglich geformt und gleichzeitig mit einem Längsschnitt in der Mitte versehen werden und erhalten so beim Backen ihre typische Form.

Damit die leckeren Körner kleben bleiben, muss ich sie mit einer großen Bürste mit Wasser bestreichen. Fertig. "Kann geschossen werden", sage ich.

Als nächstes steht eine Spezialität der Hamburger Küche an - das Franzbrötchen. Der flach ausgerollte Plunderteig wird auf dem Tisch ausgebreitet, mit etwas Wasser befeuchtet und anschließend mit der Zucker-Zimt-Mischung bestreut. Dann rollen zwei Männer ihn fix zu einer Rolle zusammen. Die gefüllte Plunderteigrolle wird in ca. vier Zentimeter dicke Scheiben geschnitten und mit einem Stiel in der Mitte zusammengedrückt, sodass das Innere der Rolle seitlich heraustritt. Beim Backen wird das Zucker-Zimt-Gemisch karamellisiert. Mmhh, köstlich.

Ruckzuck ist es ist zehn Uhr. Feierabend. Michael Lienau macht sich auf den Weg zu seinem Zweitjob. Vor Kurzem hat er sich einen Fischkutter gekauft, erzählt er stolz. Mit dem schippert er zum Fischen auf die Elbe hinaus. Einige seiner Kollegen haben auch noch einen weiteren Job. Als Sicherheitsmann beim Fußball zum Beispiel oder als Förster. Ob ich sie nicht begleiten will, um auch darüber zu schreiben.

In der Backstube duftet es jetzt herrlich nach frisch Gebackenem. Kunden warten vor der Theke. Ich trete vor die Tür. Die Sonne scheint. Es weht ein laues Lüftchen. Vögel zwitschern. Für die meisten Hamburger beginnt gerade ein mehr oder weniger anstrengender Arbeitstag. Ich denke, wie schön wäre so ein regelmäßiger früher Feierabend. Der ganze Tag läge noch vor und die Arbeit hinter einem. Was soll's. Auf geht es, zu meinem "Zweitjob" in die Redaktion.


Nächsten Sonnabend: Anne Dewitz als Friseurlehrling