Wind, Sonne, Wind und Wind. Die besten Voraussetzungen zum Kitesurfen. Wäre doch gelacht, wenn man das nicht auch könnte. Auf nach Dahme, zum Auftakt der Kitesurf-Trophy - und selber fliegen. Ein Erfahrungsbericht.

Schon mal gekitet?", fragt Kitesurflehrer Tobias. Nö. "Einen Lenkdrachen geflogen?" Der 37-Jährige mit den langen blonden Rastas und dem großen Grinsen sieht mit seinen hellblauen Augen ziemlich sympathisch aus. Äh, eigentlich nicht. "Auf einem Snowboard oder Skateboard gestanden?" Verdammt, langsam wird es eng! Ich kann Fahrrad fahren und schwimmen. Punkten kann man damit nicht. Wenigsten weiß ich, was Luv und Lee bedeuten - so ungefähr. Tobias hingegen weiß alles über Wind: Auflandig. Ablandig. Windstärken zwischen zwei und fünf heißen Brise. Ab Windstärke neun spricht man von Sturm. Windstärke zwölf ist ein Orkan. Im Augenblick herrscht allerdings Flaute. Keine guten Voraussetzungen für den Auftakt der Kitesurf-Trophy in Dahme. Für mein Debüt im Kitesurfen vielleicht gar nicht schlecht. Dann wird's am Ende nicht ganz so peinlich. Immerhin hat es aufgehört zu regnen.

Ich zwänge mich vor den Zuschauern der Kitesurf-Trophy in einen hautengen Neoprenanzug. Na, das macht glücklich. Wir wollen schließlich gewappnet sein, wenn der Wind kommt. Mit eingezogenem Bauch bin ich kaum von den Profis zu unterscheiden. Ich steige in den Trapezgurt, der sich schwer anfühlt wie eine volle Windel, aber cooler aussieht. Daran soll später der Kite befestigt werden. Ein Board habe ich nicht. Zuerst wird Kitefliegen gelernt. Helm und Schutzweste braucht man dabei nicht. Gott sei Dank. Wie soll das denn aussehen. Tobias erklärt das Safety-System: Beim Loslassen der Lenkstange geht der Kite drucklos zu Boden. Er kann dabei nicht wegfliegen, weil er über eine Sicherheitsleine mit dem Surfer verbunden ist. Niemand wird verletzt. Hoffentlich weiß der Kite das. Wichtig für mein Überleben: Im Notfall kann ich mich auch komplett von dem Ding trennen. Na dann.

Und dann kommt er, ein leichtes Flattern der Fahnen kündigt ihn an. Ein Hauch. Wind. Den Kitesurfern reicht das wohl. Sie beginnen sich zu rüsten: breiten ihre Kites aus, klemmen das Kite-Board unter den Arm. Mir wird schlecht. Der Himmel ist blau. Die Sonne scheint. Das verursacht Thermik, Aufwind also.

Tobias breitet einen sechs Quadratmeter großen Flysurfer-Mattenkite aus. Für Anfänger groß genug. Über die Leinen, deren Enden links und rechts an der Bar, der Lenkstange, befestigt sind, bringt er den Drachen in den Zenit, die Parkposition. Er hakt den Drachen mit dem Chickenloop, einer Schlaufe am Ende der Leinen, an meinem Trapezgurt ein. Chickenloop ist was für Hühner - meinten toughe Kitesurfer auf Hawaii, die den Kite allein durch ihre Armkraft hielten. Heute ist die "Hühnerschlaufe" keine Abwertung mehr. Sagt Tobias. Und ich glaub ihm das jetzt gern. Tobias drückt mir die Bar in die Hand. Ich ziehe sie rechts runter. Der Kite reagiert, fliegt nach rechts. Ich steuere gegen, ziehe die Bar zur linken Seite. Zu heftig. Der Kite scheint abzustürzen. "Rechts gegensteuern", ruft Tobias. Und fügt schnell hinzu: "Das andere rechts." Zu spät. "Wir nehmen den größeren", sagt Tobias. "Die sind träger und lassen sich einfacher lenken."

Vor mir liegen 19 Quadratmeter Spinnaker. Durch mehrmaliges Ziehen der mittleren Leine "pumpe" ich Luft in den Schirm. Gleichzeitig laufe ich ein paar Schritte rückwärts. Meine Güte, das muss doch gehen. "Bar locker lassen", leitet Tobias mich an. Der Kite steigt auf. Ich lenke ihn nach rechts. Mit einem Ruck mache ich einen Satz nach vorn. Und hopp, hebe ab. Obwohl kaum Wind ist, verlasse ich den Boden, fliegen ist schöner. Tobias hält mich hinten am Trapezgurt fest, zieht mich zurück. Bei der nächsten Bö werde ich wieder hochgezogen. Diesmal mache ich einen größeren Sprung, Tobias im Schlepptau. Ich muss lachen. Die Endorphine. Sobald ich den Kite in eine Richtung lenke, hebe ich ab. Während Tobias an mir zerrt, werde ich ganz euphorisch. Vielleicht kann ich mich noch für die Trophy anmelden. Angestrengt starre ich den orangen Kite am strahlend blauen Himmel an. Ich habe das Gefühl, der Drache fliegt mich, nicht umgekehrt. Ach, einfach weiterfliegen. Leicht fühlt es sich an. Über das Meer vielleicht. Wo es da wohl hingeht? Ich verliere kurz die Orientierung. Abflug. Mist. Der Kite stürzt in die Dünen, schleift mich ein, zwei Meter durch den Sand. Tobias hält mich immer noch fest.

Beim dritten Anlauf, diesmal im Wasser, kommt wieder der kleine Kite zum Einsatz. Der große 2000-Euro-Lenkdrachen hat meine Flugkünste nicht überstanden. Beim Sturz auf einen Pfahl ist ein Loch in Ober- und Untersegel gerissen. Das lässt sich nicht so schnell flicken. Langsam dringt das kalte Wasser von unten in den "Neo". In der Ferne lassen sich die Profis von ihren Lenkdrachen über das Meer ziehen. Davon bin ich Lichtjahre entfernt. Und der Wind hat auch keine Lust mehr. Wir packen zusammen. Ich erwische mich dabei, wie sich mein Daumen und der kleine Finger von meiner geschlossenen Faust zum Surfer-Gruß abspreizen. "Hang Loose, Baby!", denke ich. Die Endorphine.