Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Anton Zetterholm, Tarzan-Darsteller.

Ach! Was war das für ein Traum! Einmal nur Jane sein. In den Armen eines gut geölten Muskelpakets von Liane zu Liane schweben. Diesen wilden Brunftschrei im Ohr. Dieses Aahahaaaaa, das den Urwald erbeben ließ. Johnnie Weissmuller, Lex Barker, Gordon Scott hießen diese solide gebauten Kleiderschränke im vergangenen Jahrhundert. Heute ist dieser Gorilla-Mensch jung, nett, fragil gebaut wie ein Ikea-Regal, mit sanften braunen Augen. Anton Zetterholm, der schwedische Tänzer, Sänger und Schauspieler, der vom 19. Oktober an als Tarzan in der Neuen Flora im gleichnamigen Disney-Musical nach dem Abenteuerroman von Edgar Rice Burroughs über die Köpfe der Zuschauer fliegen wird.

Leichte Zweifel seien erlaubt, ob Jane in diesen zarten Armen wirklich sicher sein kann. Oder? Anton Zetterholm lacht. Hier, sagt er und schiebt den Ärmel ein Stückchen höher. Das reiche doch. Keine Bodybuilderwülste. Aber kräftig seien sie. Und lang. Ideal für die akrobatischen Höchstleistungen, die ihm im Musical abgefordert werden. Aus 14 Metern Höhe am stoffummantelten Bungee-Seil auf die Bühne schweben. In einem maßgeschneiderten Fluggeschirr, festgeklinkt mit einem Karabinerhaken. Total abgesichert. Deshalb dieses satte Klick, sobald sich der Vorhang hebt.

Wir sitzen im Parkett der Neuen Flora. Techniker laufen herum. Kabelgewirr. Lautsprecherdurchsagen. Ein Staubsauger auf der Bühne. Der Urwaldboden muss sauber sein, wenn Tarzan inmitten seiner Gorillafamilie auf die Bühne kommt. Auf allen Vieren. Hier, sagt Anton Zetterholm und zeigt seine Handknöchel. Schwielig sind sie und leicht abgeschrammt.

Er ist mitten drin in den letzten hektischen Wochen vor der Premiere. Wie lange noch?, fragt er. Knapp drei Wochen. Ochch, stöhnt Anton Zetterholm. Technikprobewochen sind es. Täglich von 12 Uhr, gleich nach dem ausgedehnten Fitnessprogramm, bis weit in den Abend hinein. Und bis in seine Träume. Das ließe ihn gar nicht mehr los. Teil einer so teuren Produktion zu sein. Eines 25-Millionen-Projektes. Und überall in der Stadt diese Riesenposter. Mit Tarzan drauf. Und das sei er. Kaum zu glauben. Immer noch nicht.

Seit er bei Sat.1 in der Castingshow "Ich Tarzan, Du Jane" zum Gewinner gekürt wurde, ging alles ganz schnell. Deutschunterricht, Yogastunden, Fitness-, Gesangs-, Tanztraining, Flugworkshops. Und trotzdem. Gestern sei er doch nicht so ganz gut gewesen. Leider, sagt er. Und im Gespräch, so wie jetzt, kämpfe er mit der Grammatik. Aber mit dem Manuskript käme er gut zurecht. Da sei nichts drin von diesen hingehunzten Sprachfetzen. Dieses: Tarzan Hunger. Jane komm. Essen machen.

Dieser Tarzan ist weit weg vom alten Hollywoodklischee. Kein Macho-Muskelprotz - eher ein Leonardo-di-Caprio-Typ, der sich völlig proteinfrei ernährt. Von Grünzeug und Früchten. Und in eine schwere Identitätskrise gerät, als er plötzlich entdecken muss, dass er zu keiner der beiden Welten gehört. Nicht jener der Affen, mit denen er aufgewachsen ist. Und auch nicht zu jener der Menschen, denen er so unverhofft begegnet. Ein junger Mensch auf der Suche nach sich selbst also? Ach, sagt er, das meinst du doch jetzt ironisch.

Anton Zetterholm ist ein wirklich netter junger Mann. Mit viel Witz. "Süß", sagen seine weiblichen Fans. Und sogar deren Mütter, sagt Kollegin A. Er habe so ein Strahlen. Sei so ganz ohne Arg. Und total ohne Allüren, immer pünktlich und höflich, sagt Svenja Rüde, die Pressesprecherin. Und ohne Launen, sagt seine Freundin Veronica, eine Tänzerin von der Göteborger Ballett-Akademie, die eine Reihe vor uns sitzt. So oft wie möglich, weil so wenig Zeit bleibt für die große Altbauwohnung in der Schanze.

Anton Zetterholm kommt aus einer heilen Bilderbuchwelt. So scheint es. Aus der kleinen Universitätsstadt Växjö in der schwedischen Provinz Småland. Der Vater ist Sportlehrer am Gymnasium, auf das auch Anton und seine zwei Jahre jüngere Schwester Kaissa gehen. Und, ja, er habe ihn tatsächlich in Sport gehabt. Das sei ein bisschen schwierig. Aber wirklich nur ein bisschen. Sein Vater sei weder streng noch autoritär. Er selbst war ein guter Schüler, sagt er. Von der Höchstnote 20 nur um eine winzige Stelle hinter dem Komma entfernt. In seiner Familie wird viel Musik gemacht. Anton klimpert eher halbherzig auf dem Klavier, spielt Gitarre. Entdeckt mit 16, dass Singen seine große Leidenschaft ist. Bei Schulaufführungen ist er immer dabei. Ein King in der Kleinstadt, sagt er.

Auf der renommierten Musicalschule in Göteborg ist er plötzlich ein Talent unter vielen. Und deshalb vielleicht auch so überrascht, als er bei einer offenen Audition der Stage Entertainment gefragt wird, ob er nicht Lust hätte, sich für die Rolle des Tarzan zu bewerben. Er macht sich eher zögernd auf nach Köln. Steigt bei der dritten Folge der Castingshow ein. Gilt schnell als Geheimtipp von Phil Collins, dem britischen Songschreiber, der für die US-Version des Tarzan-Titelsongs "You'll Be In My Heart" Oscar und Golden Globe bekam und auch die Hamburger Produktion begleitet.

Und dann der Abend der Endausscheidung. Der Sieg. Anton Zetterholm ist einfach nur erschöpft, sehnt sich nach einem Bett. Kann sich nur noch erinnern, dass seine Mutter, seine Schwester und Freundin Veronica die Nacht durchtanzen. In Champagnerlaune. Der Hit der Party, sagt er, diese drei Schwedenmädel. Und er nur todmüde? Ja, in echt.

Krisen, Kämpfe, pubertäre Ausraster, das gebe es wirklich nicht bei ihm. Vielleicht ein paar Kinderstreiche. Ganz normal alles. Aber wenn du mich so fragst, sagt er, - einmal in der dritten Klasse habe ihn seine Lehrerin an den Armen gepackt, aus dem Stuhl gehoben und vor die Tür gestellt. Das sei alles. Reicht dir das? Fußball habe er viel gespielt. Superman und Spiderman wollte er sein. Vor allem aber Zorro. Mit diesem Zzzz. Er lässt einen imaginären Degen durch die Luft sausen. "Ein scharfes Z. Wie in Zzzzetterholm".

Dann ist es zwölf. Anton muss los. Tarzan werden. Mit Rastaperücke. Urwaldsumpf und Matsch am Körper. Lendenschurz. Ran an die Liane und fliegen. Wenn er dabei singt, sagt ein Mädchen aus dem Team, ohhh, da würden bei ihr die Haare auf den Armen knistern. Dieses "Dir gehört mein Herz, von heute an für alle Ewigkeit ..." Zum Träumen schön sei das. Und das stimmt!