Eppendorf. Das hat sie gern. Kurze, klare Sätze, die es in sich haben. So wie damals in Blankenese auf der Party bei Freunden. "Wer will ein Kind von mir?", rief Marianne Raven, die Begründerin von Plan Deutschland e. V., provozierend in die schnatternde Menge und erreichte damit auf Anhieb ihr Ziel. Alle hörten ihr zu, viele wurden die ersten Paten. Jetzt, nach 22 Jahren, betreut sie von Barmbek aus 300.000 Patenschaften in 48 Ländern in aller Welt. Anfang Dezember tritt sie als Geschäftsführerin zurück.
Sie müsse mal einen Gang zurückschalten, habe sie sich vor einiger Zeit geschworen, und werde deshalb von ihrer neuen Wohnung in Baden-Baden aus nur noch den von ihr ins Leben gerufenen "Plan Shop" via Internet betreuen. Vorerst mal, soll es wahrscheinlich heißen. Denn so ganz mag man diesem - unter Charme, Herzlichkeit und Selbstironie gut getarnten - kompakten Kraftpaket die selbst verordnete Ruhe nicht glauben.
Neue Projekte, sagt sie und klopft sich gegen die Stirn, hier drin in Arbeit. Sie brauche einfach Veränderungen, dieses Prickeln beim Aufbruch. Das alles rasselt sie im Stück so runter, am frühen Morgen in der Konditorei Lindtner in Eppendorf, wo sie nur ganz selten bei einem Stück Nuss-Marzipan-Torte sündigt.
Das lasse sie bei sich nicht zu, sagt sie gern. Und meint vor allem Schwächen. Marianne Raven ist von eisernem Willen, großer Disziplin und äußerst zielgerichtet. Fördert und fordert ihre Umwelt und nimmt dabei in Kauf, dass sie nicht "everybody's darling" sein kann.
Sonst ginge es nicht, sagt sie. Ihre leuchtend rote Bluse gibt schon mal die Richtung vor. Attacke im Dauereinsatz. Nicht auf das Mitleid, sondern auf die Geldbörse und Begeisterungsfähigkeit ihrer Mitmenschen. Dann bestellt sie sich japanischen Tee.
Bio gibt's nicht. "Na, so was auch", sagt sie, dabei sei sie eine durchgeknallte Biotante, und macht sich ohne Punkt und Komma an das, was vor 22 Jahren zu ihrer Lebensaufgabe wurde: in Deutschland für Plan, eines der ältesten Kinderhilfswerke überhaupt, das Feld zu beackern. Das war 1988. Und da hatte sich Marianne Raven schon entschlossen einen eigenen Weg durch ihr Leben gebahnt.
Das kleine Mariandel, wie ihr Vater das drittgeborene seiner vier Kinder liebevoll nannte. Von Barmstedt nach Elmshorn zum Gymnasium erschien ihm der Weg zu weit für dieses zarte, dünne Kind. Sie wurde Fremdsprachenkorrespondentin, holte auf dem Abendgymnasium das Abitur nach. Studierte Jura. "Zack, zack, zack im Schnelldurchlauf." Ihre Ehe blieb dabei auf der Strecke. Eine neue Liebe fand keinen Platz mehr. Auch eigene Kinder nicht. Punkt und aus. In der Presseabteilung bei Gruner + Jahr bekam sie ad hoc eine tragende Rolle im Hitler-Tagebuch-Skandal. Nun ja, sagt sie lachend, sie habe die Bücher zur Staatsanwaltschaft getragen. Sie liebt dieses Spiel mit Worten. Es war der Hauptgrund dafür, dass sie nach einem Referendariat in Australien nicht dort blieb. Sie brauche nun mal Kommunikation, müsse einfach quatschen, quatschen, quatschen. Das gehe besser in der Muttersprache.
Sie lässt viele Dinge nicht zu bei sich selbst. Am Morgen im Bett liegen bleiben und Zeitung lesen - Zeitverschwendung! Die brauche sie für 40 Minuten Gymnastik. Auch Ängste nicht. Die würden ihr das nehmen, was ihr am meisten Spaß mache.
Wie die Flugangst damals nach ihrem nur um Haaresbreite glimpflich ausgegangenen Absturz im Privatflugzeug in England. Einfach abtrainiert. Bei Piloten im Cockpit. Ihre Höhenangst denke sie sich weg. Auf schmalen, steilen Bergpfaden in Nepal. Ihre Ängste vor unkontrollierbaren Gewalten auch wie 1988 auf ihrem ersten Trip, wo sie jedes Mal nur knapp daran vorbeischrammte: der Bombe in San Salvador, dem Erdbeben in Honduras. Und große Rührung und Mitleid seien auch nicht ihre Sache.
Nein. Sie setze Distanz dagegen, tätiges Mitgefühl und Verstand. Die Denke ausschalten, dass Menschen nach unseren Vorstellungen leben müssen, sondern deren Lebensbedingungen vor Ort verbessern.
Marianne Raven bestellt noch ein Kännchen japanischen Tee nach. "Wer viel quatscht, braucht Flüssigkeit." Erzählt von diesem Traum, den sie einst hatte. Primaballerina oder Eisprinzessin wollte sie werden.
Ballettunterricht war nicht drin bei vier Kindern. Mit 18 finanzierte sie sich den selbst, erkannte aber, dass es außer zu ihrem eigenen Spaß nicht weiter reichen würde. Hakte den Traum ab. Denn auch im Abhaken ist Marianne Raven gut. Als Schülerin sei sie sogar extrem rechthaberisch gewesen und habe erst im Jurastudium erkannt, dass jedes Ding zwei Seiten hat.
Ihr Gerechtigkeitssinn ist auch der Ursprung ihrer 2003 mit Senta Berger als Schirmherrin ins Leben gerufenen Mädchenkampagne "Because I am a girl - weil ich ein Mädchen bin". Die kleine Sharmila in Nepal war der Auslöser. In Fetzen und ohne Schuhe saß sie frierend am Straßenrand.
Die beiden Frauen folgten ihr bis nach Hause, fanden dort den in eine propere Schuluniform gekleideten Bruder und die Antwort auf ihre Fragen: "Because she is a girl."
Zwei Stunden sind längst verstrichen. Marianne Raven hat das Frühstücksbrötchen kaum geschafft, dafür aber vielleicht ein paar neue Paten an den Nebentischen der Konditorei gewonnen. Wie den jungen Abendblatt-lesenden Mann, der sich von ihrer mitreißenden Begeisterungsfähigkeit - manchmal nur im verschwörerischen Flüsterton vorgetragen - von der Zeitungslektüre ablenken ließ.
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