Hamburgs oberster Datenschützer Johannes Caspar über den Kampf um die Privatsphäre im Internet und den Traum von einer Musikkarriere.

HafenCity. Hier brennt es gerade an allen Ecken und Enden, sagt er lax. Professor Johannes Caspar, Hamburgs Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit, ist mal wieder viel gefragt. Zu "Baustellen" wie Google Street View, dem EC-Netzbetreiber Easy Cash, Facebook. Jede Art von gespeicherten Daten, zu welchem Zweck auch immer, bringt ihn auf die Barrikaden. Im öffentlichen und privaten Bereich. Er ist der große Warner und Mahner zugleich vor dem allzu sorglosen Umgang mit der modernen digitalen Welt.

Nur bei dem ab 1. November gültigen elektronischen Personalausweis bleibt er gelassen. Der sei für ihn eher ungefährlich, sobald man ein eigenes Lesegerät mit eingebauter Tastatur und Display habe. Im Gegensatz zu den mitgelieferten um einiges teurer, aber dafür sicher. An unserem Tisch hier in der Markthalle in der HafenCity ist es voll. Die Mittagszeit in den umliegenden Büros läuft auf Hochtouren. Der Fotograf kommt. Macht die Bilder. Sie sind dann auch im Internet, warnt Johannes Caspar unsere Tischgenossen. Die winken lächelnd ab.

Er selbst ist natürlich auch längst drin. Schließlich ist er eine öffentliche Person. Und genau da liege die Zwickmühle, sagt er. Einerseits möchte er die Leute dazu anleiten, möglichst wenig von sich herauszulassen. Andererseits möchte er selbst medienkompatibel sein. Und dazu gehöre eine gewisse Offenheit. Und so hangeln wir uns an diesen beiden Eckpunkten entlang. Dass er verheiratet ist, nun gut, das sei ja bekannt. Länger schon und glücklich, ergänzt er. Einen elfjährigen Sohn habe er auch. Und Nussecken möge er nicht. Woher haben Sie das? Ach ja, richtig, das kam in einem Frage-Antwort-Spiel der "Welt" vor. Nun gut. Dass seine sorgsam frisierten Locken echt seien, gibt's als launige Zugabe. Dann muss er doch verhalten lachen.

Wir holen uns eine Cola light und eine Limo und machen uns dran an das schwierige Unterfangen, mit der modernen digitalen Welt nicht allzu sorglos umzugehen, ohne dabei manisch zu werden. Positiv wachsam sein, nennt er es. Für ihn steckt der Teufel schon im Detail. Und das sollten gerade junge Leute wissen.

Jedes ins Internet gestellte Foto vom letzten Mallorcaurlaub; jedes Gequatsche mit Freunden bei Facebook; jeder noch so absurde Dialog in Internetforen und Blogs; jede Nutzung des Mobiltelefons hinterlässt eine digitale Spur. Ein Schnipselchen mehr zur Erstellung eines Persönlichkeitsprofils. Wie eine Dauertätowierung.

Man winkt in die Welt hinaus und kriegt die Daten nicht mehr zurück, sagt er noch einmal eindringlich. Sich selbst. Die Entscheidung zu erhalten, ob man bestimmte Daten von sich preisgebe - darum ginge es. Deshalb sei auch das erkämpfte Einspruchsrecht gegenüber Google Street View wichtig. "Die Menschen haben es selber in der Hand, 'nein, ich will nicht' zu sagen." Johannes Caspar glaubt fest an die Selbstverantwortung des Einzelnen und die Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern und Bürgerinnen gegen Risiken für Leib und Seele und informationelle Selbstbestimmung.

Kurz bleibt er bei der Schule seines Sohnes hängen. Hausaufgaben, die eine Nutzung des Internets voraussetzen, ohne die Kinder vorher mit der Technologie und den damit verbundenen Risiken vertraut zu machen - das sei so wie Kinder ohne Verkehrsunterricht auf die Straße schicken! Das gehöre in den Lehrplan - in Hamburg sei man da auf einem guten Weg.

Warnungen über Warnungen. Da würde sich ja selbst George Orwell, der Verfasser der totalitär überwachten Schreckensvision "1984", noch im Grabe umdrehen. Nein, sagt Johannes Caspar, dessen Botschaft habe eine ganz andere Dimension. Wir leben in einer Demokratie, haben die Entscheidungsfreiheit, wie und wie sehr wir das Internet in unser Privatleben eindringen lassen. Blind durch die Welt zu gehen bringe nichts! Kontrolle sei da sehr sinnvoll. Und dann setzt er an zu einem längeren Diskurs über die Kontrolle als solche. Die bewusste Steuerung des Willens und das Wissen darüber.

Als Schüler befasst er sich mit Nietzsche, Kant, Hegel und auch Hermann Hesse. Verdient sich das Geld für eine E-Gitarre, stellt mit Bedauern fest, dass es für eine Popkarriere à la Jimi Hendrix nicht reichen wird. Studiert Germanistik, stört sich an der allzu verschulten Art im Umgang mit der Literatur - "Mir fehlte der Zauber daran" - und wendet sich einer Materie zu, die ohnehin als trocken gilt: der Juristerei. In Rechtsphilosophie denkt er über Gerechtigkeit nach, über die Selbstbestimmung des Individuums in der Zeit des Umbruchs von der analogen zur digitalen Welt, und stellt sich großen Fragen: Stirbt die Privatsphäre aus? Ist der Datenschutz, die informelle Selbstbestimmung, nur noch ein Terrain der Übergangszeit, bis die alten analogen Generationen ausgestorben sind?

Das Gelächter um uns herum dringt ein in seine Gedankenwelt. Kann er denn eigentlich auch lachen? Aber ja, sagt er. Aber Sie wollen doch jetzt nicht etwa einen Witz von mir hören. Hätte was, ja. Ist aber nicht. Denn das wäre wahrscheinlich ein allzu leichtgängiger Abschluss für ein so schwerwiegendes Thema. So kann es einem eben gehen mit einem stets wachsamen, kontrollierten und schon berufsbedingten Warner und Mahner.