Der gelernte Barkeeper Marc Ciunis ist Gastronom aus Leidenschaft und Mitbetreiber des preisgekrönten East-Hotels auf St. Pauli.

St. Pauli. Er hat wirklich alles drauf. Sogar das Rezept für einen Anti-Grippe-Cocktail. Schließlich ist er gelernter Barkeeper, der Gastronom aus Leidenschaft, Marc Ciunis, Geschäftsführer und Mitbetreiber des hippen und vielfach preisgekrönten East-Hotels auf St. Pauli und Erfinder von Szenetreffs wie dem Ciu am Ballindamm.

Ein Gespräch mit ihm ist höchst vergnüglich. Marc Ciunis - mit dem scharfen "ssss" am Anfang -, dessen Familie großväterlicherseits aus Weißrussland stammt, liebt seine Frau, seinen Sohn, sein eigenes buntes Leben. Und sich selbst, nicht zu vergessen. Redet wild drauflos, verliert auch mal den Faden, verirrt sich in Nachdenklichkeit und behält dabei sein gesamtes Umfeld genau im Blick - hier im Innenhof des East-Hotels an der Simon-von-Utrecht-Straße. Sein Auftritt ist unprätentiös, die Statur kompakt ("meine abgespeckte Version"), die Augen grau ("Nein, das ist die getönte Brille"), der Hemdkragen verrutscht. Ein Sonnyboy, dem es gelingt, Fehlschläge abzuschütteln, ihnen nicht nachzuhängen. Vom Glück geküsst, nennt er dieses Talent.

Früh wollte er Koch werden. Halt, sagt er. Erst noch mal eine große Kanne Bavarian-Mint-Tee. Kaffee würde ihn zu sehr aufpeppen. Bleibt am letzten Marathonlauf in New York hängen. Gemeinsam mit seiner Frau. Über die Brooklyn-Bridge auf Manhattan zu. Hubschrauber am Himmel, jubelnde Menschen am Weg. Total abgefahren! Sein Lebenselixier.

Und nun erst mal noch den Sohn, sagt er. Hier, das Foto auf dem iPhone. Philipp, 17 Jahre alt, ein gut aussehender Riesenschrank, der in Dortmund in der Junioren-Bundesliga spielt und Eishockeyprofi werden möchte. Und dann natürlich Melitta, seine Frau seit fast 20 Jahren. In Las Vegas geheiratet, in The Little White Chapel. Zweimal gleich. Am zehnten Hochzeitstag dieselbe Honeymoonsuite, dieselbe Friedensrichterin, extra dafür aus dem Ruhestand geholt, dieselben Ringe für 18 Dollar, weil es mit dem Erspielen wertvollerer Exemplare nie klappte.

Marc Ciunis ist immer ein bisschen ein Spieler, ein Hasardeur, der sich schnell begeistern, schlecht Nein sagen kann, deshalb auch mal auf den Bauch fällt und es als Lehrgeld fürs Leben abhakt. Bis auf dies eine. Ganz was anderes, sicher. Doch daran knacke er noch manchmal: die ersten Lebensjahre seines Sohnes. Seine eigene panische Angst, was falsch, gar kaputt zu machen, ihn fallen zu lassen. Pause. Schulden abarbeiten. Sieben Tage die Woche, sechs Jahre am Stück . Bis morgens früh im "Szenario" in Eppendorf und auch mal knackevoll nach Hause kommen. Wilde Zeiten ... Pause.

Die Kochlehre nun doch vielleicht? Gleich, sagt er, erst noch den Grippe-Wundercocktail, von ihm selbst 1983 kreiert. Ein Ipanema aus einer frisch gepressten Limone, zwei Teelöffeln braunem Zucker, drei cl Lime Juice, aufgefüllt mit Ginger Ale, auf Crushed Ice. Ohne Alkohol natürlich.

Als Koch bewarb sich Marc Ciunis mit 17 bei Armin Scherrer im Landhaus an der Elbchaussee, ließ sich von ihm erst mal zu einer Kellnerlehre überreden, "davon könne er später als Koch nur profitieren", beendete sie mit der Note 1,2. Doch die versprochene Kochstelle war längst futsch und Armin Scherrer tot.

Marc Ciunis zog weiter nach Sylt. Zu Karlchen, kehrte zurück nach Hamburg. Zu Hubert Sterzinger als Aushilfskellner, Barkeeper, Barchef. Vom Hemingway ins Meyer Lansky's am Pinnasberg. Noch heute hat er 500 Rezepte abrufbereit im Kopf ("Mir kann keiner was vormachen").

Mit dem zwischendurch aufgemachten Getränkegroßhandel ging er pleite. "24 Stunden Nonstop-Lieferdienst. Ohne Mindestabnahmemenge! Für eine Flasche Bacardi nach Wandsbek. Total bescheuert!" 900.000 Mark Schulden blieben übrig. Abgezahlt.

In die Idee mit der Ciu Bar am Ballindamm hat er sich trotzdem gestürzt. Allen Unkenrufen von Freunden zum Trotz. Am Tag der Eröffnung hatte selbst er leichtes Muffensausen. Und dann standen die Leute plötzlich Schlange. Neue Kunden! Und Stammkunden zogen mit. Unglaublich. Das Ciu rechnet sich längst. Die Alsterinsel, der Ponton auf der Alster schräg gegenüber, in diesem WM-Wahnsinnssommer 2006, war ähnlich riskant. Nur machbar, weil es Sponsoren zuhauf gab. Das 2004 eröffnete East Hotel entpuppte sich als Selbstgänger. Preise gab es reichlich. "Eigentlich auch fürs Personal, nicht Jenny?" sagt er. Jenny bringt gerade Mineralwasser und lächelt. "Alle handverlesen", sagt Marc Ciunis. Sympathisch, freundlich, gut aussehend.

Dann erzählt er von seinem großen Traum. Mit einem Zweimaster um die Welt. Mit ein paar Leuten zusammen, sagt er. Und wenn das Geld alle ist, Gäste aufnehmen, bewirten, bis es wieder reicht zum Weitersegeln. Erzählt von diesem schüchternen Kind, das er mal gewesen sei. In der Schule immer dicht an der Fünf vorbei im Mündlichen. Um jedes Referat sich herumdrückend. Freies Sprechen sei sein Knackpunkt. Und das bei seinem Redeschwall? Ja, aber ab 20 Zuhörern werde es kritisch, sagt er. Auch heute noch. Jetzt gerade wieder, als er sein Sushi-Buch vorstellte - klar, von ihm. Da sagte es "Kssss" bei ihm im Kopf. Er krallte sich am Stehtisch fest, war schlicht fertig.

Da habe ihm auch das Powerbändchen an seinem rechten Handgelenk nichts genützt. Dieses für die innere Balance. Mit in Hologrammen gespeicherten Erdschwingungen. Der neuste Trend aus Amerika. Und da müsse man doch dabei sein. Nützt doch nix, sagt er gespielt verzweifelt. So hart kann das Leben in der Szene eben sein.