Wilhelm von Boddien baut das Stadtschloss in Berlin wieder auf. Heike Gätjen traf einen Visionär mit Kinderseele.

Hamburg. So kann's einem gehen, wenn man sich mit ihm zum Frühstück verabredet. Es wird ein Gespräch zu dritt draus. Das Berliner Schloss ist immer dabei. Denn er hat es geschafft. In genau einem Jahr soll die Grundsteinlegung sein. Endlich, sagt er. Wilhelm von Boddien, der eine der größten Architekturdebatten in der Bundesrepublik auslöste mit seiner Vision, die historische Mitte Berlins wieder zusammenfügen zu wollen und "die schlimmste Wunde im Herzen der Hauptstadt zu schließen".

Darüber ist er elegant ergraut. Hat alles weggesteckt. Verunglimpfungen und glatten Hohn. Hat zäh gekämpft. Mit Charme, Eloquenz, Leidenschaft, Beharrlichkeit und Begeisterungsfähigkeit. Seine Geheimwaffe, der formvollendet hingehauchte Handkuss, inklusive. Hier am Elbstrand atme er durch, sagt er, wenn er aus der hektischen Bundeshauptstadt zurückkomme, die sein Lebenselixier geworden sei. Die ihm den Adrenalinschub versetzt mit ihrer Melting-Pot-Atmosphäre und diesem Jojoeffekt, der ihn wieder zurück in ihre Arme zieht, kaum dass er zu Hause angekommen ist.

Darüber kann er endlos reden. Im Liegestuhl vor dem Strandhotel und drinnen weiter beim Frühstück. "Pass op, pass op", sagt er gern. "Ich bin noch nicht am Ende." Verliert sich in Nebensätzen mit kleinen Seitenhieben. Auf die fehlenden Nerven von Politkern etwa, die Risiken scheuen. Und die man brauche, um so ein Wahnsinnsprojekt anzugehen. Er sei halt ein verrückter Kerl, sagt er, nicht ohne Koketterie.

Der Beginn dieser "blödsinnigen Idee": Ende der 50er fährt Wilhelm von Boddien als Schüler mit dem Moped in die geteilte, zerrissene Stadt. Steht auf dem großen leeren Platz. Dem Aufmarschplatz der DDR. Hört, dass da mal das Berliner Schloss stand. Und es ist um ihn geschehen. Er sammelt alles darüber. Stiche, Bilder, Zeichnungen, Grundrisse. Durchwandert im Geist Festsäle, die er nie betreten hat. Wird zum Architekten, ohne es je studiert zu haben. Ein Anwendungstechniker sei er, der schon reines Vokabelpauken in der Schule fad fand. Sie lieber in Sprache umsetzte. Und so wird er für Gleichgesinnte zum Schlossexperten. Für Gegner zum nervigen Schlossgespenst. Er rührt in allen Töpfen. Den großen selbstverständlich. Mit der Unschuld eines kleinen Treckerverkäufers aus Bargteheide, sagt er. Er habe sein Herz in die Hand genommen, es über den Zaun geworfen und sei hinterhergesprungen. Die drei Gs seines Großvaters im Ohr. Wenn du was machst, mach es gern, gleich und ganz.

480 Millionen soll das neu erbaute Humboldt-Forum kosten. Für die historischen Fassaden muss der Förderverein Berliner Schloss, dessen Geschäftsführer Wilhelm von Boddien ist, aufkommen. 60 Millionen fehlen noch. Ein Pappenstiel sei das. 400 Euro pro Jahr von 150 000 Bundesbürgern aufgebracht. Oder 40 Euro über zehn Jahre. Der Gegenwert von acht Schachteln Zigaretten pro Jahr. Tja, das hat doch was. Dieses Nullenjonglieren. Wilhelm von Boddien lacht. Voller Begeisterung. Auch über sich. Mit einem wegrutschenden Kicks in der Stimme. Erzählt von dem kleinen Stückchen Schloss, das man kaufen könne. "Spuren hinterlassen". Ein seitlicher Tropfenstein schon für 300 Euro. Große Spuren gehen in die Hunderttausende. Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht, nachdem die väterliche Landmaschinenfirma 2004 in die Insolvenz gegangen ist. Bekommt ein Gehalt vom Förderverein. Fährt einen Privatwagen ("denken Sie an all das, was gerade so in Berlin passiert") mit dem Kennzeichen BB für Boddien und Bär, seinen Spitznamen. "Nein, doch nicht von der in die Jahre gekommenen Brigitte Bardot!" Seit 44 Jahren ist er verheiratet. Und ihr, seiner Ehefrau, verdanke er die Bodenhaftung, sagt er, die ihm manchmal abgehe. Wenn die Euphorie über ihn komme. Wie nach der entscheidenden Bundestagsdebatte 2002.

Ein dickes Containerschiff kommt vorbei. Schifffahrt, sagt er, sei seine Leidenschaft. Die andere natürlich. Und Schiffe, nein, nicht das Schloss, seien die Bildschirmschoner in seinem Büro. Das Segeln hat er aufgegeben. Ehefrau Gabriele hat keinen Spaß daran. Und da stecke er halt zurück, schließlich habe sie ja seine "spinnerten Ideen" immer mitgetragen. Genau wie dieses riesengroße Netzwerk an Freunden und Unterstützern. Damals, als er wegen Untreue vor den Kadi sollte, nach zwei schlaflosen Nächten alles hinwerfen wollte. Die Ermittlungen wurden allerdings eingestellt.

Wir reden noch ein bisschen über seine fünf Vornamen Wilhelm, Dietrich, Gotthard, Hans und Oskar. Vier davon für die in beiden Kriegen gefallenen Familienmitglieder. Tradition und Verantwortung seien das. Keine Last. Und wie wichtig es sei, dass Kinder die Geschichte ihrer Eltern kennen. Ja, auch wenn es sie nervt, diese Erzählungen von der Flucht, dem Hungerwinter. Alles, auch die finanziellen Probleme der letzten Jahre, die waghalsigen Bürgschaften, die er für "sein" Schloss einging, wurden am Abendbrotstisch besprochen. So hätten sie gelernt, bescheiden zu bleiben. Und demütig.

Kommende Generationen, sagt er schnell und ist schon wieder beim Schloss, werden anders denken. Auch über das Humboldt-Forum. Werden vielleicht die alten Säle rekonstruieren wollen. Das geht, sagt er. Und seine Augen funkeln. Alles sei dafür schon angelegt. In den Plänen. Ach, das Leben sei einfach eine Blumenwiese. Und er stehe mittendrin. Voller Neugier auf alles. Leicht versonnen bröselt er am Rest des Croissants herum. "Also", sagt er, "nehmen Sie noch Freude, Prestige, Eitelkeitsbefriedigung und alles Mögliche dazu. Machen Sie daraus 'ne Mischung und dann haben Sie mich." Nur eines fehle ihm. Mal die Schnauze halten zu können, nicht alle Leute unter den Tisch zu reden. Schade wär's drum. Auch wenn er einen damit schafft. Dieser Visionär mit der großen Kinderseele.