Heike Gätjen traf ein Fußballidol, das mit 73 Jahren mehr in sich hineinhört, als ihm selbst lieb ist.

Hamburg. Wo er recht hat, hat er recht. Eine Fußballlegende ist ja nun wirklich nichts Berufliches. Unternehmer - das Wort sei ihm zu groß. Pause. Er sei Alleinunterhalter. Ist leicht verblüfft über das aufkommende Gelächter. Und sagt, na, im Sinne von "seine Familie allein unterhalten". Ernähren, die Miete bezahlen. Durch seinen Job als Generalvertreter von Adidas. Ein Geschäftsmann würde passen. Vom Fußball allein konnte man nicht leben. Damals. Als er aus dem Stand in die Luft sprang. Auf kurzen stämmigen Beinen. Den Ball ins Tor köpfte. Spektakuläre Flugkopfbälle, denen er seine Boxernase verdankt. Mehrfach gebrochen. Vom Sprung der Gegner mitten rein ins Gesicht, um ihn abzublocken. Uwe Seeler lacht, streicht sich über seine langen Geheimratsecken. "Meine Plattform zum Arbeiten", sagt er trocken.

Ein Gespräch mit Uwe Seeler ist eine grundsolide Sache. Und behaglich. Ohne Arg, ohne Ironie, ohne Prahlen und Protzen. Hier im Turmzimmer des Hotels Engel in Niendorf. Den Baumwipfeln nah. Und dicht dran am Boden. Abheben ist mit ihm nicht drin. Warum auch, sagt er, er sei so, wie er sei. Auch hier mit heißem Kakao, Weihnachtsgebäck und sorgfältig gefalteten Stofftaschentüchern. Den 70. Geburtstag hatte er gerade hinter sich. Ein Skorpion. Aber eigentlich nicht. Auch wenn seine Frau das meine. Höchstens auf dem Platz früher. Da sei er einer gewesen. Ehrgeizig und besessen. Habe die hinten immer angetrieben, bis es hieß "Lass uns in Ruhe, geh nach vorne, schieß zwei Tore."

Was waren das für Zeiten! Da wurden vier Kanzlerautogramme gegen eins von ihm getauscht. Der Kanzler hieß Adenauer. Der andere war Uns Uwe. Das Fußballidol einer ganzen Generation. Ehrlich? Fragt er. War das so? Das mit den Autogrammen. Er sei heute nur erstaunt, wie viele Autogrammanfragen immer noch kämen. Von ganz jungen Leuten. Jetzt, 37 Jahre nach seinem Abschied vom Rasen. Ein Fußballidol ohne Verfallsdatum nannte der "Kicker" ihn. Mit dem sich die Leute identifizieren können und konnten. Einer von ihnen. Mit dem "Vadder", der Doppelschichten im Hafen schob und auch ein großer Fußballer war. Der Mutter, Handballerin und gute Schwimmerin, die einen Köpfer von den Elbbrücken schaffte wie nichts. Die war tough. So was hätte er sich nie getraut. Er habe sogar Höhenangst. Und sie hätte überhaupt kein Aufhebens darum gemacht. Bei Seelers blieb man auf dem Boden. Abgesehen von den gewaltigen Luftsprüngen beim Kicken zwischen all den Trümmergrundstücken. Mit Bruder Dieter.

Wir kommen nicht los. Vom Fußball. Es sei ja auch letztlich ein Abbild der Gesellschaft, sagt Uwe Seeler. Diese Gier nach dem großen Geld, die Wettskandale, all die Tragik des Nur-keine-Schwäche-Zeigens. Es seien halt andere Zeiten, sagt er. Und die jungen Leute wären ja schön blöd, wenn sie das Geld nicht mitnehmen würden. Sie seien doch ganz anders groß geworden. Und doch ein bisschen mehr Treue statt dieses hektischen Wechsels wäre schon schön. Und dann die Frauen der Fußballer. Heute manchmal größere Stars als ihre Männer. Zu Herbergers Zeiten hatten sie klare Nebenrollen, wurden einmal zum Kaffeetrinken ins Trainingslager eingeladen, und das war's dann. Die Jungs sollten nicht abgelenkt werden. Er dürfe das alles sagen. Er sei nicht neidisch. Und vernünftig von der Bühne abgetreten. Und deshalb könne er jetzt auch Kritik üben.

Vielleicht gehörten er und seine Ilka ja sowieso einer aussterbenden Rasse an, sagt er in sich hinein lachend. Goldene Hochzeit. Eine gute Ehe. Sie immer vernünftig, patent, praktisch, sparsam. Schart die ganze Familie am 1. Weihnachtstag um sich. Und überstehe auch das ohne Nervenzusammenbruch. So sei sie. Ginge am liebsten allein einkaufen. Ohne ihn. Nur keine Sonderbehandlung als Uwe Seelers Frau. Ja, sagt er noch mal, fast versonnen. Seine Frau! Die hindere ihn auch daran, vor sich hin zu grübeln. Jetzt, wo die Einschläge rundherum im Freundeskreis so langsam näher kämen. Geh vor die Tür, sage sie dann, sitz nicht im Sessel und hör in dich rein. Das ist nicht gut. Und recht habe sie damit.

Und Exzesse. Ein Fremdwort für ihn. Kein Thema. Wenn sie von den Hüttenabenden auf der Alm mit den Kumpels von den "Schneeforschern" absehen. Zusammen sitzen. Trinken, singen, rauchen, flotte Sprüche klopfen. Und ein Showtalent wie der Franz aus der alten Fußballergarde sei er auch nicht. Der sei ja auch jünger. Das passe nicht zu ihm. Dem Uwe. Er sei auch kein Partylöwe. Aber tanzen könne er. O ja. Ganz ohne Tanzstunde. Auch Walzer links und rechts rum. Und gar nicht mal so schlecht. Singen könne er auch ganz gut. Ja, sagt er. Was noch? Seine Lust und Last mit dem Essen so vor Weihnachten vielleicht? Harte Zeiten seien das. Weihnachtsgans, Grünkohl, Eintöpfe. Sein Liebstes. Früher sei er ja auch kompakt gewesen. Reine Muskeln. Und jetzt, na ja. Er werde sich im Januar vielleicht mal ein Trimmrad anschaffen. O Mann, sagt er plötzlich, die Kekse! Wir haben sie nicht mal angerührt. Und sein Kakao und mein Tee wären auch schon kalt. Wir sollten lieber mal was Neues bestellen. Erst vielleicht noch mal die WM 2010. Die deutschen Chancen. Reell, nennt Uwe Seeler sie. Oben mitmischen dürfte drin sein. Weil unser Trainer so eine schöne Frisur und wunderbar auf den Leib geschneiderte Hemden trägt? Neee, neee, nee, sagt er auf echt Hamburgisch, ich lasse mich doch nicht von Ihnen aufs Glatteis führen. Da ginge es um solide Grundsätze wie Fitness, Disziplin, gemeinsam an einem Strang ziehen. Und um Tore? Auch, sagt er und lacht. Es sei schon ratsam, immer ein Tor mehr zu schießen als der Gegner. Bei jedem Spiel. Dann sei man Meister. Im Fußball und im Leben. Und damit wird er wohl auch recht haben. Der Uwe Seeler.