Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute war sie mit der Politikerin Krista Sager unterwegs.

Mehr Ton in Ton geht nun wirklich nicht. Blätter, Gras, das Moos an den Bäumen. Grün in allen Schattierungen. Ihre Jacke, der kleine Smaragd-Anhänger auch. Und selbst später das Stück Kuchen. Zitronen-Limetten-Torte. Natürlich ohne Absicht, sagt sie. Krista Sager, Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen und als Spitzenkandidatin der Landesliste ihrer Partei für ihren Wahlkreis Eimsbüttel im Bundestagswahlkampf.

Sie ist voll im Einsatz. Mit dieser kleinen Zahnlücke, für die der Mann an meiner Seite sich so begeistern kann. Genauso wie für den verführerischen Kieks in ihrer Stimme, wenn sie im Bundestag mal so richtig in Rage kommt. Von dem Kieks habe sie noch nie was gehört, sagt Krista Sager lachend. Sie, die sich mit aller Kraft den bremischen Tonfall ihrer Kindheit abgewöhnt hat, "auch wenn er irgendwie drollig klingt" und in Berlin längst als "hart norddeutsch" gelte. Und diese Zahnlücke, ach, ein Graus! Ererbt von ihrer Familie väterlicherseits. Und schon sind wir mittendrin. In der Familiengeschichte von Krista Sager, mit dem dänischen K. Und dem Großvater, der zwischen den Weltkriegen als staatenloser Handwerksbursche aus dem heutigen Rumänien nach Hamburg kommt, hier heiratet, in Stralsund einen Sohn bekommt, ihren Vater also. Kurt mit der Zahnlücke, der im Zweiten Weltkrieg seine dänische Ehefrau kennenlernt. Ihre aus Frederikshavn in Nord-Jütland stammende Mutter. Dort, wo Krista Sager ihr Sommerhaus hat. Ihr Zwillingsbruder übrigens habe auch eine Dänin geheiratet, aus dem Nachbarort; und die Sommerferien in Dänemark seien so immer herrliche Familientreffen.

Längst sitzen wir auf der Terrasse des Café SternChance. "Schtean-Schangse", wie Krista Sager auf gut hamburgisch sagt. Diesem mütter- und kinderfreundlichen Treffpunkt im Sternschanzenpark, dem ehemaligen Norwegischen Kindergarten. Mit Kulturhaus heute. Auf halber Strecke zwischen ihren beiden Terminen. Dem im Grindelviertel und dem Richtung St. Pauli.

Wahlkampf! Dieses Geackere! Dieses Dauerpendeln zwischen Berlin und Hamburg. Bis jetzt, in der parlamentarischen Sommerpause. Warum sie sich das immer wieder antue, frage sie sich manchmal. Aber man habe ihr das Angebot gemacht, sie fand es attraktiv. Und tja, dann habe sie losgelegt. Ein alter Zirkusgaul, den es immer wieder in die Arena ziehe. Mit großer Lust, denn ihre Augen blitzen beim Erzählen. Und man hört ihn fast rufen, ihren Vater. Damals, an den Wochenenden auf dem Bolzplatz am Grundbergsee. Wenn er im Tor stand und - sobald es brenzlig wurde - ihr, der Retterin, der Verteidigerin, zurief: Krista, geh ran! Und dann sei sie eben losmarschiert.

So ist sie. Konsequent und gut sortiert, bodenständig und realistisch. Sehr erwachsen und mädchenhaft zugleich. Eine Frau, die gerne lacht und mit der sich der Nachmittag hier so wunderbar verreden lässt. Umgeben von dem Getöse eines Kindergeburtstags und dem Gelärme einer Frauengruppe mit Hund, die nebenan die Tische zusammenschiebt.

Krista Sager hat einen Teil ihrer Kindheit in Dänemark verlebt. In den frühen Fünfzigerjahren, als der Vater einen Malereibetrieb in Bremen startet, die Mutter an Tuberkulose erkrankt und man plötzlich nicht weiß, wohin mit den beiden Kleinen? Die dänische Großmutter ist die Rettung. Ein fremdes Land, eine fremde Sprache. Eine aus den Fugen geratene Welt. Die Zwillinge sind einander die einzige Kontinuität, schließen sich eng zusammen, sind sich heute noch sehr nahe. Die bewunderte Großmutter. Die in einer an der Weltwirtschaftskrise finanziell zerbrochenen Familie vom kargen Lohn des Großvaters, Arbeiter in einer Maschinenfabrik, "die Lebensqualität der ganzen Familie zaubert". Backt, kocht, strickt, einmacht, Sülze kocht. Aus ganz wenig ganz viel macht.

Das präge, ja. Und auch die Tante Inger mit ihrer für damalige Verhältnisse unkonventionellen Lebensweise. Lehrerin. Finanziell unabhängig. Die zeigt, "auch ein anderes Leben leben zu können" als das von der Gesellschaft damals vorgegebene.

Und überhaupt, sagt sie, stricken. Natürlich könne sie das auch. Ihr letztes Meisterstück, ein Liebesbeweis für ihren Mann, den eingeschworenen HSV-Fan. Dem habe sie, die absolute FC-St.-Pauli-Anhängerin, einen Teddy bestrickt. Pullover und Pudelmütze in HSV-Farben. Juristisch sei es natürlich nicht ihr Mann, sagt sie. Sondern ihr Lebensgefährte, ihr Partner, ihr Freund.

Und dann sind wir in der Politik. Fast zumindest. In der Politik sei man doch immer auf Mehrheiten angewiesen, um einen Konsens zu finden. Und so sei es in der Partnerschaft auch. Hat sie da etwa die absolute Mehrheit? Quatsch, sagt sie, meine Güte, nein! Machtgerangel habe sie in der Politik reichlich. Das müsse sie nicht noch zu Hause haben. Da käme es doch darauf an, dass keiner untergebuttert werde. Wenn sie also aus Berlin nach Hause komme und der HSV gerade spiele, sei er weg, ihr Liebster. Fahre auch mal bei Auswärtsspielen seinem Verein hinterher.

Umgekehrt müsse sie einfach jedes Jahr für ein paar Wochen nach Dänemark. Oder sich im Wahlkampf tummeln. Ach, sagt sie. Es gibt so Dinge in einer Beziehung, die muss man nicht verstehen, aber ein Gefühl dafür haben, dass der andere das einfach brauche. So. Punkt.

Politisch hat sie sich schon zu Schülerzeiten stark engagiert. 1982 kommt sie in Hamburg zu den Grünen. Wird nach vielen Querelen zwischen Realos und Fundis 1993 zur Spitzenkandidatin für die Bürgerschaftswahl gekürt. Nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen mit der SPD dann 1997 Zweite Bürgermeisterin und Senatorin für Wissenschaft und Forschung.

In dieser für sie politisch erfolgreichen und privat sehr schmerzhaften Zeit - ihre Mutter verunglückt tödlich, der Vater stirbt wenig später an Krebs - habe sie gelernt, dass Politik kein Job sei, in dem man mal eben Pause machen könne. Man lerne sich zu konditionieren. Die Leute draußen haben ein Recht darauf, dass man professionell funktioniert, sagt sie. Wie es drinnen aussieht, ginge keinen was an.

Wir reden noch ein bisschen über den Spruch, der ihr Leben bestimmt: Es gibt keine Zufälle im Leben. Och, sagt sie, das wird ja jetzt philosophisch. Sie glaube an so etwas wie einen inneren Weg. Sei spirituell aufgeschlossen, würde sich aber nicht religiös nennen. Aber in ihrem Leben seien immer Türen zugegangen, bis sie endlich da angekommen sei, wofür sie sich wirklich eigne. Die Politik.

Mit 15 will sie Meeresbiologin werden. Hängt in Chemie durch, muss Bio abwählen, um ihren Notenschnitt zu verbessern. Zu diese Tür also, sagt sie lakonisch. Studium, das höhere Lehramt für Deutsch und Geschichte. Das zweite Examen mit Auszeichnung. Es gibt keine Stellen. Tür wieder zu. Möchte Journalistin werden. Bewirbt sich als Pressesprecherin bei der GAL. Die können sich mit ihrer realistischen Weltsicht nicht anfreunden, lassen die Stelle unbesetzt. Auch diese Tür zu. Tja, und dann kam sie in die Politik. Ihr Ding! Da habe alles wohl drauf zugesteuert.

An Selbstbewusstsein hat es ihr noch nie gemangelt, der kämpferischen Krista Sager, die schon mal, wenn's zu dicke kommt, warnend "Grrr" macht. Wie ein Löwe, ihr Sternzeichen, sagt sie. Die sich darüber ärgern kann, dass sie meist erst nach innerparteilichen Querelen den nächsten Posten kriegt. Wenn die doch gleich gesagt hätten, lass das Krista machen. Die kann das. Eine Frau mit viel Erfahrung, einem kritischem Blick, einer gewissen Unabhängigkeit und bei allen Grabenkämpfen von großer Loyalität. Wie damals, als Joschka Fischer ihr ein Ministeramt anbietet, falls die Grünen in die Regierung kommen - und sie ablehnt. Natürlich, sagt sie. Wie hätte das ausgesehen! Hamburg, die Stadt verlassen, in der wir gerade das Mitregieren üben?!

Hamburg überhaupt. Der Stadtteil St. Pauli, in dem sie wohnt. Dieses bunte urbane Leben. Und so dicht dran an ihrem Schulweg in Bremen-Walle, der direkt durch den Straßenstrich am Hafen ging. Später die Studentenwohnung in St. Georg. Auch da mittendrin im Leben in all seiner Vielfalt. Ach ja, das liebe sie, sagt Krista Sager. Wir reden noch ein bisschen über das, was sie absolut nicht leiden kann. Ungerechtigkeiten, da-für hätten Zwillingsgeschwister besonders feine Sensoren. Das Wort Emanze, weil es einen so schiefen, ewiggestrigen Ton habe. Dass es ihr peinlich sei, überhaupt nicht singen zu können, und sie beim Absingen der Nationalhymne kräftig die Lippen bewege, aber so leise singe, dass es bloß keiner höre.

Und dann, beim Aufstehen schon, landen wir beim Spinat, dem Schrecken ihrer Kindheit. Den sie dem Vater beim Füttern über Anzug und Krawatte spuckt. Und heute noch nicht leiden kann. Tja, und seine Farbe hat doch wohl nichts zu bedeuten, oder?