Eigentlich ist Christian Rach Sternekoch. Nun hat er es auch zum Fernsehstar geschafft, der gerade für den Grimme-Preis nominiert wurde.

Hamburg. Dem Günther Jauch ist nicht zu helfen. Der hat einfach null Bock darauf. Und das brauche man nun mal, um ein guter Koch zu werden. Lust, Spaß und Freude am Kochen. Und das habe er ihm auch gesagt auf dessen Frage hin. Solche Geschichten erzählt er gern. Der Mann, der sich einen Stern erkocht hat und gerade für den Grimme-Fernsehpreis nominiert wurde. Christian Rach, Chef vom Tafelhaus in Neumühlen und RTL-Restauranttester. Beides mit großem Erfolg. Das eine mit einer beständigen Auslastung von 95 Prozent, seit er vor zwanzig Jahren das Gourmetrestaurant damals noch in Bahrenfeld eröffnete. Das andere, "Rach, der Restauranttester", mit einem Marktanteil von mehr als 20 Prozent in der gerade angelaufenen vierten Staffel.

Der Günther Jauch wird's verkraften, dass er nicht zu einem guten Koch taugt. Für die Schobers aus Augsburg, die Pingels aus Gelsenkirchen und all die anderen, die sich zu Hunderten um einen Platz in seiner Sendung drängen, ist Christian Rach die letzte Hoffnung. Die Rettung vor dem Gerichtsvollzieher, vorm drohenden Bankrott. Das Zerreißen dieses "Grauschleiers des Nichtwissens und Nichthandelns", der sie den Dreck in der Küche nicht mehr sehen lässt, die Familie zerstört und auch den Geschmacksnerv. Christian Rach nennt die Misere beim Namen, nimmt die Leute in den Arm. Sagt "du bischt a Guater" zum verzweifelten Koch, und tröstet dessen von der existenziellen Not zerriebene Ehefrau. Sucht eine Lösung. Da ist kein verbales Hackebeil drin wie bei seinem britischen TV-Pendant Gordon Ramsay. Keine Bloßstellungsmasche à la Dieter Bohlen. Christian Rach ist ein Restaurant-Flüsterer.

Gourmettempel und Dokusoap. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich gerade sein Leben. Und allein diese beiden Wörter lassen ihn schon mal zusammenzucken. Reine mediale Wortschöpfungen seien das. Keinem Koch würde so was über die Lippen kommen. Und Dokusoap! Er sei ein Anhänger der deutschen Sprache. Und diese Bezeichnung würde etwas völlig Falsches implizieren. Er bediene keine Häme, zeige einfach nur die Realität. Die Misere und den Weg daraus. Mit einem gewissen Unterhaltungsfaktor aufbereitet und mit der "Kernkompetenz Kochen" drin.

Das alles rollt ihm leicht von der Zunge. Hier im Tafelhaus. In diesen trügerisch ruhigen Stunden zwischen erstem Küchenprobelauf, dem Eintreffen der Gäste zum Mittagsmenu um zwölf, unterlegt mit dem Dauertelefongeklingel in Sachen Tischreservierung. Christian Rach sitzt entspannt da. Doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Genauso wenig wie von seinen wunderbar sanften braunen Augen. Diesem Mann entgeht nichts. Nicht die von seinem Team zufriedenstellend fleckenfrei gewienerten riesigen Glasscheiben. Nicht die fehlenden Schlepper draußen am Anleger, was darauf hindeutet, dass Containerschiffe im Anmarsch sind. Nicht meine Ellbogen auf dem Tisch. Und wenig später mein Zeigefinger, der dem zum Probieren servierten Schokoladenküchlein mit Koriander auf die Gabel hilft. Das, so sagt er, sei alles okay. Das nenne er den Wohlfühlfaktor. Gäste, die sich bei ihm wohlfühlen, dürften das alles. Sich bequem im Stuhl räkeln, wispernd Millionenabschlüsse beim Essen tätigen, verliebt Händchen halten. Ungestört von Kellnern, die unbedingt von links servieren wollen und einem Chef, der höchstpersönlich jeden Gang des Menus direkt am Tisch erläutert. Er und sein Team würden nicht nach starren Regeln, sondern ganz nach Gefühl und der jeweiligen Situation spielen. Und bei einem handfesten Ehekrach über Kabeljau aus grünem Pfeffer- und Minzesud mit Granatapfelsauce und Ricottaravioli? "Nur wenn Sie dabei ein Messer in der Hand halten, wird's eng", sagt Christian Rach. Dann würde er sich mit seinem ganzen Team dazwischenwerfen.

Mit diesem Mann kommt keine Langeweile auf. Er ist äußerst beredt. Egal, worum es grade geht. Um das fehlende Zitronenthymian am Risotto, das ihm gerade Patrick, der Küchenchef, zusammen mit der geschmorten Kalbsschulter zum Verkosten bringt oder die fehlende Vermittlung von Alltagswissen an Schulen. "Anerzogenes Wissen, aber keine Vermittlung von Dingen, die man braucht, um in dieser komplizierten Kommunikationswelt zu überleben." Er lehnt die europäische Gleichmacherei beim Käse ab und befürwortet im gleichen Atemzug die im Insolvenzbereich. "Bei uns ist das ein gesellschaftlicher Makel. In England die Möglichkeit zur Bewältigung einer finanziellen Notlage." Lässt sich über die Pisa-Studie aus und hält Google für eine reine Sinnentleerung. "Vereinfacht die Beschaffung von Wissen, aber nicht von Weisheit." Findet, dass "gemeinsame familiäre Essen die Wurzeln des Staates" seien, das Problem von der Familienpolitik nicht ernst genommen werde und eigentlich längst schon zum Thema einer politischen Diskussion bei Maybrit Illner hätte werden sollen. Und träumt davon, anstelle des Berufsschulunterrichts ein viel effektiveres Netzwerk mit einer Handvoll Restaurants zu bilden. Ausbildung aufge-teilt in vier Posten. Patisserie, Vorspeise, Fisch, Fleisch. Ein halbes Jahr für jeden werdenden Koch auf jedem Posten. Und ab ins nächste Restaurant. Ausbildungsplätze schaffen und sichern, danach habe sich das System zu richten und nicht umgekehrt, sagt er vehement.

Bei all diesen Sätzen ist ihm warm geworden. Die sich durch die Wolkendecke schiebende Sonne tut ein Übriges. Stört es Sie, wenn ich meinen Pullover ausziehe, fragt er höflich. Warum denn nur? Wenn selbst Barack Obama im Oval Office in Hemdsärmeln Weltpolitik macht, muss ein Sternekoch das doch in seinem Restaurant allemal dürfen. Das haben Sie jetzt gesagt, sagt Christian Rach schnell. Aber dieser neue US-Präsident sei schon ungeheuer faszinierend, gebe den Leuten das, wonach sie suchen. Eine Leitlinie, einen Sinn. Dieses "Yes we can". Und habe die Stimme dafür. Auch darüber könnten wir noch lange reden.

Christian Rach macht es einfach gern: Zusammenhänge analysieren, Dinge erklären, Sachverhalte aufdröseln. Kein Wunder eigentlich, denn schließlich hat er zwölf Semester Philosophie und Mathematik studiert und ist dann kurz vorm Examen ausgestiegen. Zum nicht allzu großen Entsetzen seines Vaters, der ihn mit dem Spruch "hast du jemals in den Stellenanzeigen einer Zeitung gelesen ,Philosoph gesucht'?" ohnehin von diesem Studium abhalten wollte. Rachs nun folgender Abstecher zu der Stellung des Philosophen als Sinngeber der Gesellschaft ist nur schwer zu stoppen.

Sein Studium hat er sich finanziert. Durch Kellnern und Kochen. In der Filmhauskneipe in Ottensen. Hat dem Koch über die Schulter geguckt und später dann auch selbst gerührt. An den Wochenenden. Unter der Woche lernt er im Strandhof am Blankeneser Strandweg, wie man es richtig macht. Wenig später geht er nach Grenoble. Lässt den Examenstermin dafür sausen und kocht sich nach oben. Hält sich für mutig und frei und lächelt wohlig bei der Erinnerung. Diese Zeit, sagt er. Dieses sich freischwimmen von überkommenen Strukturen. Das gehörte damals einfach dazu. Wie keine Anzüge tragen, aber lange Haare und Federn am Ohr. Ja, auch er. Hier, sagt er, ich habe noch das Loch im Ohr.

Dann reden wir über Ängste, die auch er habe, Christian Rach, der grad auf der Erfolgswelle schwimmt. Der der augenblicklichen Situation nicht trauen mag. Dieses Nichtsicherseinkönnen, was letztlich übrig bleibt von dem Erarbeiteten. Dass das körperliche und geistige Vermögen irgendwann aufgebraucht sein könnte, so als würde man permanent über den Bank-Dispo hinaus lebe. Gegensteuern könne man nur durch Prioritäten schaffen und die Lust am Leben bewahren. "Dinge tun, die Mehrwert bringen." In Beruf, Privatleben, der Familie.

Und auch über die Dinge, die er gar nicht abkann, reden wir. Grießbrei zum Beispiel. Eine Laktoseallergie könne man ihn elegant nennen, diesen Brechreiz allein schon beim Anblick. Genau wie seine Abneigung gegen einengende Rollkragenpullover vielleicht Ausdruck von Beziehungsängsten sei. Einen Ehering trage er auch nicht. Aber habe ihn immer dabei. Wirklich.

Dann wird es langsam Mittag. Die ersten Geschäftsleute im Anzug kommen. Und auch ein junges Pärchen. Im Parka. Mit Christian Rachs "Kochgesetzbuch" unterm Arm. Sie bitten um eine Widmung, und Christian Rach strahlt sie an. Natürlich könne er sich an sie erinnern. Sie haben doch gestern bei ihm gegessen. Die beiden aus Koblenz. Und der Tim Fischer habe seiner Simone dabei einen Heiratsantrag gemacht. Das sei ihr Traum gewesen, gesteht die Zweiundzwanzigjährige. Ja, natürlich der Heiratsantrag. Aber auch dieses Essen bei Christian Rach, dem Mann, den sie bewundert und gut kennt. Aus dem Fernsehen.