Viele Jahre alt sie als zu junge für die Stufen auf der Karriereleiter. Jetzt ist Sibylle Umlauf Präsidentin des Hamburger Landgerichts.

Hamburg. So geht das aber nicht. Mit diesem Teebeutel. Er hängt einfach so in der Luft. Die Unterlage zum Abtropfen fehlt. Und so etwas hat sie nicht so gern. Diese Frau, die einen ausgeprägten Ordnungssinn eine ihrer Macken nennt. "Wenn denn überhaupt eine." Sibylle Umlauf, die neue Präsidentin des Hamburger Landgerichts. Und dann muss sie darüber lachen. Denn hier im Abaton-Bistro am Grindel nimmt man das alles eben ein bisschen lässiger.

Sie liebt eine gewisse Ordnung und eine klare Struktur in ihrem Leben. Deshalb hat es sie auch mehr als irritiert, dass sie 2007 als Kandidatin des damaligen Justizsenators Lüdemann an nur einer Stimme scheiterte. Bei der Wahl zur Präsidentin des Oberlandesgerichts. Erika Andreß, die damalige Vizepräsidentin des Oberlandesgerichts (OLG), machte das Rennen. Und darüber habe sie sich schon geärgert. Wahnsinnig sogar, bekennt Sibylle Umlauf. Aber nun ist es so, sagt sie nüchtern.

Sie gucke nach vorne und freue sich, dass sie jetzt an der Spitze dieses ganz tollen Gerichts stünde, des Landgerichts. Und die Zusammenarbeit mit ihrer ehemaligen Gegenkandidatin sei höchst konstruktiv. Aufgestiegen auf der Karriereleiter ist Sibylle Umlauf. Aber nicht vom Stockwerk her. Sie sitzt auf dem gleichen Flur im Schumacher-Bau des Ziviljustizgebäudes am Sievekingplatz. Da, wo sie schon seit 1996 als Vizepräsidentin saß. "Ich bin sozusagen nach Hause gekommen."

Sibylle Umlauf, "erst das i und dann das y", darauf lege sie schon wert, ist eine spannende Mischung. Norddeutsch spröde und trotzdem warmherzig, äußerst korrekt, aber mit einem Sinn für trockenen Humor. Präzise in ihren Aussagen und netterweise äußerst nachsichtig mit Menschen wie mir, die sich in dem Gewirr der Hierarchien in der Hamburger Gerichtsbarkeit nicht zurechtfinden.

"Wir gehen das mal der Reihe nach durch, dann wird es leichter für Sie", sagt sie. Also: Die höchste Richterin Hamburgs ist sie schon mal nicht, wie anfangs auch zu lesen war. Sondern die zweithöchste gleich nach Erika Andreß vom OLG, wenn man denn so will. Aber es gäbe auch noch das Oberverwaltungsgericht parallel dazu. Das Finanzgericht sei auch hoch angesiedelt.

Zusammen mit dem Amtsgerichtspräsidenten habe sie aber als Präsidentin des Landgerichts den zweithöchsten Posten in der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Und dann gäbe es noch den Verfassungsgerichtspräsidenten als höchsten Richter. "Noch mal?", fragt sie und lässt den Teebeutel endlich erleichtert in eine benachbarte Untertasse fallen. Nein, eigentlich lieber nicht. Lieber Sibylle Umlauf selbst.

Die Frau mit der erstaunlichen Karriere in einer Zeit, als Jura noch nicht weibliches Modestudium geworden war. Und sie erhebliches Aufsehen erregte, wenn sie mit fast taillenlangem blonden Haar zur Sitzung erschien. Eine Zeit, in der sie immer wieder als "zu jung" galt für die Stufen auf der Karriereleiter. Ja, sagt sie und lacht. Vielleicht sei das eine Alterserscheinung.

Dieses ewige zu jung sein für irgendwelche Ämter sei endlich vom Tisch. Endlos gehört - als sie mit gerade 27 Jahren Richterin im Amtsgericht wird, mit 39 Vorsitzende Richterin am Landgericht, mit 43 Vizepräsidentin des Amtsgerichts. Und jetzt Präsidentin des Landgerichts. Mehr geht nicht, sagt sie knapp. Neun Berufsjahre blieben ihr noch bis zur gesetzlich vorgeschrieben Pensionsgrenze. "Eine Zeitspanne, in der man sehr viel bewegen kann und nicht in Gefahr gerät, in Routine zu verfallen."

Am Nebentisch gibt es Kindergeschrei. Ein Vierjähriger will partout nicht wieder rauf auf den Stuhl.

Ein passendes Stichwort für das Thema von Frau, Kind und Karriere in der Justiz. Bei ihr und ihrem Mann, sagt Sibylle Umlauf, habe es sich nicht ergeben. Das mit dem Kinderwunsch. Aber sie sei sicher, dass ihr Weg dann anders verlaufen wäre. Vor allem während der Zeit Ende der Achtzigerjahre als Pressesprecherin der Justizbehörde unter Wolfgang Curilla. Zeitintensive Jahre, Verfügbarkeit rund um die Uhr, viel Hektik. Sie habe immer wahnsinnig gerne gearbeitet. Mit Kindern, vor allem kleinen, wäre das nicht für sie gegangen. "Und so ist das Leben manchmal."

Sibylle Umlauf hat sich immer für die Frauenförderung eingesetzt. Auch und gerade zu ihrer Zeit als Präsidiumsmitglied des Deutschen Richterbundes. Viel sei seitdem erreicht worden. Halbtags- und Teilzeitjobs. "Dieses Potenzial an hochqualifizierten Frauen ist unglaublich." Auch bei Männern, ergänzt sie schnell. Und dann passiert ihr ein hinreißender sprachlicher Ausrutscher. "Männermenschen", sagt sie. Und hat diese Wortschöpfung wohl tatsächlich ernst gemeint. Vielen bewundernswerten Männern sei sie begegnet. Hervorragenden Juristen. Großen Persönlichkeiten. Wie dem Präsidenten der Bucerius Law School, Professor Dr. Karsten Schmidt.

Die Juristerei lässt sich bei dieser Frau einfach nicht zur Seite packen. Wie denn auch, bei der Tochter eines Bremer Rechtsanwalts und Notars und Ehefrau eines Anwalts für Wirtschaftsrecht. Ein Nest geradezu. Ihr Vater habe sie sehr geprägt, gesteht sie. Sie hilft während der Schulzeit schon in seiner Kanzlei, schreibt Verträge "noch mit Durchschlagpapier", sortiert die Loseblattsammlung des Schönfelder, teilt seine Gedanken, hat Spaß daran. Und ist erstaunt, dass er ihr trotzdem von einem Jurastudium als zu beschwerlich abrät. Ja, das sei vielleicht der Antriebsmotor gewesen. Es gerade zu tun. Ihm und auch sich selbst zu beweisen, dass es zu schaffen sei.

Eine immer schon ein wenig gegen den Strich gebürstete Tochter, der in der Familie preußische Tugenden vorgelebt werden und von der wie von ihren beiden Schwestern "unausgesprochen, aber trotzdem allgegenwärtig" viel erwartet wird. Die sich trotzdem oder auch deshalb den Kopf fast kahl scheren lässt als Dreizehnjährige, weil ihre Mutter nicht will, dass sie lange Haare trägt. Bei der die linke Spalte in den Zeugnissen, die für Betragen, immer gut mit Mängelrügen gefüllt ist. Die nach dem Abitur zum Studium nach Kiel geht und nicht nach Freiburg wie die meisten Mitschülerinnen. Sie will dem "Aufgefangensein" entgehen. Sich endlich ausprobieren. Und gesteht lachend, dass sie in Kiel schon nach wenigen Monaten den Mann ihres Lebens gefunden habe. Joachim Umlauf, Referendar und Assistent an der Uni.

Sie sei nie so recht angepasst gewesen. Kein "Draußenkind" wie ihre sportliche Mutter es gern gesehen hätte, aber lesend, Klavier spielend und sogar Orgelunterricht nehmend. Im Bremer Dom. Als Statistin am Bremer Stadttheater ist sie fasziniert von diesem "hoch spannenden" Leben. Von Regisseuren wie Peter Zadek, Kurt Hübner, Peter Stein. Und überlegt für einen kurzen Augenblick, vielleicht doch Germanistik zu studieren. Aus der Familie ihrer Mutter stamme der große Geigenvirtuose Georg Kulenkampff, sagt sie. Und das sei wahrscheinlich der Grundstein für ihre Verhaftung mit der Musik. Sie hört noch heute auf dem Weg von ihrem Zuhause in Blankenese zum Justizgebäude am Sievekingplatz Klaviermusik. Von Vladimir Horowitz, Martin Stadtfeld, Volker Banfield. Und habe sich einen langgehegten Traum erfüllt. Einen Steinway-Flügel.

Dann bricht plötzlich das große Kichern aus. Sie fahre eigentlich immer mit dem Auto ins Büro, gesteht sie. Nur einmal, bei einem großen Schneegestöber habe sie die S-Bahn genommen. Fühlt sich genervt von den Blicken der anderen, trifft einen Kollegen. Unterhält sich wunderbar mit ihm. Und dann der Augenblick im Büro vorm Spiegel. Blankes Entsetzen. Ein Gesicht voller vom Schnee zerlaufener schwarzer Wimperntusche. Gruselig. Deshalb also das Angestarre. Irgendwie könne sie dem Kollegen sein Schweigen darüber nicht verzeihen. Wie bei Loriot mit der Nudel, sagt sie.

Um uns herum haben Kaffeetrinker die Mittagsgäste abgelöst. Es wird langsam Zeit, nach ein paar verborgen Ecken und Kanten zu suchen. Bei dieser Frau, die so viel Klarheit und Gradlinigkeit ausstrahlt. Ja, sagt sie. Was hätten Sie denn gern? Irgendwas Schräges. Ihr einziges Laster, starkes Rauchen seit dem dreizehnten Lebensjahr, habe sie schon vor einigen Jahren aufgegeben. Von einem Tag zum anderen. Rein vom Verstand her gesteuert. Sie sei ohnehin kein Typ für heillose Bauchentscheidungen und jammervolles Bedauern hinterher. Ihr Bauch melde sich schon. Aber dann lasse sie erst noch mal ihren Verstand drübergehen.

Und dann landen wir über ein paar Umwege, über Freiräume in der Ehe, geordnetes Zeitungslesen zu zweit beim Frühstück ("FAZ und Abendblatt"), doch wieder bei Sibylle Umlauf, der Landgerichtspräsidentin. Sie wird, wenn sie sich auf diesem Poosten eingearbeitet hat, wieder eine Kammer übernehmen. Für Strafrecht und vielleicht auch Jugendrecht wie früher. Das liegt ihr sehr am Herzen. Die Justiz komme bei vielen Fällen zu spät. Bei Jugendlichen, die in schwierige Verhältnisse hineingeboren so große Defizite haben, die das Leben nicht ausgleichen könne. Und die erst straffällig werden müssen, damit sich jemand um sie kümmert. Darüber könne sie noch lange reden. Und tut es auch. Irgendwann gehen wir dann doch. Mit der Angst im Nacken, dass zumindest meine Parkuhr längst abgelaufen ist. Ach, sagt Sibylle Umlauf, das ist einfach Pech. Genauso wie in Hundeschiete treten. Ein starker Abgang einer starken Frau!