Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute: Sabine Schulze, Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe.

Das steckt wirklich an! Diese Begeisterung, mit der sie den bis zum Stehkragen eingerüsteten Riesenkasten am Steintorplatz zu völlig neuem Leben erweckt. Allein schon diese ausgetretenen Stufen, sagt sie. Die langen Gänge. Spüren Sie nur. Das Getrappel von Hunderten von Schülern. Damals, zum Ende des 19. Jahrhunderts, als sich das Haus noch mit der Realschule des Johanneums, der allgemeinen Gewerbeschule und der Schule für Bauhandwerker die Räume teilte. Solche Geschichten liebt sie. Die Frau, die von sich sagt, dass sie eine Geschichtensucherin und -erzählerin sei. Und für ganz "nigelnagelneue" Häuser nicht viel übrig habe. Professor Dr. Sabine Schulze, die neue Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe.

Seit Juni ist sie hier. Als Nachfolgerin von Professor Wilhelm Hornbostel, der in seiner zwanzigjährigen Amtszeit zu einer Hamburger Institution wurde. Große Fußstapfen sind es, in die sie tritt. Muss man sich da fürchten? Er war ein großer Vermittler, sagt sie. Aber vieles sei anders. Sie komme von der Malerei des 19. und des 20. Jahrhunderts, er von der Antike. Und außerdem, sagt sie und lacht, habe sie schließlich Schuhgröße einundvierzig. Sabine Schulze ist eine sympathische Frau mit einer unglaublich positiven Ausstrahlung, hinter der sie sich auch ein bisschen versteckt und die Emotionen gern mit einer flapsigen Bemerkung herunterschraubt.

Nach mehr als fünfundzwanzig Jahren Präsenz in der Frankfurter Kunstszene ist ihr der Wechsel nicht ganz leicht gefallen. Da seien Tränen geflossen, gesteht sie. Und das bei ihr, die nie in Gesellschaft weine. Höchstens mal im Kino. Ein Abschied voller Wehmut also. Freunde, die man zurücklässt, Kollegen, "ihre" Bilder im Frankfurter Städel-Museum, die Aufsicht, die jeden Morgen "Tach, Frau Schulze" sagte. Schwierig sei es gewesen. Ja. Aber dann hier in Hamburg - alles wie weggeblasen.

Wir sitzen nach einem Rundgang durchs Haus in der "Destille", dem Museumscafe. Bei Kaffee und Tee, inmitten des mittäglichen Gewusels. Die Chemie habe einfach gestimmt, sagt sie. Zwischen ihr und diesem Haus, das sie als Sechsjährige zusammen mit ihren Eltern zum ersten Mal besucht hat. Mit dreiundfünfzig einen Neuanfang zu wagen sei eine große, wunderbare Herausforderung. Aber auch gerade keine Zeit für Höhenflüge, für große Träume. Renovierungsarbeiten bestimmen ihren Alltag. Mehr als 900 total vermorschte Balkenköpfe halten sie in Atem. Dieses ständige Umräumen von einem Raum zum nächsten, damit die Fußböden aufgerissen werden können. Und dann, sagt sie, wenn in fünf Jahren alles fertig ist, sieht das Haus noch genauso aus wie vorher. Mit abgetretenen Teppichen und Vitrinen, die dringend restauriert werden müssten. "Und das Geld ist futsch." Sponsoren seien für so profane Dinge kaum zu begeistern.

Aber dieses Museum habe etwas ungeheuer Lebendiges. Etwas sehr Demokratisches. Sehr Kommunikatives. Diese Materialien, dieser Alltagsbezug! Kommen Sie, fragt sie, was ist denn Ihr Problem mit diesem Haus? Das habe sie doch schon beim Rundgang gespürt. Vollgepfropft sei es, leicht verwirrend und, ja, auch ein bisschen muffig. Gut, sagt sie, ich werde Sie in spätestens fünf Jahren zu einem begeisterten Fan machen.

Fünf Jahre. Ein Zeitfenster, das immer wieder auftaucht. Ja, sagt sie, aus einer unkündbaren Stelle sei sie hier in einen Fünfjahresvertrag eingestiegen. Fünf Jahre brauche man für jede neue Aufgabe, bis man alles richtig im Griff habe. Danach erst komme das Spannende und Kreative. Gilt das eigentlich auch für eine Ehe? Oh, sagt sie, ein ganz neuer Aspekt. Aber warum nicht. In jeder Ehe gäbe es natürlich auch eine Aufbauphase, die turbulenten Phasen und dann die, in der man von all diesen Phasen profitieren könne. Und wechselt man dann? Na, na, na, sagt sie, sie sei schließlich schon fünfundzwanzig Jahre verheiratet. "Man muss die Dinge sacken lassen, wie der Hamburger so sagt."

Sie hat sich mit vielen ungewöhnlichen Ausstellungen in Frankfurt einen Namen gemacht. "Innenleben. Die Kunst des Interieurs von Vermeer bis Kabakov" war eine davon. Die Spuren des Menschen im Raum, sagt Sabine Schulze, seien so unglaublich spannend. Gegenstände und ihre Anordnung würden viel über die geheimsten Wünsche und Ängste des jeweiligen Bewohners verraten. Ob er repräsentativ lebt, sich gern in Szene setzt oder sich lieber verstecken möchte. In der Wohnung und auch im Garten. Ob man da alles schniegelt und stutzt oder der Natur das letzte Wort lässt. Auch wie sich das Individuum in der Kunst spiegele und ...

Halt! Stopp! Was würde denn ihr Zuhause über sie verraten? Viel zu viel, sagt Sabine Schulze, das würde sie nur mit wirklich guten Freunden teilen. Also? Sehr individuell sei ihre Frankfurter Wohnung. Mit Büchern zugewachsen und eingelebt. Na gut, sagt sie, ich verrate Ihnen etwas. Mein Lieblingsstück. Mitten im Wohnzimmer. Eine knallrote Fünfzigerjahre-Knautschlackhausbar. In Nierenform. Und was verrät mir das nun? Viel Sinn für einen Epochenmix vielleicht, sagt sie. Und wenig Neigung zu durchgestyltem Wohndesign wie in einschlägigen Hochglanzbroschüren. Sie habe viel übrig für das Möbeldesign der Fünfzigerjahre. Vielleicht oder auch gerade, weil sie als Flüchtlingskind das so selbst nie erlebt habe.

Sabine Schulzes Eltern kamen aus Thüringen und mussten in Frankfurt völlig neu anfangen. Harte Jahre, in denen anfangs nicht viel übrig war für große Sprünge. Die Liebe zu Museen aber haben sie der einzigen Tochter früh ins Herz gepflanzt. Mit Museumsbesuchen quer durch Deutschland. Die große Dürer-Ausstellung in Nürnberg zum Beispiel. Die Hamburger Kunsthalle. Und das Museum für Kunst und Gewerbe. Beide Eltern hätten immer wunderbare Geschichten dabei erzählt. Aber, sagt sie lachend, dass sie selbst dann Kunstgeschichte studierte, sei nicht Sinn der Sache gewesen. Das fiel bei ihren Eltern doch eher unter "brotlose Kunst".

Längst ist es leer geworden um uns herum. Wir bleiben an den Sechzigerjahren hängen. Bei diesen ersten Anflügen von Tourismus. Im gebrauchten Opel einmal im Jahr über den Brenner nach Italien. Und bei dem Spruch von Charles M. Schulz, dem Schöpfer der "Peanuts": Sein Zuhause ständig umzudekorieren, gäbe einem die Illusion, dass das eigene Leben viel interessanter sei als in Wirklichkeit. Ja, ein bisschen vielleicht, sagt Sabine Schulze.

Aber es sei doch so: Wenn sie jetzt in Hamburg endlich eine neue Wohnung gefunden habe, irgendwo zwischen dem eleganten Harvestehude und dem lebendigen Eppendorf, dann brauche es einfach seine Zeit, den richtigen Platz für alles zu finden. Auch für diese rote Knautschlackhausbar natürlich. Das Licht sei so wichtig. Wo man sitzen, wo hingucken, wo schlafen, wo lesen wolle. Irgendwann weiß man es dann. Oder auch nicht. Und das Gerücke und Geschiebe beginne von Neuem.

Sie fühlt sich wohl in Hamburg. Gut aufgehoben und offen aufgenommen. Diese Gastfreundschaft habe sie als fast bacchanalisch erlebt. Überhaupt nicht kühl und distanziert. Und sie schlendert gerne abends durch Wohnstraßen. Lässt ihrer Fantasie freien Lauf. Wer mag da wohnen? Und wie? Nur diese Lampen in den Fenstern. Nein, das sei nicht so ihr Ding. Genauso wenig wie die vielen Orchideen auf den Fensterbänken. Sie stehe mehr auf Gänseblümchen. Dieses kleine Stückchen Glück am Rande.

Glück, sagt sie und nimmt den vor mindestens einer halben Stunde unterbrochenen Faden wieder auf. Ein Museum sei der Ort, an dem die Sehnsucht des Menschen nach Glück einfach angehäuft ist. Kunst sei auch etwas, mit dem man die Beschädigungen, die Enttäuschungen, die Mühsal des Alltags überhöhe, dagegen angehe. Ein bisschen so wie Kino, sagt die begeisterte Kinogängerin. Dem Alltag ein Stück entfliehen. Bis das Licht wieder angeht. Sie wäre vielleicht auch gerne Regisseurin geworden. Theaterregisseurin.

Schon fast im Aufstehen erzählt Sabine Schulze dann noch von ihren zwei linken Händen. Ihrer Untauglichkeit selbst beim Bilderaufhängen. Von dem wunderbaren Koch an ihrer Seite, ihrem Ehemann, und dass sie bügeln hasse. Hier, sagt sie, bei dieser Bluse habe es gerade zur Vorderseite gereicht. Die Jacke könne sie nicht einmal ausziehen.

Das hört sich fast wie Koketterie an bei dieser Frau, die sich im Alter von 25 Jahren das Stricken in aufwendigen Mustern selbst beigebracht hat und auch das Radfahren im Englischen Garten. Und die das Joggen um die Außenalster demnächst gezielt angehen wird. Sonntagmorgens. Voller Begeisterung. Und ohne Kopfhörer. Weil man dann die Glocken der Stadt so schön hören könne.