Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute: Ivica Olic, HSV-Torjäger

Es hat was. Dieses rechte Knie. Nicht nur wegen des properen Anblicks. Nein, irgendetwas ziept da drin, sagt er. Aber egal. Tore schießen kann er damit trotzdem. Der ausgewiesene Linksfüßer. Seine besten Tore hat er mit rechts geschossen. Beim Sieg Kroatiens gegen Italien. Und jetzt beim DFB-Pokal gegen Audi, Sie wissen schon wie der Klub heißt. FC Ingolstadt vielleicht? Das ist gut, sagt er und lacht aus vollem Halse. Dieses kollernde kehlige Lachen, das das Kaugummi zwischen seinen Zähnen aufblitzen lässt. Ivica Olic, gesprochen Ivitza Olitsch, der kroatische Torjäger des HSV. Ein Arbeitstier, eine Laufmaschine und vor allem ein zuverlässiger Mannschaftsspieler, heißt es.

Wir treffen uns zwischen zwei Trainingseinheiten in einer VIP-Lounge hoch über dem Rasen der HSH-Nordbank-Arena. Frisch geduscht ist er, in strahlendem Blau-Weiß und mit viel Bein eben. Normalerweise fährt er in der Pause nach Hause. Zum Fußballspielen mit seinen beiden Söhnen. Eine ruhige Kugel sei das, sagt der blitzschnelle Angreifer, der pro Spiel mindestens 12 Kilometer abrennt. Angeblich mit einem Durchschnitt von 31 km/h. Das war mit zwanzig, sagt er schnell. Zu Hause steht er im Tor. Und so treffsicher seien die Kleinen noch nicht, dass es in Stress ausarten könne. Nur der sechsjährige Antonio, der jetzt in die internationale Schule kommt, habe es schon ganz gut drauf, wolle endlich richtig trainieren. Ja, sagt Ivica Olic, man müsse früh anfangen. Er sei damals mit 16 Jahren viel zu alt gewesen. Aber seine Frau und er müssten sich das noch mal richtig überlegen. Mit Antonio, dem Nachwuchskicker.

Ivica Olics Vater Ivan, ein Flussschifferkapitän, bestand damals in dem kroatischen 4000-Seelen-Ort Davor am Grenzfluss zu Bosnien darauf, dass sein Sohn erst die Schule zu Ende macht. Auf jeden Fall einen Beruf lernt. Und dann Fußballprofi wird. Ein Diplom als Elektrotechniker hat er, aber das sei schon jetzt nichts mehr wert, sagt Ivica Olic. Alles überholt. Über später mache er sich noch keine Gedanken. Jetzt ginge es nur ums Spielen, Spielen, Spielen und darum, jede noch so kleine Schwäche auszumerzen.

Er ist ein nüchterner Mann, der 1,82 Meter große und gar nicht so dünn wie auf dem Rasen wirkende Kroate. Volle 84 Kilo, sagt er. Das ist doch gut, oder? Und wie! Und dann noch diese blauen Augen! Auch wortkarg ist er nicht. Nur manchmal bleibt im Eifer des Gefechts sein Deutsch mit dem herben kroatischen Akzent ein bisschen auf der Strecke.

Als "Schnäppchen" wurde Ivica Olic im Januar 2007 für 2 Millionen vom HSV eingekauft, in einer relativ schwierigen Phase des Klubs. Schnell schoss er sich in die Herzen der Hamburger. Mit diesem berühmten Hattrick gegen den VfB Stuttgart, der die HSH-Nordbank-Arena in ein Tollhaus verwandelte. Stehende Ovationen und das aus dem Lautsprecher dröhnende "Holding Out For A Hero" von Bonnie Tyler. Einen Hattrick - drei Tore hintereinander in einer Halbzeit - das hatte vorher noch niemand beim HSV geschafft. Ein lupenreiner Hattrick sei das sogar, oder? Musst Du wissen, sagt er. Oh je. Aber ohne eine gute Mannschaft ginge das nicht. Ohne gute Vorlagen. Leicht verlegen rubbelt er wieder an diesem vertrackten nackten Knie herum und sagt dann lachend: "Wenn ich mit rechts schieße, dann schieß ich nicht so, wie ich will, sondern wie der Fuß will. Aber er macht das gut, oder?"

Der 28-jährige Kroate ist sich seiner Leistung wohl bewusst, ohne sie groß vor sich herzutragen. Er hat auch diese andere Phase erlebt. Diese Selbstzweifel. Als er vor zehn Jahren von seinem Heimatverein zu Hertha BSC nach Berlin wechselte. Und auf der Strecke blieb. Zu jung für die Bundesliga sei er gewesen. Sprach kein Deutsch. Konnte nicht verstehen, dass sich niemand um ihn kümmerte. Um ihn, den vielversprechenden Nachwuchsspieler. Fühlte sich ins Abseits geschoben, kam mit dem Trainer nicht zurecht. War total mutlos. Zweifelte, ob Fußball überhaupt sein Ding sei, ob er als Profifußballer überhaupt eine Zukunft habe. Du musst es dir so vorstellen, sagt er. "Ich hatte kein gutes Geld, spielte nicht. Ich konnte nicht mal sagen: Scheißegal, ich spiele nicht, aber der Vertrag ist gut. Nichts." Nach ein paar Monaten schmiss er hin. Wollte zurück zu seinem kroatischen Verein. Sich noch einmal von vorne ausprobieren.

Und in dieser zerrissenen Phase passiert es. Auf dem Ku&39;damm in Berlin bei einem kleinen Italiener trifft er Natali, das große Glück seines Lebens, wie er sagt. Sie sitzt ein paar Tische weiter mit einer Freundin. Wie man sich das so vorstellen müsse? Wie?, fragt er zurück. Na, ein Flirt über drei Tische weg. Oder so. Nää, sagt er, das kann ich nicht. "Ich bin doch nicht Brad Pitt!" Ein Freund, der dabei ist, hilft, und es funkt. So was wie Liebe auf den ersten Blick also? Er habe sofort gewusst, dass sie die Richtige sei. Du kannst es ruhig Liebe nennen, sagt er. Seiner Natali ist es auch zu verdanken, dass er sich für den HSV entschied. Nach dem russischen Erst-ligaklub und Uefa-Cup-Sieger ZSKA Moskau. Sie habe immer gesagt, wenn Deutschland, dann Hamburg. Die Stadt sei so schön, so überschaubar, so sicher. Nur das Wetter, sagt er, dieser Regen. Dann werde zu Hause die ganze Atmosphäre düster. Selbst bei den Kindern. Aber sonst? Eine wunderbare Stadt. Hier könne er bleiben mit der Familie. Wie ist es denn also mit seinem 2009 auslaufenden Vertrag? Hat er schon einen neuen unterschrieben? Hochch, mmm, nää, sagt Ivica Olic. Erst mal volle Konzentration auf die jetzt beginnende Bundesliga-Saison und dann wei-tere Gespräche. Das heißt? Schweigen.

Ivica Olic lässt sich nicht gern in die Karten gucken. Nach vier Jahren Moskau und diesen unendlichen Staus, sagt er ablenkend, sei Hamburg ein Paradies. Wenn er in Moskau nach Hause fuhr, konnte er nur sagen, ich komm&39;. Wann auch immer. Alles zwischen dreißig Minuten und zwei Stunden war drin. Hier sei er in zehn Minuten zu Hause. Und dieser Wildwuchs auf Moskaus Straßen. Nahkampf. Jeder gegen jeden. Egal, ob rote Ampel oder nicht. Da hast du recht, sagt er. Das sei das einzige Rot, das ihm passieren könne. Ne Ampel überfahren. Rot - niemals beim Fußball. Nicht mal beim Spiel gegen Werder Bremen, als der gegnerische Torwart ihm mit aller Macht die Stollen in Nacken und Schulter rammte? Natürlich, sagt er, da denkst du schon drüber nach, ob du nicht zurücktreten solltest. Aber als ich zu Ende gedacht hatte, war er Gott sei dank schon weg. Glück gehabt. Ich, sagt er und bricht in tosendes Gelächter aus. So was sei ja eine Sperre für ein halbes Jahr oder länger.

Früher, zu Hause, da sei er leicht in Rage gekommen. Aber nun sei er eben älter. Und weiser? Ja, sagt er, kannst du so sagen. Auch frustfester. Als er mit der kroatischen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft im Viertelfinale beim Elfmeterschießen rausflog, sei er fünf Tage todtraurig gewesen, aber dann müsse man sich aufrappeln. Wieder Lust am Spiel kriegen. Außerdem seien da die Kinder. Die könnten nicht verstehen, dass ihrem Vater so was richtig weh tue. Die wollten nur mit ihm Fußball spielen.

Ach, das Fußballspiel. Man müsse es mit ganzem Herzen lieben, verstehst du das? Jedes Mal fast kaputt daran gehen, wenn man nur auf der Bank sitzt. Wenn dieser Biss weg ist, bist du kein guter Spieler mehr. Dann kannst du das vergessen. Er hat gegen jede Schwäche antrainiert. Immer und immer wieder. Mit seinem privaten Trainer und Freund Igor Jukic aus Zagreb. In Moskau und auch hier in Hamburg. "Ich will einfach immer besser werden." Bist du eigentlich krank im Kopf, mit 28 immer noch so hart zu trainieren, Ivi, habe seine Frau dazu gesagt. Ja, da ginge es schon manchmal hoch her. Natali hält nicht mit Kritik zurück. Kann sich maßlos darüber aufregen, dass er in seiner Freizeit nur Fußball guckt. Erste Bundesliga rauf und runter, die Zweite Liga, Champions League, Uefa-Cup. Kein Tag ohne Fußball. Die absolute Katastrophe!

Ivica Olic erzählt noch von seiner kleinen Tochter Lara, die jetzt gerade einen Monat alt geworden ist. Drei Kinder, sagt er, da brauchst du ein Familienauto. Früher, ja, mit 18, 19, habe er auch von einem Maserati geträumt, aber jetzt sei da die Familie, und das wäre so viel besser als alles andere auf der Welt. Dann muss er los zur Nachmittagsrunde. Mit diesem Knie? Das ist nur müde, sagt er lachend. Das muss wieder raus, Tore schießen.