Ein Besuch in der Spieleschmiede von Ubisoft in Düsseldorf: Die neue Version der “Siedler“ wird noch realistischer. Erstmals tauchen im Spiel auch Frauen auf. Der Spieler muss sich nicht gegen andere Völker, sondern in unterschiedlichen Klimazonen behaupten.

Sogar zwei Minuten zu früh verlässt der ICE 585 den Hamburger Hauptbahnhof. Nach genau vier Stunden Reisezeit mit Umsteigen in Hannover, viel zu teurem Kaffee im Bordrestaurant, einer Fahrt mit der Düsseldorfer S-Bahn und einem kurzen Fußmarsch stehe ich vor den Hallen der Softwareschmiede Ubisoft.

Überall in den Büros hängen Bilder von den Siedlern

Obwohl noch Monate Entwicklungs-Testzeit ins Land gehen, bevor der neueste Teil der Erfolgsserie "Die Siedler" über den Ladentisch gereicht wird, darf ich jetzt schon einen Blick auf den potenziellen Kassenschlager werfen. Begrüßt werde ich von Karsten Lehmann, Senior-PR-Manager, wie es neudeutsch heißt. Ein Rundgang durch die Büroräume verrät den Hang der dort wirkenden Belegschaft zu der seit 1993 erfolgreichen "Die Siedler"-Serie. Überall stehen, hängen, liegen Bilder, Figuren und Plakate der kleinen, wuseligen Gesellen, die mit der neuesten Version des Spiels bereits in die sechste Runde gehen.

Die brennendste aller Siedler-Fan-Fragen dürfte lauten: kommen die kleinen, fleißigen Knubbelnasen der früheren Episoden wieder? Die Antwort des Ubisoft Entwicklerteams "Blue Byte" ist - Nein! "Siedler 6", mit dem Untertitel "Aufstieg eines Königreiches", kommt deutlich realistischer daher. Und das bezieht sich nicht nur auf das Aussehen der Figuren, auch der Spielablauf ist dichter am wirklich wahren Leben, zumindest dem des Mittelalters.

Am Anfang hat man lediglich einen mickrigen Bergfried, eine Kirche, eine Lagerhalle und einen einsamen Ritter. Letzterer ist nötig, um die Karte zu erkunden und neutrale Ländereien in Besitz zu nehmen. Zunächst muss für die Grundversorgung der künftigen Siedler mit Lebensmitteln gesorgt werden. Eine Jagdhütte nebst Fleischerei wird vom Spieler errichtet und schon gibt's leckere Würstchen. Mit diesen stärkt sich der Holzfäller und kann so die Axt kräftig gegen die Baumstämme sausen lassen. Doch nicht nur zum Umhauen des Nutzholzes braucht der Waldarbeiter seine Muckies. Anders als bei anderen Spielen der SiedlerSerie, in denen unzählige Träger die Waren transpor- tierten und Straßen verstopften, muss im sechsten Teil jeder Rohstoffproduzent seine Produkte eigenhändig im Warenlager abliefern.

In der Luxusversion haben die Arbeiter Pferdekarren

Kurze Wege sind also wichtig für eine hohe Produktivität. Auch lassen sich die Gebäude um ein oder zwei Stufen ausbauen. Für jede Erweiterung bezieht ein zusätzlicher Handwerker Quartier in den Behausungen. Die Transportmittel verbessern sich ebenfalls mit dem Ausbau. Schleppt der Arbeiter seine Waren in der Basisversion seiner Wohnstatt noch auf dem Rücken zum Lagerhaus, steht ihm in der Luxusversion ein Pferdekarren zur Verfügung. Lange Transportwege bergen noch eine Gefahr. Räuberbanden transferieren die Eigentumsrechte ungeschützter Transporte gern zu Ungunsten des dann ehemaligen Eigentümers, und der Burgherr geht leer aus.

Die wohl größte Neuerung aber bringt das alte Siedler-Imperium ins Wanken. In das Reich der tüchtigen Winzlinge halten seltsame, hier nie gesehene Wesen Einzug: Frauen! Und sie sind nicht nur schmückender Zierat, sie packen richtig mit an. Zunächst gilt es aber erst mal, die Gunst der holden Weiblichkeit zu erringen. Bei einer eigens zu Werbungszwecken vom Regenten - also dem Spieler - veranstalteten Festivität rücken zahlreiche heiratsfähige und -willige Damen an, um sich den Richtigen unter der männlichen Herrlichkeit zu erwählen. Dann wird zusammengezogen und schon sorgt die Frau des Hauses für das leibliche Wohl ihres Gatten oder geht ihm an seinem Arbeitsplatz hilfreich zur Hand. Auf den Straßen und in den Häusern tobt nun das Leben. Da hüpft der Bäcker fröhlich durch die Gasse, weil es ihm an nichts fehlt, dort leert eine beflissene Hausfrau den undefinierbaren Inhalt eines Eimers auf die gepflasterte Straße.

Die "Siedler" leben in vier unterschiedlichen Klimazonen

Unterschiedliche Völker sucht man in "Die Siedler 6" vergebens. Für Abwechslung sorgen aber vier unterschiedliche Klimazonen. Der frostgebeutelte, hohe Norden stellt natürlich andere Ansprüche an den Spieler als die staubige, wasserarme Wüstenlandschaft. Wer sich in der Kälte auf Getreide und Brot als Nahrungsmittel verlässt, wird in den langen Wintern nicht viel zu beißen haben.

Natürlich kommt auch das Militär nicht zu kurz. Erstmals können die eigenen Hütten mit einer starken Burgmauer geschützt werden. Sind hier dann noch Bogenschützen postiert, muss der böse Nachbar schon mit reichlich Belagerungsgerät anrücken, will er ins Innere vordringen. Wird der Aggressor zurückgeschlagen, lässt er gern seine sperrige Kriegsmaschinerie, beispielsweise Katapulte, zurück. Diese können dann vom Spieler in Besitz genommen werden. Man hat wohl einige der Neuerungen bei "Die Siedler - Aufstieg eines Königreiches" in anderen Spielen ähnlich schon einmal gesehen, die Blue Byter haben aber einen eindrucksvollen Mix aus Alt und Neu zusammengerührt. Das Rad haben die Softwareschmiede zwar nicht neu erfunden, es läuft aber wunderbar rund auf einen Spitzenplatz in den Verkaufscharts zu. Leider wird es noch bis September dauern, bis aus der von mir getesteten "Alpha-Version" das fertige Spiel mit Suchtpotenzial wird.