Katharina Kampen wollte ihr privates Glück perfekt machen und mit medizinischer Hilfe schwanger werden. Die OP ging schief. Doch statt sich um sie zu kümmern, machten der Kollege Feierabend. Die Ärztin sagt, nicht die Medizin, sondern ihre Pferde hätten ihr das Leben gerettet.

Pferde grasen auf der Weide neben dem Haus. Es sind ihre eigenen Pferde. Vier Hunde sitzen in ihren Körbchen. Sie hat sie gerettet und aus verlausten Straßenkötern folg- und aufmerksame Prachtexemplare gemacht. Im Flur spendet ein Kachelofen Wärme. Das Haus steht am Rand eines Dorfes, 20 Kilometer von Hamburg entfernt. Drinnen ist es gemütlich. Schön ist es daheim bei Katharina Kampen. Wäre da nicht diese allgegenwärtige Traurigkeit. Daheim bei Katharina Kampen kann man erfahren, wie es ist, wie sich das Leben zum Schlechten wenden kann. Und wie man trotzdem weiterlebt.

Wie sich ein Körper gebärdet, der mehr als einmal dem Tod nahe war, wie sich Gedanken entwickeln, wenn sie Tag für Tag ums eigene Schicksal kreisen - und wie sich das Berufsbild einer Ärztin verändert, die von ehemaligen Standeskollegen aus ihrem aktiven Leben gerissen und in ein Dasein als ewige Patientin gezwungen wird. Mit ihrer Gesundheit verlor sie auch den Glauben an ihren Berufsstand.

Viele Jahre hat sie als Notärztin das Leben anderer gerettet. Sie hatte einen der härtesten Jobs. Dann wollte sie, um ihr privates Glück perfekt zu machen, mit medizinischer Hilfe schwanger werden und begab sich in die Hände ihrer Kollegen. In die anderer Mediziner. Und das war, wie sie heute meint, der Anfang vom Ende ihres bisherigen Lebens. Und alles andere als die Perfektion. Salopp könnte man sagen, sie erlebte, wovon sie bislang nur gehört hatte: Ärztepfusch.

Katharina Kampen ist eine zierliche Frau mit wachen Augen, die Halt suchen, die zugleich selbstbewusst und hilfesuchend blicken. Jahrelang fuhr sie unter Blaulicht durch Hamburg. Sie bereiste ferne Länder, trampte und war abenteuerlustig. Man kann sich vorstellen, dass sie mitten im Leben stand. Sie hatte Vertrauen in ihre Zunft und wollte schwanger werden. Sie hoffte auf Hilfe.

Ein Kind hat sie nicht bekommen, stattdessen ihre Gesundheit gegeben. Über ihre Erlebnisse hat sie ein Buch geschrieben. Sie ließ es auf eigene Kosten drucken, weil die Verlage es ablehnten. Es habe kein Happy End, hieß es dort. Sie erzählt ihre Geschichte, die von Widersprüchen, Willen, Wunden und ihrer Heilung handelt. Jahre vergeblicher Versuche lagen hinter Katharina Kampen und ihrem Mann Julius, als sich das Ärztepaar entschloss, dem Schicksal auf medizinischem Weg auf die Sprünge zu helfen. Sie konsultierten einen Kollegen mit einer Praxis, die sich auf derartige Fälle spezialisiert hat. Am Buß- und Bettag 1995 fand sich Katharina Kampen in der Praxis des Arztes ein. Sie begab sich in die Hände eines Mannes, dem der Ruf eines Könners, wenn auch eines grantigen, vorauseilte. Es war bereits der dritte Versuch. Die Versuche, die bis dahin unternommen worden waren, scheiterten. Unter Narkose setzte der Mediziner die Embryonen in den zierlichen Körper der Medizinerin ein. Anders als bei den vorherigen Eingriffen litt sie dieses Mal im Aufwachraum unter zunehmender starker Übelkeit. Nach kurzem Druck auf den Bauchraum entwickelte sich ein kurzer Dialog:

Arzt: "Wenn das mal keine Nachblutung ist!"

Patientin: "Na, das hat mir gerade noch gefehlt!"

Arzt: "Uns auch!"

Danach, so erfuhr Katharina Kampen später, fuhr der Arzt nach Hause. Es war ein Feiertag. Zu Katharina Kampens Mann Julius sagte der Mediziner noch, die Übelkeit könne daher kommen, dass "die Kollegen ganz schön rumgestochert", hätten. Obwohl es nicht besser wurde, schickte die Helferin sie als letzte Patientin um 18 Uhr nach Hause, um nun ebenfalls Feierabend zu machen. Katharina Kampen ging es unterdessen immer schlechter. Sie erinnert sich: "Ich konnte kaum stehen, hatte stechenden Durst, schlimmste Schmerzen." Die Ärztin, die längst Patientin war, scheute sich jedoch, um Hilfe zu bitten. Sie glaubte, wider besseren Wissens, dass ihre Wunden heilen würden, dass sie die Probleme wegwarten, aussitzen, verstecken könne. "Meine größte Sorge war, dass mich jemand in diesem Zustand sieht", sagt Katharina Kampen. Schon als Kind habe sie sich, wenn sie einmal Schmerzen hatte, am liebsten verkrochen. Am nächsten Tag, dem Tag nach dem dritten Befruchtungseingriff, wäre Kampen fast gestorben. In der Praxis des Reproduktionsmediziners war ein Mittel überdosiert worden, weshalb das Blut aus mehreren Gefäßen austrat. Drei Liter Blut sickerten in ihren Bauchraum und umspülten die inneren Organe. Ein Rettungswagen brachte sie in die Klinik, in der sie zuvor jahrelang Dienst getan hatte. Es ist eine der großen Hamburger Kliniken. Jeder kannte die Notärztin Katharina Kampen hier. Aber niemand sprach mit ihr.

Katharina Kampen wollte sterben, aber sie war zu schwach, den Wunsch umzusetzen. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Ärzte sagten an ihrem Bett: "Wir müssen sie noch einmal aufmachen!" zueinander und rätselten, ob sie das überleben würde. Sie rechneten offensichtlich nicht damit, dass ihre Kollegin, die nun im Bett vor ihnen lag, sie hören konnte. Wochen verbrachte die zierliche Frau in der Klinik. In dieser Zeit entwickelte die Patientin eine tiefgehende Skepsis gegenüber ihrem Berufsstand und Ängste vor dem Tod. Ihre Albträume nennt sie heute "Seelenmonster". Im Bauch blieben Narben, in der Seele offene Wunden.

Überlebt hat sie knapp. Der Reproduktionsmediziner behauptete später, alles richtig gemacht zu haben.

Immer wieder muss sie sich seitdem im Krankenhaus behandeln lassen, weil das freie Blut wuchernde Vernarbungen gebildet hatte, die die Organe im Bauchraum einschnüren und beengen, lebensbedrohliche Darmverschlüsse verursachen, das Essen und vieles mehr fast unmöglich machen. An Kinder ist nicht mehr zu denken.

In ihrem Buch schreibt sie Sätze wie diesen: "Nachts gehen die Uhren langsamer, damit die Qualen mehr Zeit haben, sich auszubreiten."

Gab es denn nichts, was sie aufheitern, mit Lebensmut und Glück füllen konnte? "Die Pferde", sagt Katharina Kampen. Ihre Stute "Damaris" habe sie am Leben gehalten. "Das Pferd konnte mir mehr geben als jeder Mensch." Die beste Medizin. Die Momente mit der Stute seien alles gewesen, wofür sie in ihrem erbärmlichen Zustand noch gelebt habe. Auch wenn ans Reiten nicht zu denken war.

In einem Mammutprozess gegen die behandelnden Ärzte der Reproduktionsklinik hat Kampen Jahre nach der verheerenden Operation gesiegt. Obwohl mehrere Gutachter versuchten, die Weste des noch praktizierenden Kollegen rein zu halten, stellte das Gericht haarsträubende Behandlungsfehler fest. Sie bekam eine Entschädigung. Aber nie eine Entschuldigung. Mit ihrem Mann Julius, der weiterhin als Arzt in Hamburg tätig ist, lebt sie nach wie vor zusammen. Obwohl sie sich jahrelang selbst als Zumutung empfand, hält er zu ihr und sie zu ihm. Ihre Angewohnheit, Überschriften von Todesanzeigen zu sammeln, hat Katharina Kampen wieder abgelegt.

In ihrem Paradies am Rande der Stadt leben noch immer keine Kinder, aber viele Tiere. Frieden mit der Vergangenheit kann sie nicht schließen. "Manchen gesunden Menschen mag es schwerfallen, mich zu verstehen", schreibt die Ärztin. "Das ist nicht ihr Fehler, sondern ihr Glück."

Ihre persönliche Katastrophe hat die ehemalige Ärztin in den Büchern "Die rostige Schaukel" und "Der letzte Ausweg" verarbeitet. "Die rostige Schaukel" beschreibt den Leidensweg der Ärztin. Sie möchte es als Plädoyer für eine menschliche Medizin verstanden wissen - und als Zeugnis für ihren unbändigen Willen. Im "Letzten Ausweg" spinnt sie ihre Geschichte zu einem fiktiven Roman. Der Reproduktionsmediziner kommt nicht gut dabei weg.

Den Medizinern, die sie behandelten, wünscht die Ex-Ärztin mehr Menschlichkeit, nicht aber, dass sie erleben müssen, was sie erlebt hat. Katharina Kampens Haus verlässt man nachdenklich. Und beeindruckt von dem Lebensmut, der diese Frau die Katastrophe überstehen ließ.

Die Stute Damaris starb wenige Tage, nachdem Katharina Kampen sich mit ihr fotografieren ließ.

Die Bücher von Katharina Kampen

"Die rostige Schaukel" und "Der letzte Ausweg" (ISBN 978-3-8334-8576-3 und 978-3-8370-6602-9)