Dierk Strothmann über das Ende der Prügelstrafe in den Hamburger Schulen

Man sollte meinen, die Bestrafung von Schülern mithilfe des Rohrstocks sei irgendwann in grauer Vorzeit aktuell gewesen. Weit gefehlt, denn erst vor 38 Jahren, am 1. April 1969, wurde sie in Hamburg endgültig abgeschafft. Noch genau neun Jahre zuvor, am 1. April 1960, hatte die Hamburger Schulbehörde sogar noch eine Verfügung herausgegeben, in der es hieß, dass den Lehrern "amtlich genehmigte Rohrstöcke zur Verfügung stehen, gegen deren Verwendung auch Ärzte keine Bedenken erheben". Die Stöcke würden von der Behörde geliefert.

Keine Züchtigung von Mädchen

Aber auch 1960 durfte es weder "gesundheitsschädigende Prügel" noch Züchtigung von Mädchen geben. Es durften keine Jungen im 1. und 2. Schuljahr sowie nach Vollendung des 15. Lebensjahres körperlich be-straft werden. Außerdem waren Ohrfeigen und Schläge an den Kopf verboten. Erlaubt war Gewaltanwendung aber ausdrücklich "wenn andere Mittel versagen". Andere Bundesländer sahen das nur etwas anders: Schleswig-Holstein und Bremen ließen Prügelstrafe "nur in Ausnahmefällen" zu, Niedersachsen "bei Rohheitsdelikten und schweren Widersetzlichkeiten".

Dabei waren schon seinerzeit drastische Maßnahmen ausgeschlossen, wie sie jahrhundertelang üblich waren. Dazu gehörte das Schlagen mit der Reitpeitsche, stundenlanges Sitzen oder Knien auf dem Boden oder auf eckigen Holzscheiten, das Einsperren in Schulgefängnisse, das Stehen am Schulpranger oder das Tragen von Mützen mit Eselsohren.

Lehrer brauchen Möglichkeiten der Bestrafung

Aber: Die Abschaffung der Prügelstrafe hat ein Vakuum hinterlassen. So weist der Hamburger Erziehungswissenschaftler Professor Peter Struck darauf hin, dass "mit dem Abholzen von Autoritäten, Forderungen und Grenzsetzungen" nicht gleichzeitig etwas "Neues aufgeforstet" worden sei. Prügel in der Schule sei selbstverständlich inakzeptabel, aber den Lehrern jede Möglichkeit einer angemessenen Bestrafung zu nehmen, erscheine ihm äußerst fragwürdig, zumal viele Lehrer zu bedenklichen Alternativen greifen, um sich wenigstens Reste von Respekt zu erhalten. Dies seien Sarkasmus, Ironie, Nichtbeachtung oder Psychodruck.

Erziehung ohne Strafe missrate, genauso wie sie auch nicht ohne Autorität gelinge, meint Struck, wobei "Autorität sich im Kind ereignet, also nicht durch Anmaßung von Eltern oder Pädagogen entsteht, sondern durch freiwilliges Akzeptieren der Kompetenz des Erwachsenen auf dem Überzeugungsweg. Wer total auf jede Art von Strafe verzichtet, nährt im Kind den Eindruck, es sei so wenig wert, dass es nicht einmal strafwürdig sei."