1892 rief der Kaufmann C. A. von der Meden in Hamburg ein Tennisturnier ins Leben, das heute zu den angesehensten der Welt gehört. Jetzt wird zum 100. Mal zu den Internationalen Deutschen Tennismeisterschaften aufgeschlagen. Sie überstanden zwei Weltkriege, Umbrüche in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport, den Wechsel zum Profi- Turnier - und entgingen knapp dem Bankrott.

Mit 19 Jahren gewann Walter Bonne im September 1892 das Lawn-Tennis-Turnier auf der Anlage des Eisbahnvereins auf der Uhlenhorst, dem heutigen Gelände des Klipper THC. Ausgerechnet er, der wenig geliebte Außenseiter aus Harvestehude! Damals ahnte er nicht, daß seine Leistung einmal späte Würdigung erfahren würde.

Bonne, Mitglied des feinen Pöseldorfer LTC, war in der damals kleinen Hamburger Tennisszene als "Löffler" verschrien. Wegen der Cholera, die damals in Hamburg wütete und 8500 Opfer forderte, gab es nur wenige Zuschauer, und die Chronisten notierten "spärlichen Beifall" für Bonnes angeblich unattraktive Spielweise; der US-Tennisprofi Brad Gilbert beschrieb sie hundert Jahre später ironisch als "Ugly winning", häßlich siegen. Gilbert gewann nie am Rothenbaum.

Bonne jedoch führt eine Galerie von 99 Siegern der "Internationalen Deutschen Tennismeisterschaften" an, die vom heutigen Sonnabend bis 21. Mai zum 100. Mal ausgetragen werden, davon 96mal in Hamburg. Rekordgewinner ist der Deutsche Otto Froitzheim: Von 1907 bis 1925 holte der gebürtige Straßburger sieben Titel und galt als einer der besten Spieler der Welt. An seinem ausdauernden (Grundlinien-)Spiel hatten manche Kritiker aber wenig Freude. "Zermürbendes Sicherheitstennis" warfen sie ihm vor. Slice und Topspin waren dem Juristen und Regierungsrat Froitzheim noch fremd.

Waren in den ersten fünf Jahren nur Deutsche und Österreicher zum Turnier zugelassen und bis 1895 nur Männer, nahmen hier später die besten Spieler und Spielerinnen aller Kontinente die Schläger in die Hand. Das Who's who des Tennissports schlug vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg in Hamburg auf: die Australier Rod Laver, Roy Emerson und John Newcombe, der Spanier Manuel Orantes, der Schwede Björn Borg, der Tscheche Ivan Lendl, die US-Amerikaner Jimmy Connors, John McEnroe, Pete Sampras, Andre Agassi.

Und natürlich faszinierten die Ausnahmeerscheinungen im Damentennis: in den dreißiger Jahren die Deutschen Cilly Aussem und Hilde Sperling-Krahwinkel, 1964 bis 1966 die Australierin Margaret Court-Smith, in der Moderne Steffi Graf, Martina Navratilova und Chris Evert (beide USA), bis das Damenturnier 2002 vom damals fast bankrotten DTB nach Philadelphia verkauft wurde. In den vergangenen Jahren herrschte der Schweizer Roger Federer auf dem jetzt überdachten Court. Er gewann dreimal.

Und die deutschen Recken? Gottfried von Cramm (6 Titel), Henner Henkel, Wilhelm Bungert und Michael Stich (alle je 1) schrieben am Rothenbaum Geschichte. Nur Boris Becker nicht: Sand blieb Zeit seiner Karriere ein rotes Tuch für den dreimaligen Wimbledonsieger.

Am jetzigen Standort zwischen Haller- und Hansastraße wird das Turnier erst seit 1924 kontinuierlich gespielt, 1898 bis 1901 war es wegen Finanzierungsschwierigkeiten sogar mal nach Bad Homburg verlegt worden. Der Hamburger Kaufmann Carl August von der Meden, 1902 zum ersten Präsidenten des Deutschen Tennis-Bundes (DTB) gewählt, holte die Veranstaltung mit Hilfe der eigens dafür gegründeten Hamburger Tennis-Gilde in seine Heimatstadt zurück.

Sie überstand den Zweiten Weltkrieg und die existentielle Finanzkrise des DTB Anfang der Jahrtausendwende. Nach dem rettenden Deal mit den Scheichs aus Katar, die sich 2005 mit 3,5 Millionen Euro am Rothenbaum als Mitbesitzer der Veranstaltungsrechte einkauften, scheint der Bestand des Turniers in Hamburg vorerst gesichert.

Das Defizit war in die Millionen gegangen, diesmal sollen nach fünf verlustreichen Jahren am Ende endlich wieder schwarze Zahlen dastehen. Die traditionsreiche Tennis-Gilde dagegen gibt es seit 1979 nicht mehr. Als die Kommerzialisierung begann, der Aufwand und die Finanzierungsrisiken wuchsen, gab sie auf. Der Hamburger Tennis-Verband übernahm, zehn Jahre später der Deutsche Tennis-Bund.

Schon am Anfang der langen Geschichte stand ein Konkurs. Als die Geschäfte von der Medens in den späten 1870er Jahren in London nicht mehr liefen - er hatte mit Wolle gehandelt -, zog es den Sohn einer Hamburger Maklerfamilie in die Heimat zurück. 1890 gab ihm die Hansestadt die Bürgerrechte zurück. Was er aus England, genauer: aus seinem Quartier nahe dem Londoner Vorort Wimbledon mitbrachte, sollte ein Markenzeichen der Stadt werden; erst ein gesellschaftliches, später ein sportliches: der Rothenbaum.

Tennis, meist hinter hohen grünen Hecken gespielt, war noch lange nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges der besseren Gesellschaft vorbehalten. Den Sport prägten Männer wie Gottfried von Cramm: imposant in der Gestalt, vornehm und fair im Auftreten, er war im Ausland sogar in Zeiten des Nationalsozialismus geschätzt. 1939 bewahrte ihn der schwedische König Gustaf V., mit dem es sich die Nazis nicht verderben wollten, vor der geplanten Versetzung an die Front. 1949 holte von Cramm in Hamburg seinen sechsten und letzten Einzeltitel. Er war 39. Als er sechs Jahre später an der Seite des US-Amerikaners Budge Patty am Rothenbaum ein letztes Mal die Doppelkonkurrenz gewann, verneigten sich die Zuschauer vor ihm.

1956 wurde der Centre-Court erstmals nach dem Krieg ausgebaut. 5000 Besucher fanden Platz, und die Veranstaltung erhielt vom Internationalen Tennis-Verband, wie schon 1912, erneut einen geschützten Termin. Das garantierte Bestbesetzungen und lockte immer mehr Menschen zu den Spielen. 1964 stockte die Tennis-Gilde die Tribünen erneut auf - jetzt konnten 8000 das bisher letzte deutsche Finale am Rothenbaum miterleben. Wilhelm Bungert bezwang seinen Freund und Daviscupkollegen Christian Kuhnke in vier Sätzen.

Der Einzug der Profis in den Tenniszirkus - Ende der 1960er Jahre ein überfälliger Seitenwechsel vom Amateur zum Berufsspieler - sollte das Hamburger Turnier fortan vor große Herausforderungen und wiederholt in Frage stellen. Die ersten 17 500 US-Dollar Preisgeld waren 1969 aus dem Ticketverkauf zu bezahlen. Heute lassen sich Gesamtkosten von rund 4,5 Millionen Euro, davon zwei Millionen Prämien für die Spieler, kaum erwirtschaften. Allein in den 90er Jahren, als der Becker-, Graf- und Stich-Boom zweistellige Millionen-Honorare des (Privat-)Fernsehens in die Verbandskassen spülte, rechnete sich das Turnier, und zwar gut. Die Überschüsse jedoch wurden von Funktionären verpraßt, die jedes Maß verloren. Unter den Folgen leidet das deutsche Tennis.

Zwar wurde der Centre-Court 1997 nach zweijähriger Bauzeit auf 13 200 Sitzplätze aufgestockt, was damals 19 Millionen Mark kostete, doch selbst mehr als 100 000 Zuschauer an den acht Turniertagen decken heute nicht einmal die Hälfte des Budgets. Und wäre nicht Boris Becker 2003 mit zwei Geschäftspartnern vorübergehend als "Chairman" am Rothenbaum eingestiegen, stünde das Gelände zum Verkauf. Beckers inzwischen beendetes Engagement - erst war es finanziell, dann ideell - lockte neue Partner nach Hamburg, zuletzt die Scheichs aus Katar.

Aber weder die finanziellen Verwerfungen noch die unerträgliche Arroganz eines Turnierdirektors, der in den 90er Jahren Sponsoren wie Bittsteller behandelte, bescherten dem Rothenbaum in der Neuzeit die schlimmsten Momente seiner Geschichte. Es war am Abend des 30. April 1993, als der arbeitslose Günter Parche aus Thüringen den heiteren Spielen ein Ende bereitete. Der glühende Steffi-Graf-Verehrer stach ihrer damals größten Rivalin, der Jugoslawin Monica Seles, beim Seitenwechsel ein Küchenmesser zweieinhalb Zentimeter in den Rücken. Parche wurde überwältigt, Seles ins Eppendorfer Krankenhaus gebracht. Die Wunde verheilte schnell, doch das Trauma ließ sie jahrelang nicht los. Parche hatte die Karriere der Weltranglistenersten zerstört. Sein düsterer Plan war aufgegangen.

Daß ihn ein Hamburger Gericht nicht ins Gefängnis schickte, sondern nur auf Bewährung verurteilte, hat Monica Seles der deutschen Justiz nie verziehen. Seit dem Anschlag ist die Wahl-Amerikanerin nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt. Zudem wurden ihre Schadenersatzforderungen gegen den DTB von Hamburger Richtern abgewiesen. Die Sicherheitsvorkehrungen seien ausreichend, der Vorfall nicht vorhersehbar gewesen. Ihr Urteil über den Rothenbaum hat Monica Seles dennoch nie revidiert: "Es war ein schönes Turnier. Und mein Schicksal."

Tennis-Masters am Rothenbaum, Hallerstraße 89 (U 1): 13. und 14. Mai ab 10 Uhr Qualifikation, 15. bis 21. Mai ab 11 Uhr Hauptfeld, Finale am 21. Mai. Eintrittspreise: 10 bis 199 Euro.