Models müssen heute nicht mehr klassisch “schön“ sein. Der Zeitgeist wandelt nicht nur die Moden, sondern auch Schönheits-Ideale: Warum wir froh sind, auch mal große Ohren, schmale Augen oder Sommersprossen zu sehen.

Bambiaugen sind größer und feuchter als jemals zuvor. Ohren segeln im 90-Grad-Winkel unter feuerrotem Haar. Sommersprossen sprenkeln die ungleichmäßig flächigen Gesichter. Ein Höckerchen zuviel macht eine Nase auf einmal interessant. Selbst Krähenfüße sind kein Tabu mehr: Die Models von heute sind schön - aber nicht mehr klassisch, sondern schön mit kleinen "Fehlern". Schon Baudelaire sprach von der "Ästhetik des Häßlichen". Schönheit liegt also im Auge des Betrachters. Der Wandel auch.

Lange hießen sie "Modelle" und "Mannequins". In den 1990er Jahren erschienen auf einmal Mal "Topmodels" auf den Laufstegen, und mit ihnen wurden "perfekte" Gesichter allgegenwärtig - auf Titelbildern, in der Werbung, in Shows und bei Events. Claudia Schiffer und ihre Kolleginnen Cindy Crawford, Naomi Campbell und Linda Evangelista modelten nicht nur, sie wurden zu Modellen einer unerreichbaren Schönheit stilisiert. Sie waren Ikonen der Weiblichkeit. Eine blond, eine brünett, eine dunkelhäutig, Vollfrauen mit langem Haar und femininen Kurven, absolute Gegenbilder sowohl zu den schrillen Masken und ondulierten Wellen der 80er wie auch zum Heroinchic Anfang der 90er. Zum ersten Mal schickte der Laufsteg seine eigenen Gesichter in die Unterhaltungsbranche.

Models und ihre Formen waren und sind Projektionsflächen für Lebensgefühl und Sehnsüchte der Frauen. In den 50ern war die Hausfrau das Lebensideal von Millionen Frauen, aber nach den Entbehrungen des Krieges hatten viele die Sehnsucht nach endlich wieder möglicher Raffinesse, nach opulent ausgestatteter Weiblichkeit, die gleichzeitig zurückhaltend und nicht aufdringlich wirkte. Audrey Hepburn mit ihrer Fragilität erfüllte das Ideal ebenso wie Sophia Loren mit ihren verführerischen Katzenaugen.

In den 60ern änderte sich das Schönheitsideal. Marylin Monroe galt schon als fast zu mollig. Großbritanniens Twiggy, die Kindfrau, prägte den Look der neuen Dekade als Inbegriff naiver Jugendlichkeit mit großen Augen und dünnen Endlosbeinen, die im Mini gern gezeigt wurden. "Dünn und knabenhaft" galt als schön.

In den 80ern sorgte Madonna mit ihren angriffslustigen, provokanten Sex-Stylings für einen Richtungswechsel. Sie war das Sinnbild eines neuen, erotischen Selbstbewußtseins. Es gibt keine Künstlerin der Musikbranche, die sich so oft und so unterschiedlich stylte und fotografieren ließ.

Der "Mix aus Mode, Fotografen und Models bestimmt auch heute noch das Trendbarometer", weiß Ingrid Hedley vom Frauenmagazin Vogue . Aber die Gesichter der Models scheinen heute anderen ästhetischen Kriterien zu entsprechen als vor zehn Jahren. "Die wohl größte Wandlung im Schönheitsideal der letzten Jahre besteht darin, daß es nicht mehr so festgelegt ist wie in den 90ern", sagt Ted Lino, Chef der Hamburger Agentur Megamodels. "Vielleicht hat man deshalb das Gefühl, die Models sähen heute anders aus. Denn eine Zeitlang mußten eben alle Mädchen aussehen wie eine Claudia Schiffer. Heute gibt es plötzlich die verschiedensten Typen, und ganz klassisch schöne Gesichter hält man fast schon für langweilig."

Gar nicht langweilig und trotzdem irgendwie klassisch ist Kate Moss. Sie hat nicht nur die androgyne Welle der 90er geprägt, etwa auf den Plakaten von Calvin Kleins Parfüm "CK One" - mit einer fast hager wirkenden Mädchenhaftigkeit. Aber anders als etliche Kolleginnen hat sie sich trotz allen Wandels behauptet - mit einem Gesicht, dessen Ausdruck mädchenhaft und zugleich stark und ein bißchen arrogant erscheint. "Es ist ihre Unnahbarkeit, die sie zu etwas Besonderem werden läßt", meint Ingrid Hedley.

Mode- und Lifestyle-Fotografie, die uns heute über die Medien erreicht, ist oft fast bis zur Unwirklichkeit retouchiert und geglättet. Theoretisch kann jede Frau heute mit entsprechenden Softwareprogrammen zu einer klassischen Schönheit gemacht werden. Mit strahlend weißem Lächeln, glänzend glattem Haar und perfekter Haut. Da ist es kein Wunder, daß sogar komplett virtuell kreierte Charaktere wie Lara Croft zu Schönheitsidealen werden, die vor Perfektion nur so glänzen.

Deshalb erscheinen lebende Models mit kleinen Uneben- und Unregelmäßigkeiten wie eine irritierende und erfrischende Neuheit für das Auge, wie etwas Besonderes. Sie lassen den Traum von Schönheit wieder erreichbarer erscheinen, sind echter als eine perfekte Illusion, sind mehr Frau als Superstar. Unaufgeregt und authentisch, gerade wegen ihrer Ferne zur Makellosigkeit.

Manche werden sogar bewußt als Antitypen zurechtgemacht, als sollten sie vor allem die herben und schattigen Seiten eines Lebensgefühls ausdrücken. Dagegen wirkt Heidi Klum mit Joghurt Gums zwischen den Zehen schon wieder kumpelhaft lustig und harmlos.

Eine schlanke Figur, seidige Haut und reiner Teint werden zwar auch in Zukunft eine zeitlose Schönheit definieren. Aber weil Schönheitsideale immer ein bewegtes Wechselspiel von Stimmungen, gesellschaftlichen Bedürfnissen und Stilisierungen sind, wird es auch immer Gesichter geben, die diese Spielarten ausdrücken. So wie es in der Mode immer das Wechselspiel zwischen Hell und Dunkel, strengen und verspielten Linien geben wird.