Sonnengruß, Kobra, Hund oder Baum - sympathische Namen haben die Figuren des Yoga. Im Himalaya-Institut in Hamburg geht es vor allem um Entspannung und das innere Gleichgewicht. Wir haben mitgemacht.

Der erste Fehler wurde schon vor der Tür gemacht - mit einem knusprigen Hähnchen im Wienerwald. Zur Stärkung vor der persönlichen Yoga-Premiere. Schräg gegenüber, Osterstraße 172 B, weist ein Schild den Weg: "Himalaya Institut". Über den Hinterhof, zwei Treppen hoch. "Drei Stunden vor dem Yoga sollte nichts gegessen werden", bemerkt Claudia Hirsch (42) mit leicht tadelndem Unterton, serviert dann aber doch ein entzückendes Begrüßungslächeln und einen Becher grünen Tee.

Das Schuhwerk muß draußen bleiben, auf Strümpfen geht's in den Yogasaal: Gut und gerne hundert Quadratmeter, Parkettfußboden. Warm fällt die Oktobersonne durch die vielen Fenster, dazu eine himmlische Stille. Hier läßt es sich prima aushalten, auch mit einem halben Hahn im Bauch. Da kommen ein paar Entspannungsübungen, wie von Claudia versprochen, gerade richtig. Der anfänglichen Furcht, gymnastische Verrenkungen vollführen zu müssen, hatte sie schon am Telefon den Boden genommen: "Keine Sorge, du brauchst dich nicht mit den Zehen hinterm Ohr zu kraulen." Das beruhigt.

Wie wäre es zur Ouvertüre statt dessen mit dem Sonnengruß, einer der ältesten und bekanntesten Yoga-Übungen? "Das ist nichts für Anfänger", meint Claudia. "Aber ich zeige es dir gerne." Spricht's, stellt den Teebecher zur Seite, greift sich eine blaue Matte - und legt los.

Aufrechter Stand, tiefes Ausatmen, Einatmen, Heben der Arme, die Hände trennen sich, Rückbeuge, Ausatmen, Verbeugung, Bodenberührung, eine Art Kniebeuge, Bauchlage. Schön sieht das aus, absolut harmonisch und sehr gekonnt. Wer eine so komplizierte Bewegungsfolge so fließend hinlegen kann, braucht sich um seine Fitness keine Sorgen zu machen. Claudias Antwort auf beeindrucktes Schweigen: "Weitere Fragen?"

Ja, jede Menge. Zumindest, bevor die anderen zu ihrer planmäßigen Yogastunde kommen. Zum Beispiel wie sie mit Yoga und indischer Philosophie in Berührung kam. "Das war vor 13 Jahren", berichtet Claudia Hirsch, Werbekauffrau und Mutter von drei Kindern. "Im Rahmen einer Schwangeren-Yoga-Gruppe ging es um die Atemtechnik für die Geburt." Daraus wurde mehr. Während sie sich früher oft unkonzentriert und fahrig gefühlt habe, sei durch die Beschäftigung mit Yoga mehr Ruhe, Ausgeglichenheit und Körpergefühl in ihr Leben gekommen. 2001 begann sie eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin, die in den nächsten Monaten abgeschlossen werden soll. Einige Grundsätze klingen verheißungsvoll: "Gib jedem Lebensaugenblick Würde!" oder "Pflege deine innere Zufriedenheit!"

Der Lehrmeister heißt Swami Rama und ist trotz seines Todes 1996 präsent. Mit einem kleinen, diskret plazierten Foto im Übungsraum - und mit seinen Gedanken. Swami Ramas Lebensziel war die Verbindung östlicher Weisheitsschätze mit den Errungenschaften westlicher Kultur. In den Höhen des Himalaya aufgewachsen und zum Ordensträger gereift, war der pragmatische Denker Pate des 1981 in Ahrensburg gegründeten Himalaya- Institutes für Yoga, Wissenschaft und Philosophie, in dem seit bald zwei Jahrzehnten auch ausgebildet wird. Seit September hat der gemeinnützige Verein in der Osterstraße im Herzen Eimsbüttels ein zweites Zuhause. Ein Schwerpunkt ist die besondere Betonung der Meditation.

Mitmachen kann jeder. Einfach nur so, zum Reinschnuppern quasi. Auf Spendenbasis im Rahmen der offenen Morgen-Meditation um 7 Uhr früh. In Einzelstunden, die teilweise von der Krankenkasse übernommen werden. Oder im monatlichen Pauschalabonnement, das bei 55 Euro beginnt. Offeriert wird ein Potpourri an Kursen und Übungsmöglichkeiten: Tai Chi, ein Sonnengruß-Kurs, Yoga für Mütter und Väter inklusive Kinderbetreuung, Atemkurse, Feierabend-Entspannung, Bewältigung von Berufsstress und so weiter. Beliebt ist der "Raum der Stille": Zwischen 12 und 14 Uhr wird im Meditationsraum Einkehr in sich selbst gehalten.

Genug der Theorie. Claudia kassiert den Teebecher ein und bittet zur praktischen Übung. Unter behutsamer Hilfestellung gilt es, die Figur des Baumes nachzuahmen. Wie auch der Sonnengruß als ritualisierte Verehrung des äußeren und inneren Lichts, existieren zahlreiche Sinnbilder zur praktischen Umsetzung: Kobra, Hund, Baum.

Leicht schwankend steht der Baum, trotz oder gerade wegen seines mächtigen Stammes. Während der linke Fuß stabil auf dem Parkett ruht, wird der rechte gehoben, dann werden die Hände vor der Brust zusammengelegt. Danach wird der rechte Fuß auf den linken gestellt und in Richtung Knie gezogen; die Handwurzeln werden auf den Kopf gelegt. So ergibt sich ein Baum. Theoretisch. Welch Segen, daß die anderen Teilnehmer des Yoga-Kurses nahen.

Auf blauen Matten, im Halbkreis, wird Position bezogen. Im Lotussitz, die Beine überkreuz, Fußsohlen auf den Oberschenkeln. Leiser Singsang hallt durch den Yogasaal. "Das ist Mantra!" flüstert Claudia. Es müssen Profis sein, die diese geradezu abenteuerlichen Verrenkungen praktizieren! Aber alles hat Stil und durchaus Anmut. Sabine entspannt sich, indem sie ihre Gliedmaßen verknäuelt und sich praktisch zum eigenen Paket verschnürt. Anschließend verirrt sich ihr rechter Fuß tatsächlich in Ohrhöhe. Mannomann! Andere lassen es sanfter angehen. Das Klima ist ernsthaft, aber fröhlich.

"Bei allem ernsthaften Bemühen darf der Humor nicht auf der Strecke bleiben", meint Dagmar Brehmer-Neumann (54) während einer Verschnaufpause am Rande. Dem Tip einer Freundin folgend, begann sich die Fremdsprachensekretärin bei Beiersdorf vor 14 Jahren für Yoga zu interessieren. Seitdem beginnt für sie jeder Morgen mit dem Sonnengruß, "um Achtsamkeit für den Tag zu erreichen". Abgesehen von der Fitness und höherer Konzentrationsfähigkeit spüre sie wachsende Souveränität und mehr Abstand: "Ich stehe leichter über den Dingen."

Volker Seubert (40), Personalmanager aus dem IT-Bereich, ist dem Himalaya-Institut aus anderen Gründen verbunden. "Ich führe ein unruhiges Leben, viele Reisen, viel Handy, immer auf dem Sprung", sagt er. "Ich nutze die Meditationsabende, um durchzuatmen und ins innere Gleichgewicht zurück zu finden." Dabei könne er wunderbar die Gedanken beobachten und sortieren.

Über allen und allem schwebt der Schwan. Symbolisch. Weil Schwäne die Unterscheidungsfähigkeit so deutlich machen. So wird Schwänen nachgesagt, in einem Gemisch aus Milch und Wasser eben die Milch vom Wasser trennen zu können. Und genau darum, sagt Claudia, geht es im Yoga: "Diese Unterscheidungsfähigkeit so weit zu schärfen, daß wir in der Lage sind, unser wahres Ich von unserer äußeren Erscheinungsform zu trennen und zu erkennen, daß wir mit allem Materiellen wenig zu tun haben." So wie der Mond mit dem Wasser des Teiches, in dem er sich spiegelt.

Gut für den weiteren Denkprozeß, daß Claudia Entspannungsübungen offeriert. Mit dem Rücken auf der Gummimatte liegend, werden die Füße in angenehmer Höhe auf einen Stuhl gelegt. Herrlich, so bereitet Yoga Vergnügen! Die Gedanken des Tages, rät Claudia mit ruhiger Stimme, sollen geordnet, wie Bücher in ein Regal gestellt und später behandelt werden. Schließlich soll die geistige Aufmerksamkeit zur Nasenspitze gelenkt werden - um den Unterschied zwischen Ein- und Ausatmen in den Nasenflügeln zu beobachten. Etwas kühler ist die Luft in der Ein-, einen Hauch wärmer in der Ausatmung.

Diese Entspannung wirkt enorm: Die Testperson versinkt in seligem Schlaf. Das knusprige Hähnchen läßt grüßen.