Berlin. Über das „Havanna-Syndrom“ wird viel spekuliert. Forscher sind dem Thema auf den Grund gegangen – und haben eine verblüffende Theorie.

Über das sogenannte Havanna-Syndrom geistern die abenteuerlichsten Spekulationen durchs Netz. Auch im Münsteraner „Tatort“ im Ersten mussten sich die TV-Ermittler Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) mit dem Phänomen befassen. Aber was steckt nun eigentlich wirklich dahinter?

Als Havanna-Syndrom werden rätselhafte Symptome wie Kopfschmerzen, Hörverlust, Schwindel und Übelkeit zusammengefasst, über die ab 2016 zahlreiche in der kubanischen Hauptstadt Havanna lebende US-Diplomaten und ihre Angehörigen klagten. Später wurden auch an anderen Orten der Welt ähnliche Beschwerden gemeldet. Insgesamt rund 1500 Fälle in 96 Ländern. Betroffene gaben an, dass die Symptome begannen, nachdem sie etwa ein seltsames Geräusch hörten oder starken Druck in ihrem Kopf spürten.

Havanna-Syndrom: US-Geheimdienste prüften den Einsatz von Schallwaffen

Die US-Regierung hatte anfangs nicht ausgeschlossen, dass es sich um eine Art Angriff gehandelt haben könnte. Möglicherweise mittels Schallwaffen – mit denen Militär-Ingenieure tatsächlich weltweit experimentieren. Vor etwa einem Jahr ging die Mehrheit der US-Geheimdienste aber nach längeren Untersuchungen und laut einem offiziellen Bericht dann davon aus, dass kein „ausländischer Gegner“ für die Beschwerden der Betroffenen verantwortlich sei. Die wahrscheinlichste Ursache seien Erkrankungen oder Umweltfaktoren.

Lesen Sie auch: Autonome Waffen - führen bald Killeroboter unsere Kriege?

Forscher analysieren Gesundheitsdaten und Hirnströme der Betroffenen

Ein Forscherteam um Leighton Chan von den National Institutes of Health (NIH) mit Sitz in Bethesda im US-Bundesstaat Maryland hat nun über mehrere Jahre 86 Patienten mit dem Havanna-Syndrom analysiert – Regierungsangestellte und deren erwachsene Familienangehörige. Die Untersuchungen fanden dabei gewöhnlich einige Wochen bis Monate nach dem Einsetzen der Symptome statt. Chan und sein Team unterzogen die Betroffenen unter anderem Hör-, Seh- und Gleichgewichtstests. Sie machten zudem Blutanalysen und befragte die Teilnehmer unter anderem zu Erschöpfung, Depressionen und Schwindel. Die Daten wurden dann mit denen einer Vergleichsgruppe verglichen.

Lesen Sie auch: Depression, Angsstörung & Co - fast jeder Dritte betroffen

Das Ergebnis: „Es gab keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf die meisten Werte, außer bei objektiven und selbstberichteten Messungen zu Gleichgewicht und zu Symptomen von Müdigkeit, posttraumatischem Stress und Depression“, schreiben die Wissenschaftler. Trotzdem sei es wichtig anzuerkennen, dass die Symptome real seien und die Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigten, sagte Chan laut einer Mitteilung.

In der zweiten Studie beschreibt eine Gruppe um Carlo Pierpaoli vom National Institute of Biomedical Imaging and Bioengineering Erkenntnisse von Hirnuntersuchungen per Magnetresonanztomografie (MRT). Sie verglichen die Hirnscans von Betroffenen des Havanna-Syndroms mit denen einer Kontrollgruppe. Das Team um Pierpaoli stellte „keine signifikanten Unterschiede bei bildgebenden Messungen der Gehirnstruktur oder -funktion“ fest.

Am Ende eine Art Krankheits-Meme? Oder einfach schlechte Bildschirme?

Dies schließe aber nicht aus, dass zum Zeitpunkt der Symptome „ein schädliches Ereignis mit Auswirkungen auf das Gehirn“ stattgefunden haben könnte, sagte Pierpaoli laut einer Mitteilung. Denkbar sei, dass ein solches Ereignis keine langfristigen Veränderungen in den Hirnscans verursacht habe.

Ein weiterer Bericht hebt darauf ab, dass es häufiger vorkommt, dass sich Krankheits-Phänomene verbreiten – schlicht durch Berichterstattung. Die Menschen führen dann häufig „normale“ Krankheitsbilder oder Unwohlsein auf das Gehörte und Gelesene zurück, was die Analyse dessen erschwere, was tatsächlich zugrunde liegt. Die US-Geheimdienste, die sich mit dem Havanna-Syndrom befasst hatten, nannten zum Beispiel eine schlecht funktionierende Raumbelüftung, Lärmbelastung im Büro, schlechte Bildschirme als die naheliegende Gründe, die ein ähnliches Krankheitsbild erzeugen können, wie es die Betroffenen des „Havanna-Syndroms“ geschildert haben