Berlin. Antike Statuen waren immer weiß. Oder? Tatsächlich stimmt das so nicht. Doch der Mythos der stetsweißen Figuren hält sich bis heute.

Wer an die Antike denkt, denkt möglicherweise an bekannte Philosophen wie Sokrates oder Aristoteles, beeindruckende architektonische Bauten – und vermutlich auch an Statuen aus blendend weißem Marmor. So zumindest sehen die meisten Statuen aus, die bis heute erhalten sind.

Tatsächlich war in der Antike aber gar nicht alles so klinisch weiß, wie man es sich heute vorstellt. Im Gegenteil: Die Abbildungen waren eigentlich in bunten Farben bemalt. Darüber ist sich die Forschung mittlerweile einig. Dass die Statuen schon immer weiß waren, ist dennoch ein Mythos, der sich schon lange hält. Wie kam es dazu?

Faschistische Regimes nutzten Mythos für Propaganda

Ein Grund dafür, dass sich die Annahme, die größtenteils aus Marmor gefertigten Statuen wären schon immer weiß gewesen, in vielen Köpfen festgesetzt hat, ist die Arbeit des deutschen Archäologen und Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann. Winckelmann lebte und forschte im 18. Jahrhundert und betrachtete das klinische weiß als Schönheitsideal der Antike – eine Annahme, die sich Jahrhunderte lang hielt.

Auch schon vorher hatten italienische Bildhauer die Idee der weißen Antike entwickelt. Im frühen 20. Jahrhundert nutzten dann faschistische Regimes unter Hitler oder Mussolini den Mythos der weißen Statuen für ihre eigene Propaganda und sahen darin Ausdruck einer vermeintlichen weißen Überlegenheit.

"Die Ideologie der totalitären Regime in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die Forschung zur antiken Farbigkeit unterdrückt und die marmorweiße Skulptur bestärkt", erklärt der Archäologe Vinzenz Brinkmann im Gespräch mit unserer Redaktion. Er beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Thema und entwickelte unter anderem gemeinsam mit seiner Frau, der Archäologin Ulrike Koch-Brinkmann, eine Ausstellung unter dem Titel "Bunte Götter", die farbige Nachbildungen antiker Skulpturen zeigt.

Bis heute werde die Farblosigkeit der Skulpturen häufig als "'richtig' im Sinne einer 'seriösen' Ästhetik" betrachtet, so Brinkmann. "Diese 'formale Strenge' wird als Nachweis kultureller und ästhetischer Überlegenheit benutzt".

Eine antike Statue, wie wir sie heute kennen. Die bunten Farben sind mit den Jahren verschwunden.
Eine antike Statue, wie wir sie heute kennen. Die bunten Farben sind mit den Jahren verschwunden. © iStock

Belege für farbige Statuen unter anderem in antiken Schriftquellen

Tatsächlich habe man aber schon immer gewusst, dass die griechischen und römischen Marmorskulpturen eigentlich farblich bemalt gewesen waren, so der Archäologe: "Bereits zu Beginn des 19. Jahrhundert wurden beispielsweise die zahlreich erhaltenen Farben chemisch analysiert. Auch hat man im 19. Jahrhundert viele farbige Rekonstruktionen in Büchern und Journalen publiziert." Trotzdem sei die Vorstellung einer weißen Antike bevorzugt worden.

Belege dafür, dass die Abbildungen in der Antike bunt waren, fänden sich laut Brinkmann unter anderem in zahlreichen antiken Schriftquellen, in denen detailliert über die Farben berichtet werde. "Unzählige Statuen und Statuenfragmente besitzen noch heute reiche Reste der Farben", so Brinkmann. Das lässt sich heute mittels moderner Technologien wie etwa durch ultraviolettem Licht eindeutig nachweisen. (csr)