Montevideo. Ein des Kindesmissbrauchs beschuldigter “Guru“ kommt wohl nicht vor Gericht. Das zuständiges Gericht lehnte das Auslieferungsgesuch ab.

Arno W. versprach seinen 40 Jüngern die Verwandlung in Lichtwesen und isolierte sie über Jahre auf einer Farm in Südamerika. Weil er sich außerdem an einer jungen Schweizerin sexuell vergangen haben soll, will die Staatsanwaltschaft Detmold den selbst ernannten Endzeitguru aus Ostwestfalen vor Gericht bringen. Die Chancen, dass dies gelingt, stehen allerdings nicht gut.

Der Fall von Lea Saskia Laasner-Vogt erinnert an die Geschichte der „Colonia Dignidad“. Auf diesem chilenischen Anwesen des deutschen Sektenführers Paul Schäfer hatten in den Siebzigerjahren Handlanger von Augusto Pinochet politische Gegner des Militärdiktators gefoltert – und sich auch reihenweise an minderjährigen Jungen vergangen. Schäfer wurde im Jahr 2006 in Chile wegen Kindesmissbrauchs zu einer 20-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt, er starb allerdings vier Jahre nach dem Urteil.

Ähnlich wie Schäfer soll auch Sektenguru Arno W., 60, aus Oerlinghausen bei Bielefeld dauerhaft hinter Gitter – und mit ihm seine 59 Jahre alte Frau Julie R., das „Medium“, die wegen Beihilfe angeklagt ist. Beide sitzen in Uruguay in Haft. Sie waren dort im Juni nach einem jahrelangen Versteckspiel und einer Flucht quer durch Lateinamerika von einem Zielfahnder des Bundeskriminalamtes (BKA) aufgespürt und festgenommen worden.

Ein Leben in fast völliger Isolation und unter psychischem Druck

Die Leidensgeschichte der heute 35-jährigen Laasner-Vogt reicht zurück bis ins Jahr 1994. Da war sie 13 Jahre alt. Sie lebte mit ihren Eltern in einem bürgerlichen Ort bei Zürich in der Schweiz, als ihre Mutter Kontakt zur esoterischen Szene bekam und dem Endzeitguru verfiel, der angesichts einer angeblich bevorstehenden Apokalypse alle Anhänger mithilfe des Geistes „Ramtha“ in Lichtwesen transformieren wollte. Die „Lichtoase“ beschrieb sich selbst als einen „besonderen Ort der Ruhe, Kraft und Liebe“ bei der „all jene stets willkommen sind, die dem Lichte, der Menschheit und dem Universum dienen wollen“.

Laasner-Vogts Vater widersetzte sich zunächst der neuen Bekanntschaft. Dann überfiel ihn aber die Angst, die eigene Frau an die Esoteriker zu verlieren. Er verkaufte sein gut gehendes Architekturbüro und folgte seiner Frau und der „Lichtoase“ auf eine Odyssee durch Österreich, Bayern und Portugal nach Südamerika.

Die Jahre als Teenager waren für Lea Saskia ein Leben in fast völliger Isolation und unter psychischem Druck durch rund 40 Sektenmitglieder, die sich von Arno W. abhängig gemacht hatten. Sie erkrankte an Bulimie, dachte gar an Selbstmord. So hat es Laasner-Vogt in dem im Jahr 2005 erschienenen Buch „Allein gegen die Seelenfänger“ gemeinsam mit dem Schweizer Sektenexperten Hugo Stamm beschrieben.

Sexuelle Übergriffe, sadistische Praktiken

Schon kurz nachdem die Familie Zürich verlassen hatte, nahm sich Arno W. die 13-Jährige zur Geliebten. Die Frau des Sektenchefs, Julie R., hatte das Kind vorher beeinflusst, um es gefügig zu machen, so der Vorwurf.

Acht Jahre lang litt Laasner-Vogt unter sexuellen Übergriffen und teils sadistischen Praktiken. Die Gruppe um W. hatte vorher gezielt alle Bindungen zerstört, die das Mädchen zu seinen Eltern hatte. Die Übergriffe erklärte der Chef der „Lichtoase“ mit der nötigen „spirituellen Entwicklung“ der jungen Schweizerin. „Dass ich vom Sektenguru missbraucht wurde, das hat meinen Vater nicht sehr schockiert“, sagte sie 2013 in der ARD-Sendung „Menschen bei Maischberger“, „tatsächlich war er da schon zu sehr gebrochen, um dagegen zu protestieren.“ Irgendwann lernte sie einen jungen Polizisten kennen, der der inzwischen 21-Jährigen zur Flucht verhalf. Sie kehrte in die Schweiz zurück.

Die Staatsanwaltschaft Detmold legt W. und seiner Partnerin Julie R. die Taten in Bayern und Portugal zur Last. Konkret geht es um neun sexuelle Übergriffe im Jahr 1994 – in vier Fällen soll es zum Geschlechtsverkehr gekommen sein. Ob es noch weitere Missbrauchsopfer gibt, ist offen. „Wir haben eine Strafanzeige nur in diesem Fall“, sagt Oberstaatsanwalt Ralf Vetter. Sie stammt von der jungen Frau. Aussagen deuten darauf hin, dass es noch weitere sexuelle Vergehen gibt.

Das Landgericht Detmold teilte am gestrigen Mittwoch mit, dass das zuständige Strafgericht in Uruguay das deutsche Auslieferungsgesuch als „unzulässig“ abgelehnt habe – der Fall sei nach dortigem Recht verjährt. Die Staatsanwaltschaft Detmold prüft jetzt, ob sie den Beschluss anfechten kann. Die Chancen dafür stünden allerdings nicht gut, sagte eine Sprecherin der Behörde auf Anfrage dieser Zeitung. Für das Opfer sei die Entscheidung natürlich „bitter“.