Aix-en-Provence. Der TÜV muss im Skandal um minderwertige Brustimplantate den Schaden nicht bezahlen. Geprüft wurden Papiere, keine Produkte.

Der TÜV Rheinland muss im Skandal um minderwertige Brustimplantate in Frankreich doch nicht haften. Ein französisches Berufungsgericht hob am Donnerstag ein Schadenersatz-Urteil gegen das Prüfunternehmen auf. Im November 2013 hatte das Gericht in Toulon festgestellt, der TÜV Rheinland habe seine „Pflicht zur Kontrolle“ verletzt und müsse Importeure sowie Opfer entschädigen. Jetzt heißt es: Der TÜV habe seine Verpflichtungen bei der Zertifizierung der Produktion des Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) erfüllt, teilte das Gericht in Aix-en-Provence mit. In erster Instanz war der TÜV verurteilt worden, mehr als 1600 Frauen jeweils zunächst 3000 Euro Schadenersatz plus Anwaltskosten zu zahlen.

Zwischenzeitlich traten nach Angaben des TÜV weitere Opfer dem Verfahren bei, die Entscheidung bezieht sich daher inzwischen auf mehr als 3000 Frauen sowie auch auf einige Händler. Das Unternehmen sieht sich selbst als Opfer des Betrugs des Herstellers und legte deshalb Berufung ein. Mehrere deutsche und französische Gerichte schlossen sich dieser Einschätzung bereits an.

Der inzwischen insolvente Hersteller PIP hatte etwa zehn Jahre lang billiges Industriesilikon für seine Implantate verwendet. Die reißanfälligen Silikonkissen wurden Schätzungen zufolge weltweit bei Hunderttausenden Frauen eingesetzt.

Der TÜV hatte nur Unterlagen und die Qualitätssicherung von PIP überprüft, nicht aber die Kissen selbst, die den Frauen implantiert wurden. Auf dieser Grundlage erhielt die Firma das europäische CE-Siegel. Die Klägerinnen warfen den Prüfern deshalb Schlamperei vor.

Die Entscheidung sei ein wichtiger Schritt in den gerichtlichen Auseinandersetzungen um den PIP-Skandal, sagte TÜV-Sprecher Hartmut Müller-Gerbes. Eine Bestätigung der Schadenersatzansprüche hätte dem TÜV teuer kommen können. Denn das ursprüngliche Urteil des Handelsgerichts von Toulon sah die Möglichkeit vor, je nach Einzelfall höhere Ansprüche geltend zu machen als die pauschalen 3000 Euro pro Frau. Klägerinnen forderten ursprünglich jeweils 16.000 Euro.

Die bereits gezahlten 5,8 Millionen Euro könnte der TÜV Rheinland nun zurückfordern. Ob das Unternehmen dies jedoch auch macht, wird laut einem Sprecher noch geprüft. Nach Angaben einer Anwältin könnten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts aber auch noch Rechtsmittel eingelegt werden.

Der Skandal um die Brustimplantate war im Jahr 2010 aufgeflogen. In Deutschland waren schätzungsweise mehr als 5000 Frauen betroffen. Behörden rieten Betroffenen damals, sich die Implantate wieder entfernen zu lassen. Der Gründer der Skandal-Firma, Jean-Claude Mas, wurde im Dezember 2013 zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Sein Berufungsprozess soll im November beginnen.

Unbestritten ist: Die inzwischen insolvente französische Firma Poly Implant Prothèse hat jahrelang weltweit Brustimplantate aus billigem Industriesilikon verkauft. Nicht nur in Frankreich gibt es Prozesse, auch in Deutschland – bislang erfolglos.

Bereits im März 2010 hatte die zuständige Behörde in Frankreich die umstrittenen Brustimplantate wegen der hohen Reißanfälligkeit aus dem Handel genommen. PIP meldete Konkurs an. Dann ermittelte Frankreichs Justiz wegen Betrugs und Gesundheitsgefährdung. Im November 2010 erstattet eine Opfervereinigung Anzeige gegen den TÜV Rheinland. Im Dezember 2011, nach dem Tod einer Frau mit PIP-Implantaten, werden Vorermittlungen wegen Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung und Tötung eingeleitet.