Darmstadt. Im Prozess um die getötete Studentin Tugce wurden die Plädoyers verlesen. Verteidigung plädiert auf Bewährung und Aussetzung der Haft.

Im Prozess um den gewaltsamen Tod der Studentin Tugce Albayrak fordert die Staatsanwaltschaft für den Angeklagten Sanel M. eine Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Wegen Körperverletzung mit Todesfolge solle der 18-Jährige in der Haft eine Berufsausbildung nachholen und Mitgefühl gegenüber Schwächeren erlernen, sagte Staatsanwältin Birgit Lüter am Freitag im Landgericht Darmstadt. Die Anwälte der Nebenkläger, der Familienangehörigen des Opfers, plädierten für eine „empfindlichere Jugendstrafe“, um in einer längeren Erziehung an der Persönlichkeit des Angeklagten zu arbeiten und sein Gewaltpotenzial aufzuarbeiten. Der Strafrahmen für Körperverletzung mit Todesfolge nach dem Jugendstrafrecht beträgt sechs Monate bis zehn Jahre Haft.

Die Verteidiger des Angeklagten haben dagegen für eine Jugendstrafe zur Bewährung und die Aussetzung der Haft plädiert. Sanel M. habe nicht wissen können, dass eine Ohrfeige zum Tod führen könne, sagte der Rechtsanwalt Hans-Jürgen Borowsky am Freitag vor dem Landgericht Darmstadt. Es sei keine Schwere der Schuld erkennbar. Der 18-Jährige werde zu seiner Sicherheit das Rhein-Main-Gebiet verlassen und sich ein Leben lang mit den Folgen seiner Tat auseinandersetzen müssen.

Rechtsanwalt Stephan Kuhn zeigte sich verärgert darüber, dass die Nebenklägerin Sanel M. fehlende Reue vorgehalten habe. Im Übrigen sei es genau richtig gewesen, dass die jungen Männer den Tatort verlassen hätten, um eine Eskalation des Streits zu verhindern. Sie hätten nicht mit einem tödlichen Ausgang rechnen können.

Sanel M. hatte die Offenbacher Studentin Tugce Albayrak laut Anklage im Morgengrauen des 15. November 2014 im Lauf eines Streits zwischen einer Gruppe junger Männer und einer Gruppe junger Frauen geschlagen, so dass sie stürzte und ins Koma fiel. Am 28. November, ihrem 23. Geburtstag, ließen ihre Eltern die lebenserhaltenden Maschinen abstellen.

Die Staatsanwaltschaft habe dem Angeklagten sein Geständnis und seine Reue zu Beginn des Prozesses zugutegehalten, sagte Lüter. Auch habe er auf das Opfer nicht eingeprügelt, sondern ihm nur einen Schlag versetzt. Sanel M. habe selbst Gewalt durch den Vater erlebt. Gegen den Angeklagten spreche, dass er mehrfach vorbestraft sei, und seine kriminelle Energie. Nach der Tat sei er schnell geflohen, ohne Hilfe zu leisten. Das Schicksal der Geschädigten sei ihm gleichgültig gewesen. Auch habe seine Tat schwere psychische Folgen für die Familie des Opfers gehabt.

Oberstaatsanwalt Alexander Homm kritisierte ein in Medien gezeichnete Schwarz-Weiß-Bild vom bösen Täter und edlen Opfer. Die Realität seien Grautöne. Die Zeugenaussagen seien für die Aufklärung schwierig gewesen, weil sie sich stark widersprochen hätten. Klar sei, dass die Beschimpfungen von der Gruppe junger Männer gegen die Gruppe junger Frauen um Tugce Albayrak ausgegangen seien.

Sanel M. habe sich vor dem Schlag auf dem nächtlichen Parkplatz „als großer starker Mann aufgespielt“, sagte Homm. Es sei nicht glaubhaft, dass eine angeblich kurz zuvor ausgesprochene Beschimpfung von Tugce Albayrak den Ausschlag für den Schlag gegeben habe. Mit Anspielung auf die im Internet ausgesprochenen Bedrohungen gegen Sanel M. sagte Homm: „Ich möchte nicht in der Haut des Angeklagten stecken, wenn er die Haft verlässt.“

Der Rechtsanwalt der Familie des Opfers, die als Nebenklägerin auftritt, sprach dem Angeklagten Reue ab. Sanel M. habe in seinem Geständnis nur gesagt, was sowieso durch die Videos der Überwachungskameras bekannt gewesen sei, sagte Macit Karaahmetoglu. Er habe es durch sein durchgängiges Schweigen während des Prozesses versäumt, ein umfangreiches Geständnis abzulegen und die Familienangehörigen Tugces anzusprechen. Sein zu Anfang verlesenes Geständnis sei rein prozesstaktisch motiviert gewesen.

Auf dem Parkplatz habe der Angeklagte sich mit einem Kumpan verabredet, jeweils eine Frau zu schlagen, interpretierte der Anwalt ein Abklatschen der Hände kurz vor den durch Zeuginnen beschriebenen Schlägen. Die Tat sei nicht im Affekt geschehen. Sanel M. habe derart heftig zugeschlagen, dass sein Opfer um 180 Grad herumgeschleudert wurde und ohne Gegenreaktion auf den Asphalt klatschte. Daher habe er die mögliche tödliche Verletzung vorhersehen können. (epd)