Straßburg/Paris. Straßburger Gericht billigt passive Sterbehilfe für querschnittsgelähmten Franzosen. Streit um lebenserhaltende Maßnahmen beigelegt?

Die künstliche Ernährung des französischen Koma-Patienten Vincent Lambert darf abgebrochen werden. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof bestätigte damit am Freitag in Straßburg die Entscheidung der französischen Gerichte zur passiven Sterbehilfe.

Nach Auffassung der Straßburger Richter hatte das oberste Verwaltungsgericht in Frankreich die geltenden Gesetze richtig interpretiert. Nach dem Leonetti-Gesetz von 2005 ist es Ärzten überlassen, lebenserhaltende Maßnahmen abzubrechen, wenn sich der Patient nicht mehr selbst mitteilen kann.

Seit Motorradunfall im Wachkoma

Der Franzose Lambert liegt seit einem Motorradunfall 2008 im Wachkoma und ist querschnittsgelähmt. Die Ehefrau Lamberts, ein Großteil seiner Geschwister und seine Ärzte hatten sich gegen lebensverlängernde Maßnahmen ausgesprochen, zumal er nach dem Urteil von Ärzten Schmerzen empfinde. Die Eltern dagegen wollten, dass ihr Sohn weiter künstlich ernährt wird; sie riefen deshalb den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof um Hilfe an. Der Anwalt der Eltern hatte bereits vor Prozessbeginn angekündigt, im Fall einer Niederlage erneut in Frankreich vor Gericht ziehen zu wollen.

Der Menschenrechtsgerichtshof fügte dem Urteil hinzu, die Richter seien sich bewusst über die medizinischen, ethischen und rechtlichen komplexen Fragen in diesem Fall. Das Gericht habe die ärztlichen Gutachten, die Historie des Falls und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts geprüft und dabei keinen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention - unter anderem das Recht auf Leben - festgestellt. Da es unter den Mitgliedstaaten keinen Konsens über lebenserhaltende Maßnahmen am Lebensende gebe, liege die Entscheidung im Ermessensspielraum des jeweiligen Staates.

Fall Lambert hatte Debatte über Sterbehilfe entfacht

Die Straßburger Richter stellten fest, Lambert werde durch das Urteil des französischen Gerichts nicht seiner Rechte beraubt. Das Leonetti-Gesetz gestatte weder Sterbehilfe noch assistierten Suizid. Nach der französischen Rechtsprechung sei es jedoch den Ärzten möglich, nach Rücksprache mit nahen Angehörigen und nach bestmöglicher Ermittlung des Patientenwunsches lebenserhaltende Maßnahmen zu beenden.

Der Fall Lambert hatte in Frankreich eine Debatte über eine neue rechtliche Regelung Sterbehilfe entfacht. Im März billigte die Französische Nationalversammlung eine Änderung des Gesetzes, wonach eine „tiefe und kontinuierliche Sedierung“ für unheilbar kranke Patienten in bestimmten Situationen erlaubt ist.

Die Abgeordneten stimmten darüber hinaus für die Einführung einer verbindlichen Patientenverfügung. Zuvor war eine entsprechende Verfügung nur für drei Jahre gültig. Vertreter katholischer und evangelischer Kirchen sowie die jüdische Gemeinde und die Muslime in Frankreich hatten kritisiert, die Sedierung bis zum Tod sei der Einstieg in eine aktive Beihilfe zum Suizid.

In Deutschland hatte 2010 der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil festgehalten, dass sich niemand gegen seinen Willen medizinisch behandeln lassen muss. (kna)