Bestellen Sie mal einen Tisch mit Platte und vier Beinen – und seien Sie auf alles gefasst. Aber es gibt ja noch die „Sofort-Hotline“ ...

Deutschland gilt in der ganzen Welt als hoch organisiertes und umweltbewusstes Land, in dem Handel und Wandel geregelt sind und alles prima klappt. Für alle Wechselfälle des Lebens gibt es mindestens eine Verordnung. Das Lustige ist nur: Von innen fühlt sich diese sauber geregelte Welt oft ganz anders an.

Ein Bekannter zum Beispiel hatte sich im Internet eine neue Kommode und einen Balkon-Klapptisch bestellt. Sie kennen das: Man nimmt einen Tag frei, um die Lieferung in Empfang zu nehmen. Dann klingelt die Lieferfirma: Kommode ist da. „Ja, dann bringen Sie sie bitte rauf, dritter Stock.“ „Nee, wir liefern nur an. Rauftragen müssen Sie sie selber.“ Ab einem gewissen Alter ist das Herauftragen von Kommoden als Einzelperson nicht unbedingt ratsam. Es entspann sich ein längerer Dialog über die Begriffe „Liefern“, „Anliefern“ und „Kundenservice“. Letzte Ansage der Lieferfirma: „Bis Bordsteinkante.“

Als aufgeklärte Kunden wissen wir, dass sich fast alle Hersteller beim Ausliefern auf Sub-Sub-Sub-Unternehmen stützen, denen die Service-Versprechungen der Verkäufer herzlich wurscht sind. Und wir kennen auch die Warteschleifen der „Sofort“-Hotlines der Verkäufer. Dort gab man sich ordnungsgemäß empört: „Waaas, die haben das nicht hochgetragen???“ Währenddessen schimmelt die Kommode immer noch am Bordstein vor sich hin, und der Lieferant ist weg.

Kaum haben hilfsbereite Nachbarn und herbeitelefonierte Freunde das Möbel in die Wohnung gewuchtet, zeigt sich eine weitere Sollbruchstelle unseres durchorganisierten Alltags. Die Kommode befindet sich nämlich in einer Umverpackung, damit sie beim Transport keinen Schaden nimmt. Und für solche Um- und Transportverpackungen besteht eine Rücknahmepflicht des Verkäufers, sehr schön geregelt in den Paragrafen 4 und 5 der Verpackungsverordnung („VerpackV“): Der Vertreiber der Kommode muss Um- und Transportverpackungen beim Verkauf selber entfernen oder aber dem Endverbraucher im Geschäft die Möglichkeit geben, sie kostenlos in „geeigneten Sammelgefäßen“ zu entsorgen, wobei die ebenfalls geregelte Wertstofftrennung zu beachten ist. Die Rücknahmepflicht gilt auch bei Internetbestellungen: Der Verkäufer muss gewährleisten, dass bei Anlieferung die Umverpackungen wieder mitgenommen werden.

Man kann nur ahnen, wie oft das schiefgeht. Warum wohl treffen sich ganze Legionen umverpackungsgeschädigter Bürger sonnabends auf Recyclinghöfen, um Kartons, Einschweißfolien oder Sammelbehälter loszuwerden? Mein Bekannter jedenfalls, obzwar glücklicher Besitzer einer Kommode, saß auf einem Verpackungshaufen. Beim Balkon-Klapptisch war er schlauer: Die Sub-Sub-Lieferfirma trug das Paket ohne Murren in den dritten Stock, nachdem er mit einem Geldschein gewedelt hatte, und nahm die Transportverpackung mit. Bloß fehlte beim Auspacken die Tischplatte. „Dieser Artikel ist leider nicht mehr lieferbar, aber wir nehmen die Tischbeine zurück“, hieß es bei der Sofort-Hotline. Einen ganzen Nachmittag hat der leidgeprüfte Bekannte dann mit Paketband, Noppenfolie und Karton eine Eigentransportverpackung für die Tischbeine gebastelt. Auf eigene Kosten.

„Glaubt eigentlich wirklich jemand, dass eine Welt nachhaltig werden kann, die jeden Tag den Aufwand erhöht, um neue Dinge in größerer Zahl mit größerer Geschwindigkeit herzustellen, zu verkaufen und auszuliefern?“ Das fragt der Soziologe Harald Welzer in einem Beitrag in „National Geographic“. Allein in Deutschland wurden im vergangenen Jahr sage und schreibe 2,8 Milliarden Sendungen verschickt, vermeldet der Bundesverband Internationaler Express- und Kurierdienste, den das natürlich freut. Das macht pro Einwohner (Säuglinge inklusive) 35 Sendungen. Dafür, dass wir spontan einer Kauflaune im Internet nachgeben, werden immer neue Verpackungen hergestellt, Callcenter und Logistikzentren gebaut – und Verordnungen nachgebessert. Selbst wenn wir nur Produkte mit Ökolabel bestellen: Jedes Mal startet ein Liefer- und Verpackungsmarathon, bei Retouren wegen Schäden oder Nichtgefallen ein zweites und drittes Mal. Das ist die Kehrseite unseres Fortschritts.

Alles geregelt? Von wegen.