Istanbul/Ankara. Merve Büyüksarac muss womöglich für ein Gedicht büßen, das sie auf Instagram veröffentlichte. Neue Verhaftungswelle wegen Abhöraffäre.

Wegen Verunglimpfung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan drohen einer ehemaligen türkischen Schönheitskönigin bis zu zwei Jahre Haft. Die Staatsanwaltschaft werfe dem Model Merve Büyüksarac vor, im vergangenen August ein beleidigendes Gedicht im Fotodienst „Instagram“ veröffentlicht zu haben, berichtete die Zeitung „Hürriyet“ am Mittwoch. Im vergangenen Monat war sie deshalb festgenommen worden. Büyüksaracs Anwalt bestätigte die Vorgänge.

In dem im Internet zugänglichen Text mit dem Titel „Ustanin Siiri“ (Das Gedicht des Meisters) geht es um Bestechung. Im Dezember 2013 war gegen Vertraute des damaligen Ministerpräsidenten Erdogan wegen Korruptionsvorwürfen ermittelt worden. Unter Verdacht geriet auch Erdogans Sohn Bilal Erdogan, der in dem Gedicht namentlich erwähnt wird.

Büyüksarac sagte nach Angaben von „Hürriyet“, sie habe den Text „lustig“ gefunden. Das Gedicht wurde inzwischen aus dem Instagram-Profil des Models gelöscht. Büyüksarac war im Jahr 2006 zur Miss Turkey gewählt worden.

Die Türkei hat in den vergangenen Jahren Medienfreiheiten eingeschränkt, ist gegen kritische Veröffentlichungen in sozialen Medien vorgegangen und hat Hunderte Teilnehmer von Massenprotesten gegen die Regierung verfolgt. Es gibt Befürchtungen, dass sich das Land einer autoritären Herrschaft annähert. In den vergangenen Monaten wurden zahlreiche Ermittlungen wegen Beleidigung Erdogans eingeleitet.

Dutzende neue Festnahmen

Unterdessen sind in der Türkei erneut dutzende Verdächtige unter dem Vorwurf regierungsfeindlicher Aktivitäten festgenommen worden. Ihnen werde vorgeworfen, in illegale Abhöraktionen gegen den damaligen Ministerpräsidenten Erdogan verwickelt gewesen zu sein, berichteten türkische Medien am Mittwoch. Die Nachrichtenagentur Anadolu meldete, die Staatsanwaltschaft in Ankara habe Haftbefehle für 54 Verdächtige erlassen. Von ihnen seien 40 bereits festgenommen worden.

Razzien gab es den Berichten zufolge im Morgengrauen außer in der Hauptstadt in 19 weiteren Städten, darunter im mehrheitlich kurdischen Diyarbakir im Südosten des Landes. Seit Juli 2014 wurden im Zusammenhang mit der Affäre bereits mehrere dutzend Polizisten festgenommen. Einige ranghohe Beamte wurden unter anderem wegen Spionage und Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Den Festgenommenen wird zur Last gelegt, als Anhänger des islamistischen Predigers Fethullah Gülen parallele Strukturen im Staatsapparat gebildet und einen Sturz der Regierung angestrebt zu haben.

Erdogan hatte seinem ehemaligen Verbündeten und heutigen Erzfeind Gülen den Krieg erklärt, nachdem ihn der Korruptionsskandal in Bedrängnis brachte. Dabei geriet auch Erdogans Familie ins Visier der Ermittler. Der starke Mann der Türkei bezichtigte der seit Jahren in den USA lebenden Gülen, den Skandal über seine zahlreichen Anhänger in Polizei und Justiz angezettelt zu haben, um die Regierung zu stürzen.

Infos über soziale Netzwerke

Die Korruptionsvorwürfe sollen durch das Abhören hunderter Telefongespräche aufgedeckt worden sein. Die Informationen wurden anschließend über soziale Netzwerke veröffentlicht. Erdogan, der im Sommer 2014 zum Staatschef gewählt wurde, bestreitet alle Vorwürfe und verfügte die Entlassung tausender Polizisten und Staatsanwälte.

Im Oktober wurden zudem sämtliche Ermittlungen gegen mehr als 50 Korruptionsverdächtige - darunter die Söhne mehrerer Minister - aus "Mangel an Beweisen" eingestellt. Erdogan intensivierte mittlerweile den Kampf gegen die Gülen-Bewegung. Der Prediger weist Erdogans Beschuldigungen zurück und warf dem Präsidenten Anfang des Monats in der "New York Times" vor, die Türkei zum "Totalitarismus" zu führen.

Am Montag erließ ein türkisches Gericht Haftbefehl gegen den in den USA lebenden Imam und gegen den Journalisten Emre Uslu, der die Türkei inzwischen verließ. Er wird beschuldigt, unter dem Pseudonym "Fuat Avni" im Kurznachrichtendienst Twitter zahlreiche für Erdogan kompromittierende Insiderinformationen veröffentlicht zu haben. Uslu bestreitet, Regierungsinterna publik gemacht zu haben.