Der Bundesgerichtshof hat nach einem erbitterten Nachbarschaftsstreit entschieden: Es gibt zeitliche Grenzen für die Zigarette im Freien. Lesen Sie, was dieses Urteil in der Praxis bedeutet.

Karlsruhe. Mieter können ihren Balkon nicht mehr zum unbegrenzten Zigarettenrauchen nutzen, wenn sich Nachbarn dadurch gestört fühlen. Der Maßstab, ob die Belästigung durch den Rauch auch nur einer Zigarette „wesentlich“ ist und eingeschränkt werden muss, richtet sich nach dem „Empfinden eines verständigen durchschnittlichen Menschen“, entschied jetzt der Bundesgerichtshof. Raucher könnten deshalb dazu verpflichtet werden, nur zu bestimmten Zeiten auf dem Balkon zur Zigarette zu greifen. Der BGH hatte über einen erbitterten Nachbarschaftsstreit um das Rauchen zu entscheiden.

Dabei ging es um die Frage, ob Nichtraucher ihre Nachbarn dazu verpflichten können, nur zu bestimmten Zeiten auf dem Balkon zur Zigarette zu greifen. Den Richtern lag die Klage eines Ehepaares aus Premnitz in Brandenburg vor. Der Fall wurde nicht endgültig geklärt, denn die Vorinstanz soll genau feststellen, wie hoch die Beeinträchtigung durch den Tabakqualm ist. Nicht jede kleine Beeinträchtigung sei gleich eine Störung, sagte die Vorsitzende BGH-Richterin Christina Stresemann. Sie kritisierte, dass der Richter der unteren Instanz nicht die Wohnung und den Balkon der Kläger besucht hatte, um sich selbst ein Bild vom Umfang der Belästigung zu machen.

„Einem Mieter steht gegenüber demjenigen, der ihn in seinem Besitz durch sogenannte Immissionen stört, grundsätzlich ein Unterlassungsanspruch zu. Das gilt auch im Verhältnis von Mietern untereinander“, so die Karlsruher Richter. Das Rauchen eines Mieters gehöre zum vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung. Nachbarn dürften aber nicht gestört werden. „Wenn die mit dem Tabakrauch verbundenen Beeinträchtigungen nur unwesentlich sind“, bestehe kein Abwehranspruch.

Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme

„Es kollidieren zwei grundrechtlich geschützte Besitzrechte, die in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden müssen“, so der BGH. Einerseits stehe dem Mieter das Recht auf eine von Belästigungen durch Tabakrauch freie Nutzung seiner Wohnung zu. Anderseits habe der andere Mieter das Recht, seine Wohnung zur Verwirklichung seiner Lebensbedürfnisse – zu denen auch das Rauchen gehört – zu nutzen. Das Maß des zulässigen Gebrauchs und der hinzunehmenden Beeinträchtigungen sei nach dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zu bestimmen. „Dem Mieter sind Zeiträume freizuhalten, in denen er seinen Balkon unbeeinträchtigt von Rauchbelästigungen nutzen kann, während dem anderen Mieter Zeiten einzuräumen sind, in denen er auf dem Balkon rauchen darf.“ Die Bestimmung der Zeiträume hänge von den Umständen des Einzelfalls ab.

Der Bundesgerichtshof verwies den Fall an das Landgericht Potsdam zurück, weil es bislang keine Feststellungen dazu getroffen hatte, ob der Rauch auf dem Balkon der Kläger als störend wahrnehmbar ist, oder ob im konkreten Fall von dem Tabakrauch gesundheitliche Gefahren ausgingen, wie die Kläger unter Hinweis auf eine Feinstaubmessung behauptet hatten.

Die Nichtraucher waren in den Vorinstanzen mit ihrer Klage gescheitert. Die Gerichte waren der Auffassung, dass ein Rauchverbot mit der vom Grundgesetz geschützten Freiheit der Lebensführung nicht vereinbar sei.

Balkone der Wohnungen liegen übereinander

Die Parteien sind Mieter in einem Mehrfamilienhaus. Die Kläger wohnen im ersten Stock, die Beklagten im Erdgeschoss. Die Balkone der Wohnungen liegen übereinander. Die Beklagten sind Raucher und nutzen den Balkon mehrmals am Tag zum Rauchen, wobei der Umfang des Tabakkonsums umstritten ist. Die Angaben reichen von zwölf bis 20 Zigaretten am Tag. Die Kläger fühlen sich als Nichtraucher durch den aufsteigenden Tabakrauch gestört und verlangen deshalb von den Beklagten, das Rauchen auf dem Balkon während bestimmter Stunden zu unterlassen.

Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen. Das Landgericht hatte danach die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Die Vorinstanzen waren der Meinung, dass ein Rauchverbot mit der durch das Grundgesetz geschützten Freiheit der Lebensführung nicht vereinbar sei. Diese schließe die Entscheidung ein, unabhängig von zeitlichen und mengenmäßigen Vorgaben auf dem zur gemieteten Wohnung gehörenden Balkon zu rauchen.

„Mit diesem Urteil regelt der Bundesgerichtshof das Verhältnis zwischen Rauchern und Nichtrauchern in Mehrfamilienhäusern völlig neu. Rauchen auf dem Balkon ist nicht länger uneingeschränkt erlaubt. Mieter, die sich durch einen auf dem Balkon rauchenden Nachbarn gestört fühlen, können für konkrete Zeitabschnitte einen Rauchstopp fordern, haben Anspruch auf rauchfreie Zeiten“, sagte der Bundesdirektor des Deutschen Mieterbundes (DMB), Lukas Siebenkotten.