Süßwarenladen in Sydney wird zum Schauplatz eines Dramas. Australien steht unter Schock

Sydney. Sydneys zentraler Martin Place wimmelt in den Wochen vor Weihnachten meist von Passanten auf der Suche nach Geschenken. Das Lindt-Café des Schweizer Schokoladenherstellers ist ein beliebter Einkehrpunkt zum Verschnaufen, um Pralinen zu kaufen und Kaffee zu trinken. Doch am Montag wird das Café zum Schauplatz einer Geiselnahme mit vermutlich islamistischem Hintergrund. Bis in die Nacht hinein hält ein Bewaffneter etwa 20 Menschen in seiner Gewalt, die Befreiungsaktion endet blutig.

Laut Medienberichten handelt es sich bei dem Mann um einen iranischen Islamisten. Der Geiselnehmer Man Haron Monis hatte in der Vergangenheit beleidigende Briefe an Angehörige toter Soldaten geschickt. Der 49-Jährige lebte seit 1996 als Flüchtling in Australien und wurde beschuldigt, Komplize bei der Ermordung seiner Ex-Frau gewesen zu sein. Er befand sich gegen Kaution in Freiheit. Er bringt am Vormittag Angestellte und Kunden als Geiseln in seine Gewalt und versetzt Sydney damit in Angst und Schrecken. Auf dem sonst belebten Martin Place sind statt der Einkäufer, Touristen und Angestellten den ganzen Tag über schwer bewaffnete Polizisten zu sehen. „Es ist schockierend für alle, ich kam zur Arbeit, und dann sah ich, was passiert ist“, sagt die Angestellte Goldie Jamshidi unweit des Cafés.

Die Geiseln werden gezwungen, eine oft von Dschihadisten benutzte schwarze Flagge mit dem islamischen Glaubensbekenntnis ins Fenster zu halten – ein seltsamer Kontrast zu den dort aufgeklebten Worten „Merry Christmas“, mit denen Lindt seine Besucher begrüßt. Rund um das elegante Café gehen Sondereinsatzkräfte in schwarzen Uniformen in Position, aus der Ferne machen Schaulustige Fotos vom Ort des Geschehens.

Der Sender Channel Ten berichtet unter Berufung auf zwei Geiseln im Café, der Geiselnehmer habe angegeben, im Café und in der Innenstadt vier Bomben platziert zu haben. Demnach fordert er zudem, mit Premierminister Tony Abbott zu telefonieren. Dieser spricht im Fernsehen von Hinweisen auf einen politischen Hintergrund. Eine Gruppe islamischer Institutionen verurteilt „uneingeschränkt diesen kriminellen Akt“.

Einem Medienbericht zufolge verlangt der Geiselnehmer, zu dem die Polizei Kontakt aufnimmt, nach einer Flagge des Islamischen Staates (IS). Australien beteiligt sich im Irak am Kampf gegen die IS-Miliz. Seit September gilt im Land eine erhöhte Terrorwarnstufe. Die Behörden fürchten, dass australische Dschihadisten nach ihrer Rückkehr aus dem Irak oder aus Syrien als „einsame Wölfe“ Anschläge begehen könnten.

„Es ist irgendwie überwältigend, vor allem nach dem Drama vor einigen Monaten wegen des Geredes von einer Enthauptung am Martin Place“, sagt die Büroangestellte Rebecca Courtney. Sie spielt auf Äußerungen eines australischen Dschihadisten an, der zur öffentlichen Ermordung eines Zufallsopfers aufrief. Die Regierung in Canberra stellte bereits Reisen in Konfliktgebiete unter Strafe und zog Pässe von 70 Verdächtigen ein.

Lange Zeit schien Australien weit weg von islamistischen Bedrohungen zu sein. Doch in Sydney herrscht am Montag Ausnahmezustand. Arbeitgeber schicken ihre Mitarbeiter frühzeitig nach Hause, darunter die deutsch-australische Handelskammer in der nahegelegenen Spring Street. Am Martin Place selbst stehen Hunderte Schaulustige und Journalisten hinter der Absperrung, halten Kameras und Smartphones in den Händen, blicken zum Lindt-Café und warten. Trotz der Masse an Menschen ist es eigenartig ruhig.

Zu dem Geiselnehmer im Lindt-Café baut die Polizei nach Stunden Kontakt auf, lässt aber nichts über seine Motive und Forderungen verlauten. Im Laufe des Tages können drei Männer und zwei weibliche Angestellte dem Geiselnehmer entkommen. Mit schreckverzerrten Gesichtern rennen die jungen Frauen in die Arme wartender Polizisten. Kurz vor der Erstürmung des Cafés laufen dann fünf weitere verängstigte Geiseln auf die Straße.

Unmittelbar erfolgt dann der Zugriff. Nach 16 Stunden stürmen Polizisten das Gebäude, mehrere Explosionen sind zu hören, bevor ein Spezialroboter zum Entschärfen von Sprengsätzen in das Café gesteuert wird. Die Polizei bestätigt zunächst nur das Ende der Geiselnahme, doch Medien überbringen bald die schlechten Nachrichten: Drei Menschen, darunter der Geiselnehmer, wurden demnach getötet, zudem vier weitere Kunden des Cafés schwer verletzt.