21-Jähriger in Supermarkt in Hannover erschossen. Parallelen zum Fall Tugce drängen sich auf

Hannover. Im Vorort Stöcken glänzt Hannover nicht, hier arbeitet die Stadt. Im benachbarten VW-Werk lief am Donnerstagabend kurz vor 20 Uhr die Spätschicht, als in einem Supermarkt die tödlichen Schüsse fielen. Die Parallele zum Fall der Studentin Tugce A. aus Offenbach drängt sich förmlich auf: Ein 21-jähriger Kunde mischt sich ein, als ein bislang unbekannter Mann mit vorgehaltener Waffe Geld von der 51-jährigen Kassiererin fordert. Es kommt zum Handgemenge, der Kunde wird tödlich getroffen.

Der Ablauf am Donnerstagabend: Im Laden befinden sich außer der Kassiererin eine weitere Verkäuferin, zwei Kundinnen und ein Kunde, als der Täter kommt: Er bedroht die Kassiererin, die ihm Geld aushändigt. Genau da betritt das spätere Opfer den Laden, erkennt die Situation und interveniert. Es kommt zu einem Handgemenge, mindestens ein Schuss fällt, trifft den 21-Jährigen tödlich. Die Obduktion sollte noch am Freitag stattfinden.

Durch einen Schuss am Bein verletzt wird auch ein weiterer Kunde im Eingangsbereich, der den Laden gerade betreten hat. Ob es zwei Schüsse gab oder ob die Kugel gleich zwei Menschen traf, konnte oder wollte die Polizei am Freitag nicht sagen. Das angeschossene Opfer wurde umgehend ins Krankenhaus gebracht, nach Auskunft der Ärzte aber besteht keine Lebensgefahr. Der unbekannte Täter flüchtete auf einem Fahrrad, die unmittelbar eingeleitete Großfahndung blieb bislang erfolglos trotz des Einsatzes von dafür ausgebildeten Suchhunden der Polizei. Noch in der Nacht verbreitet die Polizei eine vergleichsweise detaillierte Beschreibung des Unbekannten: Er soll cirka 40 Jahre alt sein und korpulent, er habe kurze rotblonde Haare und spreche Deutsch mit osteuropäischem Akzent, er habe eine rostbraune Jacke und eine dunkle Schiebermütze getragen. Zu dem Fahrrad liege leider keine nähere Beschreibung vor.

Am Donnerstagabend lief umgehend eine umfassende Spurensuche an. Wegen vieler, meist junger männlicher Gaffer sperrte die Polizei nicht nur Bürgersteig und Straße ab, sondern verhängte die Schaufenster des Supermarktes mit Plastikplanen. Eingesetzt wurde zur Spurensicherung auch die moderne 360-Grad-Kamera des Landeskriminalamtes, die sogar vor Gerichten anschließend dreidimensionale Eindrücke vermitteln kann vom eigentlichen Tatort, aber auch der Umgebung, also dem Fluchtweg. Die zuständige Polizeidirektion Hannover hat eine Ermittlungsgruppe gebildet, ermittelt wird wegen Raubmordes. Befragt wurden nicht nur die Tatzeugen, sondern auch Anwohner des Viertels.

Wie die Studentin Tugce A. in Offenbach, die nach einer Prügelattacke ins Koma gefallen und an ihrem 23. Geburtstag gestorben ist, hat auch der 21-Jährige in Hannover nicht einfach zusehen wollen. Tugce war zwei bedrängten Mädchen zur Hilfe gekommen und bewies Zivilcourage. Aber so wie jetzt bei dem neuen Fall könnte man auch sagen, diese beiden Menschen seien todesmutig gewesen, hätten also zurückhaltender agieren sollen.

Die Polizei zumindest mahnt zu Vorsicht in unübersichtlichen Situationen dieser Art. Eine Sprecherin des niedersächsischen Landeskriminalamtes (LKA) warnte am Freitag noch einmal nachdrücklich davor, gefährliche Täter zu provozieren: „Ich würde mich nicht einmischen, solch ein Täter ist in einem psychischen Ausnahmezustand“. Besser sei es, „ein bisschen in Deckung zu gehen“. Wichtig, wenn möglich: Den Täter beobachten, sich Details merken, die später der Polizei bei der Identifizierung und Fahndung helfen können. In diesem Fall kommt hinzu: Niemand weiß, ob der Täter die Waffe aus dem Supermarkt unverändert bei sich trägt.

Der kleine Supermarkt in dem Arbeiterviertel („Niedrige Preise – clevere Kunden“) blieb am Freitag geschlossen. Nach Auswertung der Aufnahmen aus der Videoüberwachungsanlage des Geschäfts hat sich die Polizei am Freitagabend dazu entschlossen, nun Fotos und Videosequenzen zu veröffentlichen, um die Suche nach dem unbekannten Täter zu beschleunigen. Die Beamten in Hannover handeln damit nach dem Vorbild der Offenbacher Kollegen mit einer Öffentlichkeitsfahndung. Im Fall Tugce haben die Videoaufnahmen geholfen und zudem die Öffentlichkeit aufgerüttelt.

Bei dem überfallenen Geschäft handelt es sich um einen NP-Markt, der zur Gruppe Edeka Minden-Hannover gehört. Geschäftsführer Ralf Hawig erklärte: „Wir möchten der Familie des verstorbenen Kunden unser aufrichtiges Beileid aussprechen und dem verletzten Kunden alles Gute für seine Genesung wünschen.”