Oscar Pistorius wurde wegen Mordes an seiner Freundin Reeva Steenkamp zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nun hat die Staatsanwaltschaft Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Johannesburg. Der Unmut hat einen Klang: Kettenrasseln. Damit macht ein Wortführer der Proteste gegen das milde Strafmaß für Oscar Pistorius klar, was das Volk angeblich will. Pistorius müsse lange eingekerkert werden statt nur für maximal fünf Jahre, wie Richterin Thokozile Masipa dies am vergangenen Dienstag verkündet hatte. Südafrikas einstiges Sportidol sei ein Heuchler, behauptet der kettenrasselnde Aktivist namens Golden Miles Bhudu. „Dieser Mann weint wie ein Baby und er kreischt wie eine Frau, aber er schießt wie ein Soldat“, betont er.

Genau wie der Kettenmann sieht das auch die politisch einflussreiche Frauenliga des regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANCWL). Sie hatte sich unmittelbar nach der Strafmaß-Verkündung massiv bei der Nationalen Strafverfolgungsbehörde (NPA) beschwert. Das Urteil sende ein falsches Signal. Nun könne jeder seine Frau töten und behaupten, er habe gedacht, auf einen Einbrecher zu schießen, sagte ANCWL-Sprecherin Jacqui Mofokeng.

Pistorius hatte seine 29-jährige Freundin Reeva Steenkamp in der Valentinsnacht 2013 durch eine geschlossene Toilettentür in seinem Haus bei Pretoria erschossen. Er hatte vier Schüsse aus einer großkalibrigen Pistole abgefeuert und später unter Tränen beteuert, die Person hinter der Tür für einen Einbrecher gehalten zu haben.

Zur Empörung vieler akzeptierte Richterin Thokozile Masipa dies und wies die Mordanklage von Staatsanwalt Gerrie Nel zurück. „Dafür haben Sie keine hinreichenden Beweise vorgelegt“, beschied sie den Anklägern. Schuldig sprach sie Pistorius dann wegen fahrlässiger Tötung.

Pistorius könnte bereits nach zehn Monaten in Luxusvilla unterkommen


Was die ANCWL und viele andere im Land am Kap vor allem stört, ist die Tatsache, dass Pistorius – wenn es bei diesem Urteil bleiben sollte – keineswegs fünf Jahre im Zentralgefängnis von Pretoria absitzen muss. Dort hatte man ihn vor einer Woche gleich in den Krankentrakt überwiesen.

Nach zehn Monaten schon, nämlich nach Verbüßung von einem Sechstel der Strafe, könnte er nach südafrikanischem Recht in den Hausarrest bei seinem reichen Onkel Arnold in dessen Luxusvilla entlassen werden. Diese Vorstellung ist konservativen Südafrikanern ebenso ein Gräuel wie vielen im linken ANC. Die Familie des Opfers hingegen hatte sich damit abgefunden. Pistorius werde nun für seine Tat bezahlen, sagte Steenkamps Vater Barry. „Wir haben das Gefühl, dies nun hinter uns lassen zu können.“

Das war wohl Wunschdenken. Die NPA, die im südafrikanischen Rechtssystem über dem Ankläger steht, hat dem Staatsanwalt quasi den Auftrag für einen Berufungsantrag ereilt. Sollte der zuständige Gerichtshof ihn akzeptieren, womit allgemein gerechnet wird, muss der ganze Pistorius-Fall neu aufgerollt werden.

Pistorius droht nun doch lebenslange Haftstrafe


Denn die Berufung bezieht sich nicht nur auf das Strafmaß, sondern auch auf den Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung. Wenn er Pech hat, wird der heute 27-jährige Prothesen-Sprinter also doch noch wegen Mordes verurteilt. Darauf steht in Südafrika lebenslänglich, was in der üblichen Rechtspraxis auf 25 Jahre Haft hinausläuft.

Bis eine solche Entscheidung fällt, könnten nach Einschätzung des Strafrechtsexperten Professor André Thomashausen von der Johannesburger Kanzlei Werth Schröder Inc. allerdings noch mindestens zwei Jahre vergehen – vorausgesetzt, der Berufung wird stattgegeben. Sollte es zu einem neuen Verfahren kommen, könnte Pistorius beantragen, bis zu einem Urteil erneut auf Kaution in Freiheit zu bleiben.

Wie so ein Berufungsverfahren dann ausgehen würde, ist ungewiss. Sicher ist nur, dass Richterin Masipa daran nicht mehr beteiligt wäre. Sie hatte bei der Strafmaßverkündung indirekt, aber deutlich vor einer Politisierung des Pistorius-Verfahrens gewarnt: „Beim Gericht“, hatte sie erklärt, „kann es nicht darum gehen, einen Beliebtheitswettbewerb zu gewinnen, sondern es darf nur darum gehen, für Gerechtigkeit zu sorgen.“