Vor dem Landgericht Bayreuth hat am Donnerstag das Wiederaufnahmeverfahren im Mordfall Peggy begonnen. Fast dreizehn Jahre nach dem spurlosen Verschwinden des Mädchens steht erneut der geistig behinderte Ulvi K. vor Gericht.

Bayreuth. Ungewöhnlicher Prozessbeginn in einem schon ungewöhnlichen Kriminalfall: Als sich am Donnerstag die Tür im großen Schwurgerichtssaal des Landgerichts Bayreuth öffnet und der wegen Mordes bereits Verurteilte den Gerichtssaal betritt, begrüßen ihn die Zuhörer mit einem herzlichen Applaus. Das soll Ulvi K. Mut machen. In den Zuhörerreihen glaubt kaum jemand, dass der geistig Behinderte im Mai 2001 die neunjährige Peggy ermordet hat. Doch genau das wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor – zum zweiten Mal.

Das Landgericht Hof hatte Ulvi K. am 30. April 2004 als Mörder Peggys zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Weil damals ein Zeuge falsch aussagte und es mittlerweile Zweifel am Zustandekommen eines Geständnisses des heute 36-Jährigen gibt, wird der Fall jetzt neu aufgerollt.

Der korpulente Angeklagte schleppt sich nach dem freundlichen Empfang seiner Unterstützer gemächlich zur Anklagebank. Der gleiche Mann, 13 Jahre jünger, soll sich am 7. Mai 2001 eine regelrechte Verfolgungsjagd mit Peggy im oberfränkischen Lichtenberg geliefert haben. Das hat er der Sonderkommission Peggy im Juli 2002 selbst so gesagt. An einer Parkbank wartete er demnach auf Peggy, um sich für einen vier Tage zuvor an ihr begangenen sexuellen Missbrauch zu entschuldigen. Das Mädchen rannte jedoch aus Angst davon. Ulvi K. gelang es, das Mädchen abzufangen. Danach habe er ihr so lange Nase und Mund zugehalten, bis sie sich nicht mehr rührte.

„Kindlicher Verstand in einem tollpatschigen Körper“

Verteidiger Michael Euler holt weit aus, um dem Gericht zu erklären, weshalb auf das damalige Geständnis seines Mandanten nicht viel zu geben sei. Er erzählt von der Gehirnhautentzündung des Gastwirtssohns im Alter von zweieinhalb Jahren, die zu der geistigen Behinderung führte. Er berichtet von dessen Zeit auf der Sonderschule – und kommt dann auf die „große Begabung“ des Angeklagten zu sprechen: „Er erzählt gerne Geschichten. Selbst Lügen kann er fantasievoll ausschmücken – wie ein Kind.“ Damals, als Ulvi K. „immer und immer wieder stundenlang vernommen wurde“, habe er das geistige Niveau eines Zehnjährigen gehabt. Euler nennt das einen „kindlichen Verstand in einem tollpatschigen Körper“.

„Aus panischer Angst, ins Gefängnis zu müssen, hat Ulvi K. den Ermittlern kurzerhand Geschichten aufgetischt“, sagt der Jurist, der kein gutes Haar an den Polizisten lässt. Diese hätten dem Angeklagten immer wieder eingeredet, er müsse nicht ins Gefängnis, wenn er nur die Wahrheit sage. „Mal wurde ihm für eine Aussage eine Pizza, dann wieder Schokolade angeboten.“ Ein anderer Polizist soll ihm fest mit dem Daumen in den Rücken gedrückt haben – „das sind Foltermethoden“, sagt Euler.

Ulvi K. legte unterschiedliche Geständnisse ab

Insgesamt vier Geständnisse legte Ulvi K. letztendlich ab – in der einen Version beseitigte er Peggys Leiche in einem 70 Meter tiefen Loch. In der anderen half ihm sein Vater dabei, den leblosen Körper des Mädchens mit dem Auto abzutransportieren. Und in wieder einer anderen Version will er Peggy getötet haben, weil ihn ein Freund dazu angestiftet habe. „Trotz dieser eindeutigen Widersprüche und obwohl Peggy an keinem der Orte gefunden wurde, die Ulvi K. den Ermittlern angab, wurden seine Aussagen nicht angezweifelt“, kritisiert Euler.

Der erste Prozesstag wirft noch weitere Fragen auf: Ulvi K. soll Peggy den Ermittlungen zufolge vor 14 Uhr getötet haben. Zwei Zeugen, die damals etwa gleich alt wie Peggy waren, sind sich aber sicher, das Mädchen auch noch um 15 Uhr in Lichtenberg gesehen zu haben. Für diese Zeit hat der Angeklagte ein Alibi. Von Peggy fehlt seitdem jede Spur.

Soko soll Zeugen zur Falschaussage gedrängt haben

Es kommt noch schlimmer für die damalige Soko Peggy: Ein Ermittlungsrichter schildert dem Gericht, wie es im ersten Prozess zur Falschaussage eines mittlerweile gestorbenen Zeugen kam. Der Mann hatte damals ausgesagt, Ulvi K. habe ihm den Mord an Peggy gestanden.

Erst sechs Jahre später, im September 2010, gab er zu, gelogen zu haben. „Bei seiner Vernehmung berichtete er mir, es sei ihm von der Polizei nahegelegt worden, zu sagen, Ulvi K. habe das Mädchen erdrosselt“, sagt der Ermittlungsrichter. Dem Mann sei als Gegenleistung angeblich versprochen worden, aus der Psychiatrie frei zu kommen, in der er zusammen mit dem Beschuldigten saß. Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.