Selbst geschnitzte Holzkegelchen, ein Würfel und ein Spielfeld gebastelt aus einem Hutkarton: So begann die Geschichte von „Mensch ärgere Dich nicht“. Vor 100 Jahren kam das Spiel auf den Markt.

Berlin. „Was raus kann, muss raus!“ Und, zack, schon hat die sonst so liebevolle Oma den roten Spielkegel des Enkels mit ihrem grünen rabiat vom Brett gewischt. Sprachloses Entsetzen beim Kind. Hochkochende Wut, verschmitzte Schadenfreude, Triumphgefühle beim Einzug der vierten und letzten Spielfigur ins rettende „Häuschen“ - ja, wer kennt sie nicht, die emotionale Achterbahnfahrt vor dem gelben Brett.

Seit 100 Jahren heißt es in Deutschlands Wohnzimmern immer wieder: „Mensch ärgere Dich nicht“ (MÄDN). Meist zwar mit wenig Erfolg. Aber weitergespielt wird trotzdem. Revanche!

Mehr als 90 Millionen Mal wurde der Brettspielklassiker bislang in Deutschland verkauft. „Und noch heute ist MÄDN ein echter Erfolg“, sagt Nils Jokisch von Schmidt-Spiele in Berlin. MÄDN ist die Insider-Abkürzung für das Spiel. Jährlich werden demnach rund 400.000 Exemplare verkauft. Dabei sah der Anfang so gar nicht danach aus.

Als der Münchner Josef Friedrich Schmidt laut dem Unternehmen um 1907 ein Brettspiel austüftelte, um seine drei quirligen Söhne in der winzigen Wohnung zur Ruhe zu bringen, baute er das erste Exemplar noch aus Hutkarton und selbst geschnitzten „Holzpöppeln“. Aber während daheim in der kleinen Mietwohnung nun begeistert gespielt worden sei, habe Schmidt für weitere selbst gebastelte Exemplare keine Abnehmer gefunden. Niemand habe Interesse an dem Spiel gezeigt, dessen Grundidee Schmidt von dem mehr als 2000 Jahre alten indischen Laufspiel Pachisi übernommen hatte.

Doch 1914 hatte er Schmidt-Spiele zufolge eine Idee, die sich als Volltreffer erweisen sollte: Er ließ 3000 Exemplare von „Mensch ärgere Dich nicht“ herstellen und schickte sie als Spende an Kriegslazarette. Der Erfolg ließ offenbar nicht lange auf sich warten: Schon 1920 hatte Schmidt demnach eine Million der Spiele im typischen roten Karton mit dem Emblem des sich ärgernden Mannes verkauft – das Stück zu 35 Pfennig.

„Natürlich gibt es heute zahlreiche Nachahmerprodukte“, sagt Jokisch. Denn die Spielidee sei nicht zu patentieren. Aber der Titel und die typische Grafik der roten Packung und des Spielplans seien geschützt, Lizenzen werden vergeben für Tapeten, Handyhüllen oder Frühstücksbrettchen. Für weitere Verbreitung sorgen zeitgemäße Adaptionen: MÄDN gibt es mittlerweile als Kartenspiel, im Disney-Design, mit farbigen Würfeln für die ganz Kleinen und - natürlich – als App.

Gerade die Kartenvarianten kommen heute sogar noch in Spiel-Cafés auf den Tisch, wie Jürgen Kleber von der Kaffee Spielewerkstatt in Berlin-Schöneberg etwa berichtet. „Das Brettspiel aber weniger, dafür gibt es einfach zu viel Neues in den Regalen“, sagt er. Er sieht MÄDN eher als Familienspiel.

Aber was macht den Klassiker heute angesichts zahlloser Brett- und vor allem Digitalspielkonkurrenz noch spannend? Jokisch sagt dazu: „Es ist ein Spiel ohne Hierarchien. Kleine haben die gleichen Chancen wie Große. Jeder kann's sofort, ohne lange Anleitungen lesen zu müssen. Und: die menschlichen Instinkte werden angesprochen!“

Der Spieleentwickler Ulrich Blum, Vorsitzender der Spiele-Autoren-Zunft, pflichtet dem bei: „Fast jede Familie hat ja ihre eigenen Regeln – und das Spiel hält das aus.“ Aber so einfach und anpassungsfähig MÄDN auch sei: „Es hat durchaus pädagogischen Charakter. Man lernt Rückschläge hinzunehmen, aber auch Siege nicht allzu sehr auszukosten. Denn: Die nervigsten Mitspieler sind die schlechten Verlierer, die zweitnervigsten die schlechten Gewinner.“

Letzte Frage an den Spielprofi: Soll man Kinder denn nun rauswerfen oder gewinnen lassen? Blum lacht. „Das kommt auf das Alter der Kinder an – und auch auf die Eltern. Nicht jeder kann es ab, wenn der Nachwuchs eine Stunde in der Ecke schmollt. Aber man sollte das Schonen nicht überreizen. Denn Verlieren-Lernen gehört als Komponente unbedingt dazu.“