Im Januar war ein 26 Jahre alter Ex-Rocker mutmaßlich von Hells Angels erschossen worden. Obwohl die Polizei von der Gefahr wusste, sprach sie nicht mit dem Mann - der wusste dennoch Bescheid.

Berlin. Knapp vier Wochen nach einem Mord in der Berliner Rockerszene hat die Polizei einen gravierenden Fehler bei den Ermittlungen vor der Tat eingestanden. Obwohl die Bedrohung bekannt war, sei das spätere Opfer nicht gewarnt worden, weil ein Hinweis auf den Aufenthaltsort des Mannes in Berlin nicht richtig ausgewertet worden sei, teilte die Polizei der Nachrichtenagentur dpa mit. Sie bestätigte damit teilweise einen Bericht von Spiegel-TV. Innensenator Frank Henkel (CDU) räumte ein: „Dieser Fehler wirft einen Schatten auf einen bedeutenden Ermittlungserfolg gegen eine hochkriminelle Bande.“

Am 10. Januar war der 26-jährige Ex-Rocker in einem Wettspielladen in Wedding erschossen worden. Der Mord war laut Polizei die Rache für eine Schlägerei im Oktober. In den vergangenen Jahren lieferten sich Rocker immer wieder gewalttätige und blutige Auseinandersetzungen.

Laut Polizei zeigte der Hinweis im November 2013, dass sich das spätere Opfer nicht wie angenommen und im Januar mitgeteilt im Ausland, sondern in Berlin aufgehalten habe. „Diesen Hinweis hat die zuständige Fachdienststelle aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen nicht in ihre Gefährdungsbewertung einbezogen. Daher ist mit Tahir Ö. kein Sensibilisierungsgespräch geführt worden.“ Mit sogenannten Sensibilisierungsgesprächen warnt die Polizei mögliche Opfer vor einer Bedrohung.

Zudem sei wegen der fehlenden Informationen ein abgehörtes Telefongespräch des Rockerchefs und mutmaßlichen Auftraggebers kurz vor der Tat mit Hinweisen auf das spätere Opfer nicht live, sondern erst später analysiert worden, so die Polizei. Aus diesem Telefonat habe sich ergeben, „dass Tahir Ö. von seiner Gefährdung wusste, sich mit Schutzweste und Schusswaffe ausgerüstet hatte und sich provozierend in der Szene bewegte“.

Henkel erklärte, warum dieser Fehler passiert sei, müsse jetzt „dringend“ aufgeklärt werden. „Ich habe die Polizeiführung beauftragt, einen entsprechenden Bericht im nächsten Innenausschuss abzugeben und die Hintergründe weiter zu beleuchten.“

Gleichzeitig betonte er: „Eines werde ich allerdings nicht tun: Mich an der Spekulation zu beteiligen, ob der Mord durch eine andere Vorgehensweise der Polizei hätte verhindert werden können.“

Die Polizei wies gleichzeitig einen Bericht zurück, nach dem es von einem zweiten V-Mann Hinweise auf eine Bedrohung des späteren Opfers gegeben habe. „Vor der Tat am 10.01.2014 gab es keine Hinweise aus anderen Quellen.“

In dem Fall hatte die Polizei mit einem veröffentlichten Video auf das blutige und gnadenlose Vorgehen krimineller Rockerbanden hingewiesen. Sie präsentierte Filmsequenzen von drei Überwachungskameras. Darauf ist zu sehen, wie eine Gruppe von Männern der Rockerbande Hells Angels den 26-jährigen Mann hinrichtet. Sechs verdächtige Rocker wurden bisher verhaftet.

Die ersten Bilder zeigen laut Polizei 13 Rocker, die gegen 23 Uhr in einen Imbiss mit Spielautomaten im Stadtteil Wedding marschieren. Einige von ihnen sind vermummt. Im Gänsemarsch gehen einige Männer in das nächste Hinterzimmer. Dort schießt einer von ihnen mit einer Pistole innerhalb von fünf Sekunden achtmal auf einen Mann, der an einem Tisch sitzt und Karten spielt, wie Sjors Kamstra, Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität der Staatsanwaltschaft, erklärte.

Sechs Kugeln treffen, das Opfer stirbt. Der Schütze flieht zur Hintertür, die anderen zwölf wieder zurück durch die Vordertür. Einige Gesichter sind in den Aufnahmen zu erkennen. Das habe die Polizei schnell auf die Spur einiger Täter gelenkt, gegen die jetzt wegen gemeinschaftlichen Mordes ermittelt wird.

Der mutmaßliche 29-jährige Anstifter der Tat ist der Polizei seit langem bekannt. Er posierte auch in einem gewaltverherrlichenden, frauenfeindlichen Musikvideo des Rappers Bushido vom Dezember 2013. Er gehörte aber nicht zu der Gruppe, die die Tat ausführte. Der Mann tauchte mit seinem Anwalt schon am Mittwoch bei der Polizei auf, wurde aber wieder weggeschickt, weil es noch keinen Haftbefehl gab. Am Donnerstag stellte er sich erneut und wurde verhaftet.

In Berlin gibt es laut Polizei etwa 1000 Mitglieder von kriminellen Rockerbanden. 450 bis 500 davon gehören zu den Hells Angels. 100 bis 150 zu den verfeindeten Bandidos.